Herr Stadler, Sie haben Ihren NZZ-Badge abgegeben: Das Ende einer grossen Liebe?
Oha, eine schwierige Frage. Ich hatte sehr gute Zeiten bei der NZZ. Doch in letzter Zeit, das ist ja durchgedrungen, war ich nicht mehr so glücklich gewesen. Von daher ist es gut, dass jetzt der Schlussstrich gekommen ist.
Das Verhältnis hat sich auseinandergelebt.
31,5 Jahre bei dieser Zeitung – die Hälfte meines Lebens – sind eine sehr lange Zeit. Solche Berufsbiografien gibt es kaum noch. Auch aus diesem Grund war es Zeit zu gehen.
Sie wollen «ein neues Projekt» starten. Was haben Sie vor?
Ich werde künftig Teilzeit arbeiten bei Infosperber.ch.
Infosperber: Ist das das, wonach Sie suchten oder sozusagen eine Notlösung?
Das ist keine Notlösung. Infosperber machte mir ein gutes Angebot.
Worüber schreiben Sie dort?
Wir haben ein 40-Prozent-Pensum vereinbart. Ich werde weiterhin meine alten Themen verfolgen, also Medienpolitik, Medienbeobachtung und medienethische Fragen. Ob ich darüber hinaus Weiteres aufgreifen werde, wird sich zeigen.
Bei der NZZ wurde es ja offensichtlich immer schwieriger für Sie. Warum?
Ich möchte jetzt, kurz nach meinem Austritt, nicht über interne Differenzen sprechen. Ich kann jedoch grundsätzlich sagen, dass meine Arbeit schwieriger wurde. Ich denke, dass Medienjournalismus in den Massenmedien zunehmend unmöglich wird. Vor allem in der Schweiz, denn hier haben wir in den letzten Jahren eine sehr starke Medienkonzentration erlebt. Es gibt faktisch nur noch vier Unternehmen: CH Media, TX Group, Ringier und die NZZ. Sie beherrschen den Schweizer Medienmarkt, und ihre Plattformen prägen – nebst der SRG – den öffentlichen Diskurs. Wenn man wie ich über Medien schreibt, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man über Bereiche schreibt, die in irgendeiner Form das eigene Unternehmen betreffen. Interessenskonflikte gab es zwar auch früher, doch das Ausmass hat stark zugenommen. Und die derzeitige wirtschaftliche Krise verschärft das Problem, denn den Medien geht es schlecht. Ihre Existenz steht auf dem Spiel. In solchen Zeiten sinkt die Toleranzgrenze gegenüber «Hofnarren».
Was heisst das?
Es ist für Verlage schwierig geworden, Meinungen zu tragen, die der Unternehmensmeinung nicht entsprechen. Es ist kein Zufall, dass bei allen anderen Zeitungen die Stellen der Medienjournalisten schon längst gestrichen worden sind.
«Ich fragte mich zunehmend: Glauben die Leute mir überhaupt noch? Glauben Sie, dass ich unabhängig schreiben kann?»
Hat die Chefetage in Ihre Texte reingeredet oder Ihnen Themen diktiert?
Ich möchte nicht über Konkretes sprechen. In Krisenzeiten stösst man unweigerlich auf grössere Widerstände. Es entstand eine Mischung aus Ausgesprochenem und Unausgesprochenem, auf deren Nährboden der Elefant im Raum heranwuchs. Dazu kommt, dass auch die Leserinnen und Leser wissen, dass die Zeiten im Journalismus härter geworden sind und dass potenziell mehr Interessenskonflikte bestehen. Insofern ergibt sich daraus irgendwann ein Glaubwürdigkeitsproblem. Ich fragte mich zunehmend: Glauben die Leute mir überhaupt noch? Glauben Sie, dass ich unabhängig schreiben kann? Ich kann für mich persönlich sagen, dass ich das immer gemacht habe und die journalistischen Grundregeln eingehalten habe. Doch eben, die Frage ist: Würde man mir das in Zukunft überhaupt noch glauben?
Gab es Rückmeldungen, wonach Sie nicht mehr unabhängig und eine Art Stimme des Verlages seien?
Solche teils subkutanen Reaktionen gab es ab und zu. Es wurde auch schwieriger, diese zurückzuweisen. Es gab auch verschiedentlich Personen, die mir sagten: «Jetzt hast du aber auf subtile Art und Weise dein eigenes Haus kritisiert» – und das in Fällen, bei denen ich nicht einmal an so etwas gedacht hatte. So realisierte ich mehr und mehr, dass die Koordinaten bei der Arbeit nicht mehr stimmten.
Die Wahrnehmung verschob sich also wegen der Anspannung durch die Krise.
Genau. Wenn die Leute zu denken beginnen, ich würde Kassiber schreiben, weil ich Dinge nicht offen sagen konnte, stimmt etwas nicht mehr. Ich begann, mich zu hinterfragen.
Können Sie dieses Problem an einem konkreten Beispiel erklären?
Ja, ich könnte das tun. Aber an dieser Stelle wäre es problematisch. Nachdem ich die NZZ eben erst verlassen habe, möchte ich meine langjährige Arbeitgeberin nicht gleich in die Mangel nehmen.
Diese Probleme in Ihrem Arbeitsfeld waren also der Grund für Ihren Abgang und nicht, dass Sie vielleicht in all diesen Jahren etwas an Dynamik verloren haben?
(Lacht.) Es ist natürlich schwierig, die eigene Arbeit zu bewerten. Doch ich denke nicht, dass ich zu den Lahmen gehörte. Jüngst habe ich beim Aufräumen meinen Blackberry gefunden, mit dem ich in den 2010er-Jahren gearbeitet hatte. Dabei erinnerte ich mich, wie ich einen Liveticker gemacht hatte, als es dieses Wort noch gar nicht gab. Neue Entwicklungen haben mir immer Spass gemacht.
Stimmt, ich erinnere mich an einen Verlegerkongress in Interlaken. Ich war beeindruckt, wie Sie Artikel auf dem Blackberry getippt haben.
Damals war alles noch komplizierter, da ich nicht von extern in unser Content Management System reinschreiben konnte. Somit schickte ich die Nachrichtentexte portionenweise meiner Kollegin auf die Redaktion, die sie anschliessend zu einem Text zusammenfügte und auf nzz.ch veröffentlichte.
Auf unsere persoenlich.com-Meldung über Ihren Abgang gab es überdurchschnittlich viele Leserkommentare. Einige schlugen Sie sogar als Kolumnist bei der NZZ am Sonntag vor. War das eine Option?
Ich bekam kein solches Angebot. Ohnehin – die schwierige Grundkonstellation, die ich erwähnte, wäre dann dieselbe geblieben.
Nochmals zur Medienkritik. Sie haben gesagt, die Verlagshäuser seien viel empfindlicher geworden in den letzten Jahren. Wie ist es bei den Journalistinnen und Journalisten?
Journalisten waren immer empfindsam – besonders jene, die gerne austeilen. Ich habe einige Male direkt Personen kritisiert. Doch ich bereue das, denn ich möchte mich lieber auf die Sache konzentrieren: auf Strukturen und Entwicklungen. Ich weiss, wie es ist: In den Redaktionen lässt sich ein Fehler selten auf eine Einzelperson zurückführen, denn die Journalistinnen und Journalisten werden zuweilen gedrängt, etwas zu tun, das zu Fehlern führt. Ohnehin müssen in erster Linie die Medientitel für ihre Outputs geradestehen und nicht einzelne Mitarbeitende.
«Viele Journalisten haben gemerkt, dass es ihrer beruflichen Stellung und ihrer Karriere abträglich ist, wenn sie sich mit Medienthemen befassen.»
Früher, etwa vor zehn Jahren, kam es immer wieder vor, dass etwa die Weltwoche im Editorial auf einen Artikel der Zeit geantwortet hatte oder umgekehrt. Solche Debatten zwischen einzelnen Redaktionen gibt es heute nicht mehr. Ist das eine Auswirkung der verstärkten Fragmentierung?
Ich würde sagen: Es ist eine Folge der Medienkonzentration. Viele Journalisten haben gemerkt, dass es ihrer beruflichen Stellung und ihrer Karriere abträglich ist, wenn sie sich mit Medienthemen befassen. Man will ja nicht auf einem unsicheren Arbeitsmarkt potenzielle Arbeitgeber abschiessen. Daneben gibt es aber noch eine Art Medienkritik, die einem Marketing-Instrument gleicht.
Wie meinen Sie das?
Wenn Zeitungen Artikel schreiben mit der folgenden Hauptbotschaft: «Alle anderen sind auf dem falschen Dampfer, nur wir nicht», dann betreiben sie Medienkritik, nur um zu zeigen: «Wir sind die Besten.»
Von welchem Blatt sprechen Sie?
Die Weltwoche macht das ausgeprägt. Gewiss, Medienkritik basiert immer auf weltanschaulichen Grundannahmen. Der Antrieb einer Kritik muss aber immer darin bestehen, Verbesserungen zu bewirken. Nur zu kritisieren, um sich selbst ins bessere Licht zu rücken, scheint mir zu wenig.
Diesen Eindruck haben Sie tatsächlich von der Weltwoche-Medienkolumne?
Nein, nicht von der Kolumne, sondern vom ganzen Blatt. Es sieht sich in der Opferrolle im Kampf gegen den Mainstream.
Welche Ihrer Recherchen oder welche Kolumne hat rückblickend gesehen besonders viel bewirkt?
Ich hatte relativ früh, im Dezember 2004, auf eine Frage hingewiesen, die bis heute ungeklärt ist und immer wieder diskutiert wird: «Was ist eigentlich die Rolle der SRG im Internet?». Ich stiess auf eine Information, dass die Chefredaktion von SRF hier Schritte plant und sogar die Marktführerschaft anstrebt. Ich stellte damals in Artikeln zur Debatte, inwiefern das korrekt und gesetzeskonform sei. Unmittelbar gab es kein riesiges Feedback, doch die Frage steht heute, 16 Jahre später, immer noch im Raum.
Womit lösten Sie in Ihrer Karriere besonders grosse Resonanz aus?
Viele Feedbacks bekam ich vor allem in der Phase, in der ich auf nzz.ch einen Blog betrieb, dessen Kommentarfunktion für alle Besucher offen war. Doch die Frage ist ja eher: Was sorgt kurzfristig für Wirbel und was bewirkt längerfristig Veränderungen? Die Wirkung der meisten Storys ist nach kurzer Zeit erschöpft. Die Artikel zur SRF-Online-Strategie hatten direkt oder indirekt eine lange Nachwirkung – letztlich aufgrund der Sachlage.
In Ihrem Abschiedsartikel in der NZZ raten Sie angesichts der Krise «abzuwarten und Tee zu trinken». Ist das Ihr Ernst oder einfach Resignation?
(Lacht.) Nein. Vielleicht ist es eine Frage des Älterwerdens. Man realisiert mit den Jahren, dass es nicht nötig ist, sich dauernd aufzuregen. Vieles, worüber wir uns heute immens aufregen, haben wir in wenigen Wochen völlig vergessen.
Sie sind also gegen zu viele staatliche Eingriffe. Wie ist es bei der Medienförderung?
Ich beziehe mich in meinem Artikel auf wettbewerbspolitische Probleme und die Frage, wann und wie gegen dominante Unternehmen eingegriffen werden soll. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich «Monopole» eigentlich relativ schnell auf quasi natürlichem Weg auflösen.
Der Markt regelt alles?
Die technologischen Entwicklungen werfen vieles über den Haufen. Das erfährt derzeit die Medienbranche ja ziemlich direkt. Es ist heute vielleicht schwer vorstellbar, doch auch die mächtige Stellung von Google, Facebook oder Amazon ist keineswegs in Stein gemeisselt.
Ohne Regulierung? Das dauert sehr lange, sodass vieles Bewährtes, Essenzielles auf der Strecke bleiben wird.
Google könnte den technologischen Anschluss verlieren, wenn etwa ein anderer Akteur eine viel bessere Suchmaschine entwickelt; oder es passiert sonst etwas Umwälzendes. Wenn ich auf meine Zeit als Journalist zurückblicke, haben sich die Konstellationen schnell gewandelt. Wer spricht noch von der Übermacht von Microsoft? Oder von der «grauen Eminenz» namens PubliGroupe? Oder vom TV-Unternehmer Leo Kirch, vor dem sich vor dreissig Jahren so viele fürchteten? Sein Imperium ist längst zerfallen.
«Ich habe die Boom-Phase miterlebt. Mengenweise floss Geld in die Verlage. Im Vergleich zu damals ist die Branche mittlerweile ärmlich geworden.»
Sollte in diesem Fall auch der Bundesrat einfach «abwarten und Tee trinken», statt die Medien mit Fördergeldern erhalten zu wollen?
Es kommt darauf an, welche Phasen man vergleicht. Ich habe die Journalismus-Boom-Phase miterlebt. Mengenweise floss Geld in die Verlage. Viele konnten sehr, sehr gut davon leben. Im Vergleich zu damals ist die Branche mittlerweile ärmlich geworden. Deshalb ist die Lust gross, Hilfe anzufordern. Dabei muss man einfach bedenken, dass staatliche Hilfe sehr tückenreich ist. Wir könnten darüber hier lange reden – das ergäbe ein Interview für sich. Doch kurz gesagt: Es gibt sehr viele Fallstricke. Zusätzliches Staatsgeld führt zu neuen Ungerechtigkeiten. Mir leuchtet – mit Blick aufs Medienförderungspaket des Bundesrats – beispielsweise nicht ein, warum Gratismedien, die gute Arbeit machen, per se kein Geld erhalten sollten, diejenigen Medien mit Abo-Modellen hingegen schon.
Was wäre Ihrer Meinung nach wichtig, um den demokratierelevanten Journalismus der Schweiz zu erhalten?
Diese Frage hat mich oft beschäftigt. Eine optimale Lösung erkenne ich leider nicht. Man kann einfach hoffen, dass es weniger schlecht kommt, als man erwartet. Abonnement-Modelle sind sicher eine gute Idee, doch die Zeiten haben sich geändert. Die Bereitschaft der Leute, für Informationen zu bezahlen, wird im Vergleich zu früher geringer bleiben. Ein relevanter Teil des Publikums wird sich auf Gratisinformationen beschränken.
Gerade auch, weil sie ja bereits die Serafe-Medienabgabe entrichten.
Genau. Und was heisst das in medienökologischer Hinsicht? Stand heute gäbe es in der Deutschschweiz als Gratisangebote blick.ch, 20min.ch, watson.ch und die SRG, daneben noch regionale Nischenangebote und solche für einzelne Branchen. Ist es gut, wenn die Bezahlmedien sich von dieser Bevölkerungsgruppe verabschieden? Auch jene Personen, die ein grösseres Interesse an Informationen haben, sind mit einer Kostenfrage konfrontiert. Bisher konnten sie gratis extrem viele Informationen abrufen. Doch nun gehen die Bezahlschranken hoch. Das wird ziemlich teuer für diese Mediennutzer.
Und nun: Wie verabschieden Sie sich von der NZZ?
Ich lud einige Kolleginnen und Kollegen zu einem Umtrunk in der Collana-Bar auf dem Sechseläutenplatz ein. Der Platz ist mir ans Herzen gewachsen. Während vier Jahren hatte ich ein Büro mit direkter Sicht auf den Platz. Es war faszinierend zu sehen, wie die Bevölkerung sich den Platz angeeignet und ihn – je nach Jahreszeit – genutzt hat. Ich habe das damals mit dem Smartphone dokumentiert und auf Twitter publiziert (Anm. d. Red.: siehe Fotos oben). Das war eine fröhliche kleine Nebenbeschäftigung. Das ergäbe eigentlich eine nette Fotogalerie und Hommage an den Platz. Es fehlt mir noch ein netter Supporter.
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