«Formidables UKW» oder «Erfolgsmodell DAB+»?

Digitalradio - Roger Schawinski bezeichnet den Digitalradiostandard DAB+, der schon in wenigen Jahren UKW komplett ablösen soll, als den falschen Weg. Ist DAB+ tatsächlich nur eine Übergangslösung? Hätte die Branche von Anfang an auf IP setzen sollen? Sechs Meinungen von Radioexperten.

von Christian Beck

Medienunternehmer Roger Schawinski ist kein Freund von DAB+. «Da sich DAB+ in all unseren Nachbarländern nicht durchgesetzt hat, ist es schwer vorstellbar, dass wir UKW bei uns abschalten und damit alle Autotouristen vor den Kopf stossen», schreibt er in einem Blog im «persönlich»-Magazin und auf persoenlich.com. Das «formidable UKW hätte wohl zur Zufriedenheit aller ausgereicht», bis die laufende verbesserte IP-Technologie auch den Radiobereich voll abdecken werde. Sein Fazit: «DAB+ ist eine teure und arge Zwängerei, die man bei uns ohne echte Not eingeführt hat.» Als «die ersten Millionen verlocht waren», hätte man nicht den Mut gehabt, die Übung abzubrechen.

Teilen andere Radioexperten Schawinskis Ansicht? Oder ist DAB+ dennoch der richtige Weg in die Digitalradio-Zukunft? persoenlich.com hat nachgefragt:


Bernard Maissen,
Vizedirektor und Abteilungsleiter Medien im Bakom

«Der Piratenstreich von Roger Schawinski auf dem Pizzo Groppera war 1979 zwar illegal, aber er war der Auslöser für eine vielfältige Schweizer Radiolandschaft. Sie entwickelte sich so prächtig, dass die knappen UKW-Frequenzen mit kleinen Verbreitungsgebieten die Vielfalt einschränkten. Deshalb legte der Bundesrat 2006 fest, dass die Zukunft des Radios digital sein soll. Heute zeigt sich, dass die digitale Radioverbreitung via DAB+ zu einem Erfolgsmodell geworden ist. Die Angebotsvielfalt existiert, die grösseren Verbreitungsgebiete werden genutzt, die Zahl der verkauften DAB+-Empfangsgeräte steigt stark und die Abdeckung wird laufend ausgebaut – alles schneller als erwartet. Von einem Flop kann deshalb nicht die Rede sein. Aus medienpolitischer Sicht ist es wichtig, dass das Publikum Service-public-Inhalte kostenlos, stabil und in einer guten Qualität empfangen kann. Genau diese Garantie bietet DAB+. Natürlich hat sich die Technologie seit 2006 rasant weiterentwickelt. Aber es kann nicht sein, dass der Radioempfang nur übers Internet oder den Mobilfunk und damit ausschliesslich mit einem Providervertrag möglich ist. Es ist uns bewusst, dass die digitale Verbreitung in Zukunft über verschiedene Vektoren erfolgt. Streamingdienste, Smart Devices und 5G stellen die Branche vor grosse Herausforderungen. Deshalb hat der Bund ihr die Freiheit gelassen, zu entscheiden, wann und wie UKW abgeschaltet wird. Die Branche hat gesagt, spätestens Ende 2024. Jetzt an einer analogen Technologie mit all ihren Grenzen festhalten zu wollen, ist rückwärtsgerichtet und entspricht nicht dem Pioniergeist von Roger Schawinski.»



Marco Derighetti,
Direktor Operationen SRG

«Die digitale Radionutzung in der Schweiz liegt bei 63 Prozent. DAB+ bietet im Vergleich zu UKW viel mehr Kanäle. Dank DAB+ konnte die Begrenzung der Anzahl Radiosender von UKW gelöst werden. Damit haben private Sender die Chance, ihr Programm zu verbreiten. Kostenseitig ist DAB+ ebenfalls ein Gewinn: Die gleiche Abdeckung kostet mit DAB+ sechs Mal weniger als mit UKW. Die SRG will mit ihren Ressourcen sparsam umgehen und unterstützt die Möglichkeit einer Entwicklung des Radioangebotes für alle. UKW ist dafür definitiv zu teuer und stark einschränkend. Im Gegensatz zum Internet ist DAB+ eine ‹Free to Air›-Technologie, das heisst, der Zugang ist für alle Radionutzer gratis. Eine reine IP-Verbreitung würde beträchtliche Risiken bergen: Abhängigkeit von Netzprovidern, Verlust des Rundfunkprivilegs, mächtige globale Konzerne wie Apple, Google, Amazon, etc. Ohne eigenen Verbreitungsvektor riskieren die Radioveranstalter, dass sie ohne jegliche Verhandlungsmacht marginalisiert werden. Man weiss nicht genau, wie viele UKW-Radios noch im Gebrauch sind. Wir wissen dagegen, dass im letzten Jahr insgesamt über 320'000 DAB+-Radios verkauft wurden. Somit sind heute mehr als 3,6 Millionen DAB+-Geräte im Umlauf. Bei den Autos sind bereits über eine Million mit DAB+ ausgerüstet. Zudem wird DAB+ in über 85 Prozent der Neuwagen serienmässig eingebaut. Aus all diesen Gründen sieht die SRG es als eine Pflicht, die Ausschaltung von UKW zu planen und durch eine deutlich bessere, offenere und effizientere ‹Free to air›-Technologie möglichst rasch zu ersetzen.»



Dani Büchi,

Verwaltungsratspräsident der SwissMediaCast

 

«Die SwissMediaCast als führende DAB+-Verbreitungsgesellschaft bringt heute die Signale von 48 Radioprogrammen zu den Hörern. Auch beim Problempunkt der Versorgung in den Tunnels kommen wir grossen Schritten vorwärts: Aktuell kann man in 100 Tunnels bereits DAB+ hören, über 30 Tunnels folgen bis Ende Jahr und nochmals so viele 2019. Die DAB+-Verbreitung kommt auch im angrenzenden Ausland voran. Es ist klar: DAB+ kommt und UKW verschwindet. Das genaue Timing wird nun zu beschliessen sein. Die Radios müssen bis auf weiteres auf allen Vektoren (DAB+, UKW und den verschiedenen Möglichkeiten des Streamings) präsent sein, um ihre Hörer zu erreichen. Die Abschaltung von UKW und der Umstieg auf DAB+ ist eine heikle und vielschichtige Angelegenheit, bei welchen alle Beteiligten ihren Teil zum Erfolg beitragen müssen: Die Radiosender, das Bakom, die Geräteindustrie, die Autoindustrie und die Verbreitungsgesellschaften müssen weiter Hand in Hand arbeiten. Wie immer bei Technologiewechseln gibt es Kritiker. Es ist aber polemisch, mit den Geschehnissen in Norwegen nun Stimmung gegen DAB+ in der Schweiz zu machen. Norwegen ist nicht die Schweiz. Aber aus einem Fall Norwegen können wir wichtige Erkenntnisse gewinnen. Wir haben nach wie vor einige Jahre Zeit, den Umstieg auf DAB+ vorzubereiten. Diese Zeit werden wir nutzen. Und ob DAB+ der richtige Weg war oder nur eine Übergangstechnologie (was bei der heutigen Entwicklungsgeschwindigkeit nicht erstaunlich und auch nicht weiter schlimm wäre), wird abschliessend wohl erst die nächste oder sogar übernächste Generation beurteilen können. Und zwar nicht die Macher, sondern die Konsumenten. Die heutigen Kritiker wären dann über 100 Jahre alt.»



Roland Baumgartner,

Geschäftsführer «Swiss Radioplayer»

«Roger Schawinski hat recht, auch DAB+ ist nur eine Übergangslösung. Dies trifft heute aber wohl für jede Verbreitungstechnologie zu. Die Radios müssen alle Technologien bedienen, wenn sie ihre Hörerschaft erreichen wollen (UKW, DAB+ und IP). Die Kosten haben sich massiv erhöht. Deshalb ist es nur konsequent, wenn man sich gesamtschweizerisch gelegentlich von der ältesten, im digitalen Zeitalter untauglichen Technologie UKW verabschieden will. Ein geordneter Umstieg von UKW auf DAB+ macht Sinn: aus Kostengründen, technisch und von der Programmvielfalt her. Eine Broadcast-Technologie, bei welcher die Radios selber die ‹Gatekeeper-Funktion› übernehmen (SwissMediaCast oder Digris), ist meines Erachtens der richtige Weg. Von den Erfahrungen in Norwegen wird man in der Schweiz profitieren. Sicher ist aber auch, dass jedes Radio seine IP-basierte Verbreitung und die Auffindbarkeit im digitalen Zeitalter ausbauen muss. Die Radios müssen dort sein, wo sich ihre Hörerschaft bewegt. Dies zeigt auch das grosse Interesse am ‹Swiss Radioplayer›, wo alle Schweizer Radios an einem Ort, in einer App vereint und auffindbar sind – auch bei der neuen Geräte-Generation, ‹connected cars› oder Amazons ‹Alexa› als Beispiele. Diese Branchenlösung hilft allen Radios, die Auffindbarkeit sicherzustellen, unabhängig von der Technologie. Der ‹Swiss Radioplayer› ist die optimale Ergänzung zu DAB+, ausserhalb der Broadcast-Empfangbarkeit eines Radios. Immer und überall.»



Jürg Bachmann,

Präsident Verband Schweizer Privatradios VSP

«Die Schweiz hat entschieden, zwischen UKW und IP-Radio DAB+ einzusetzen und damit so lange wie möglich eine eigene Rundfunktechnologie. Denn Rundfunk bietet Verbreitungssicherheit, Unabhängigkeit von IP-Netzen und ein einfaches Geschäftsmodell. Aber die Radiozukunft ist digital. Bis Ende 2024 soll UKW ausser Betrieb genommen werden. Nun sind wir mitten in diesem Prozess. Wir prüfen, ob sich die Parameter so entwickeln, wie bei der Planung angenommen. Nur noch 37 Prozent der Radiohörer nutzen UKW. Der Radiokonsum ist also klar digital. DAB+ und IP-Radio liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Welche Technologie sich wann durchsetzen wird, ist schwer vorauszusagen. Die Zahl der DAB+-Empfangsgeräte im Markt nimmt zu – da helfen insbesondere Neuwagen. Innovationen kommen von IP-Radio: Bald wird in vielen Haushalten ein Empfangsgerät mit Sprachsteuerung stehen, über welches wunderbar Radio zu hören ist. Die Radiobranche tut gut daran, Kurs zu halten. Weiter in DAB+ investieren, insbesondere auch in Marketing dafür. Und parallel dazu in der IP-Welt mithalten. Mit dem ‹Swiss Radioplayer› und seiner europäisch interoperablen Technologie hat die Radiobranche einen richtigen Schritt getan.»



Lukas Weiss,
Präsident Unikom

«Kurz bevor die Radiobranche das UKW-Abschaltdatum festlegen muss, wird der Mehrwert von DAB+ erneut zum Thema. DAB+ steht für mehr Programme, also auch für mehr Konkurrenz. Wer heute – wie Roger Schawinski – schreibt, ‹das formidable UKW hätte wohl zur Zufriedenheit aller ausgereicht›, bis die Versorgung ausschliesslich durch das Internet sichergestellt werden wird, argumentiert aus Sicht eines Veranstalters, der das Privileg einer UKW-Verbreitung zu verlieren hat, das notabene 2008 letztmals öffentlich vergeben wurde. Spätestens ab dem 1. Januar 2019 wird es Zeit, auch an das Publikum zu denken: Wer eine Haushaltabgabe bezahlen muss und damit ein dürres UKW-Angebot – nicht alle leben in Zürich – oder überhaupt kein Programm empfangen kann, ohne ein IP-Abonnement zu lösen, fühlt sich zu Recht verschaukelt. Der unbegrenzte und kostenlose mobile Empfang ist das Minimum, das die Radiobranche dem Publikum schuldet. Ein paralleler Betrieb von UKW und DAB+ begünstigt einzig die Veranstalter mit einer UKW-Frequenz. Auch neun Unikom-Radios (nicht-gewinnorientierte Radios, Anm. der Red.) werden mit der UKW-Abschaltung dieses Privileg verlieren. Doch sie haben sich zu diesem Schritt bekannt, im Interesse des Publikums und der Zukunft des Radios.»