20.11.2014

Urs Wälterlin

"Ich muss jeden Tag um Relevanz kämpfen"

Am Freitag startet im Schweizer Fernsehen die Dok-Serie "12'378 km Australien". Der Komiker Sven Furrer will darin herausfinden, ob das Leben in Australien wirklich glücklich macht. Einer der es wissen muss, ist Urs Wälterlin. Der freie Korrespondent hat ebenfalls beim Dok mitgewirkt und lebt seit 22 Jahren Down Under. Mit persoenlich.com spricht er über seinen Kampf gegen Klischees, ahnungslose Berufskollegen und Erbsenzähler in der Teppichetage. Und er erklärt, weshalb er sich zu Beginn seiner Karriere wie ein Staubsaugerverkäufer fühlte.
Urs Wälterlin: "Ich muss jeden Tag um Relevanz kämpfen"

Herr Wälterlin, die DOK-Serie "12'378 km Australien - Sven Furrer auf Abwegen" geht der Frage nach, warum Australier so glücklich sind. Sind Sie selber glücklicher seit Sie die Schweiz verlassen haben?

Ich war in der Schweiz nicht unglücklich. Nur etwas gelangweilt. Ich weiss natürlich nicht, ob ich heute glücklicher wäre, wenn ich geblieben wäre. Allerdings: Wenn ich so einige meiner Kollegen sehe, die in der Schweiz leben und arbeiten, und die dauernd unzufrieden sind – trotz gutem Job, bester Gesundheit und saftigem Gehalt –, dann bin ich eigentlich ganz zufrieden mit meinem Schicksal hier in Australien.

Woran liegt es, dass Australier so glücklich sind oder zumindest so wahrgenommen werden?

Seit 22 Jahren kämpfe ich gegen Klischees. Australien - das Land der Kängurus, das Land von Crocodile Dundee, wo alle lieb und nett sind. Das ist natürlich nicht so. Es gibt viele Australier, die alles andere als nett sind. Dass alle glücklich sind, ist ein weiterer Mythos. Ich weiss nicht, zu welchem Schluss meine DOK-Kollegen gekommen sind. Wenn ich aber in meinem Umfeld schaue, finde ich relativ wenige wirklich glückliche Menschen! Obwohl es dem Land seit zwei Jahrzehnten wirtschaftlich so gut geht wie keinem anderen, motzt man über alles: die Regierung – zu Recht allerdings – , die Preise oder die Ausländer. Dabei ist fast jeder selbst einer, oder stammt von einem ab.

Das klingt nicht sehr positiv. Was fasziniert Sie denn an Australien?

Die Landschaft, die Natur. Ich reise gerade durch das Outback. Auch nach 22 Jahren fasziniert mich die Weite noch wie am ersten Tag. Australien ist aber noch mehr: Es gibt Regenwälder und sogar Alpen. Und natürlich Strände, viele menschenleer. Zweitens: Man kann sich hier durchaus noch einen Traum verwirklichen, wenn man bereit ist, hart dafür zu arbeiten.

Pentecost River Crossing an der Gibb River Road.

Daintree National Park.

Zum Beispiel jeder als Auslandkorrespondent, für viele Journalisten der Traumjob schlechthin. Wie kam es dazu?

Durch Hartnäckigkeit und Starrköpfigkeit. Seit ich anfang der 80er in den Journalismus  einstieg, wollte ich für ein, zwei Jahre im Ausland arbeiten. Zuletzt war ich Redaktionsleiter einer Schweizer Wochenzeitung. Nach zwei Jahren entschlossen sich meine Frau Christine und ich, uns vor der Familiengründung noch diesen Traum zu verwirklichen. Da wir beide Australien kannten, und es hier nur wenige Korrespondenten gab, wollten wir nach Ozeanien. Leichter gesagt als getan: Die Medien in der Schweiz hatten keinerlei Interesse.

Was haben Sie dagegen unternommen?
Ich ging von Zeitung zu Zeitung, wie ein Staubsaugerverkäufer! Entsprechend empfingen mich die Kollegen. Als der damalige Auslandredaktor der "Berner Zeitung“ sagte, "schick mal und wir schauen dann“, feierte ich das als Erfolg. Im Mai 1992 landeten wir schliesslich mit Rucksäcken und einem Laptop in Sydney. Ich tat, was mir der Berner Kollege empfohlen hatte: Ich schickte Stories. An ihn und jede Menge anderer Zeitungen. Ganz langsam kam das Interesse. Der Weg zum Erfolg war aber lang und hart, denn wir lebten nur von dem, was wir verdienten. Christine malochte sogar als Zimmermädchen, bis sie die Berechtigung erhielt, in ihrem gelernten Beruf als Krankenschwester zu arbeiten. Auch wenn ich heute von der Arbeit leben kann, das Problem der ersten Stunde bleibt: Jeden Tag muss ich um Relevanz kämpfen in einer Medienlandschaft, die immer kleiner wird, und deren Entscheider sich immer weniger für die Welt zu interessieren scheinen.

Für die USA würden sich die Medien sicherlich mehr interessieren. Wäre das nicht spannender? Geht Ihnen die Arbeit nie aus in Australien?
Im Gegenteil: Ich habe so viel zu tun, dass ich problemlos eine Kollegin beschäftigen könnte - allerdings nicht bezahlen…. Der Grund: Ich bin sehr diversifiziert, mache von Wirtschaft über Politik bis zu touristischen Themen alles. Mein Gebiet reicht von Papua-Neuguinea über Australien, Neuseeland bis hin nach Französisch-Polynesien. Da ist alleine das Reisen fast eine Vollzeitbeschäftigung. Was die USA angeht: Ich kenne dieses Land zu wenig, es hat mich nie gereizt.

Sie schreiben für SRF, den "Tages-Anzeiger", die "Süddeutsche", das "Handelsblatt" und weitere. Wie kommt man an die Aufträge aus der Heimat?

Ich biete in der Regel Material selbst an. Es gibt auch Anfragen von Kollegen. Das Bewusstsein für meine Region ist von Redaktion zu Redaktion verschieden. Ich staune in meinem Arbeitsalltag immer wieder, wie subjektiv Entscheide getroffen werden.

Wie meinen Sie das?

Es kommt stark darauf an, wer an den Newsdesks gerade am Drücker sitzt. Es spielt eine wesentliche Rolle, ob eine Geschichte genommen wird. Immer wieder habe ich Mühe, Kollegen von der Bedeutung essenzieller Themen zu überzeugen. Und dann wieder ruft mich plötzlich jemand an, der eine Geschichte zu einem Thema will, das so lapidar ist, dass ich es niemals angeboten hätte! Es gibt aber auch andere: Bei meinen Radiokollegen scheint das Basiswissen sehr gut zu sein. Das spürt man, wenn sie einen anrufen. Sie haben sich schon mit dem Thema beschäftigt. Andere Medien – unter ihnen einige der bekanntesten und respektiertesten Namen – sind genau das Gegenteil. Da frage ich mich gelegentlich, ob die Kollegen überhaupt wissen, wo Australien liegt!

Jetzt übertreiben Sie aber.
Nein. Es kommt vor, dass sie mich nachts um Drei anrufen und 80 Zeilen wollen zu einem Thema, das schon seit Tagen passe ist. Und wenn ich sie dann – aus dem Tiefschlaf gerissen – auf die Uhrzeit aufmerksam mache, sind sie erstaunt über die Zeitverschiebung.

Apropos Kollegen: Haben Sie Kontakt zu anderen Journalisten oder ist Ihr Job eine "One-Man-Show“?

Mehrheitlich arbeite ich alleine. Aber ich habe auch gute Kolleginnen: Heidi Gmür von der NZZ und Esther Blank von Deutsche Welle. Wir helfen einander aus, wenn Not am Mann ist.

Besteht durch diese Zusammenarbeit nicht die Gefahr, dass Sie und Heidi Gmür uns Schweizern "australischen Einheitsbrei“ servieren?

Überhaupt nicht. Wir sind total unabhängig. Ich lese bewusst nicht jeden Tag, was die Kollegen machen. Kommt dazu, dass Heidi für ein anderes Publikum arbeitet, für Leute mit anderen Wünschen, Interessen und Bedürfnissen. Uns beide verbindet aber ein starkes Bedürfnis, dieses Land und diese Region in all ihren Facetten darzustellen.

Urs Wälterlin und Sven vor dem Nationalen Kriegsdenkmal

Urs Wälterlin und Sven Furrer mit Marcel Stutz, Schweizer Botschafter (Mitte).

Aussie-Barbecue mit Urs Wälterlin.

Warum sind Korrespondenten vor Ort überhaupt nötig? Was machen Sie besser als ein für Australien zuständiger Auslandredaktor in der Schweiz, der seine Infos über Agenturen, australische Online-Newsportale oder BBC Australia bezieht?

Auf eine gewisse Art und Weise sind wir die Augen und Ohren unserer Leserinnen und Hörer. Das ist eine ehrenvolle Verantwortung, die ich sehr ernst nehme, denn es ist ein Verhältnis, das auf Vertrauen basiert. Ich analysiere und evaluiere Informationen immer aus der Perspektive eines Europäers. Und ich ziehe Vergleiche mit der Schweiz, Deutschland oder Österreich. Korrespondenten haben sowohl den Blick aus der Nähe als auch aus der Distanz. Kein Online-Portal kann das bieten, kein noch so guter Auslandredaktor, keine Agentur. Wir sind vor Ort, spüren und fühlen das Klima, die Stimmung im Volk. Und wir sehen die Veränderungen. Gerade die langjährigen Korrespondenten lassen sich auch nicht so rasch etwas vorgaukeln von Vertretern der Regierung oder der Wirtschaft. Denn wir kennen die Hintergründe. Diesen Heimvorteil hat kein Kollege, der mal kurz einfliegt und ein paar Geschichten macht.

Die Zahl der traditionellen Korrespondenten wird dennoch immer stärker abgebaut, die finanziellen Mittel der Verlage werden knapper. Wie spüren Sie diese Veränderungen?

Ich habe in den letzten 20 Jahren dreimal ein Fixum verloren, jedes Mal mit schweren Konsequenzen für mich und meine Familie. Dabei sind mir zwei Dinge aufgefallen: die Entscheide zum Sparen in den Redaktionen werden im Gegensatz zu früher nicht mehr von Journalisten getroffen – etwa dem Chefredaktor -, sondern von Erbsenzählern in den Buchhaltungen, die in vielen Fällen kein oder nur wenig Verständnis haben für die Bedeutung journalistischer Qualität. Gleichzeitig stecken sie Millionen in ein neues Bürogebäude. Meine Frage an diese Leute ist: Weshalb konsumieren Menschen ein Medium? Wegen den spektakulären Büros oder der Schreibe der Journalisten? Und: Hatten sich die Mittelmanager in den Redaktionen früher mit Händen und Füssen gegen unsinnige und langfristig produktschädigende Kürzungen gewehrt, gehen heute immer mehr in die Knie‘, um ihren eigenen Job zu retten.

Jobs werden knapp und auch die Honorare geraten unter Druck. Das spüren Sie vermutlich auch.
Mein Honorar war schon immer klein, gemessen am enormen Aufwand, den man als selbstständiger Journalist ohne Unterstützung eines "Backoffice“ hat. Infrastruktur, Übermittlungskosten, Reisen. Interessanterweise sind gerade die kleineren Zeitungen wesentlich generöser als die grossen. Ich stelle auch fest, dass diese den Wert eines guten Korrespondentennetzes mehr zu schätzen scheinen als die Giganten der Medienbranche. Das ist intelligent: denn damit können sie sich gegenüber den Grossen differenzieren. Gute Auslandberichterstattung durch eigene Korrespondenten wird zwar immer mehr zum Nischenprodukt, aber zu einem qualitativ hochwertigen. Ich bin der Überzeugung, dass Leute dafür zu bezahlen bereit sind, gerade in der qualitätsbewussten Schweiz.

Das öffentlich-rechtlich finanzierte SRF ist Ihr wichtigster Arbeitgeber. Sind da die Löhne besser?

Die Honorare sind sicher nicht überrissen, sie sind fair. Was mir aber wichtiger ist als das Geld: die Zusammenarbeit mit den Kollegen beim SRF Radio ist meist vorbildlich. Sie haben Respekt für die Tätigkeit von freien Korrespondenten. Sie bereiten sich auf Themen vor. Sie sind es, die einen Beitrag mit mir vorbesprechen, das Manuskript durchgehen und dann Feedback geben. Sie sind manchmal harte Kritiker, aber sie sind fair. Wenn ich in der Schweiz die Debatte um Konzessionsgelder mitverfolge, habe ich gelegentlich den Eindruck, das Publikum ist sich zu wenig bewusst, dass es einen Dienst von Weltklasse finanziert. SRF ist jeden Franken wert! Und ich sage das nicht aus eigennützen Gründen, sondern weil ich zutiefst an den Gedanken des service publique glaube.

Herr Wälterlin, Sie sind seit über zwei Jahrzehnten in Australien tätig. Rückblickend: Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?

Ich muss mich laufend den Bedürfnissen und Veränderungen meines "Marktes“ anpassen. Früher machte ich kaum Wirtschaft, heute ist sie wichtiger Bestandteil meiner Arbeit. Früher schrieb ich nur für Print, heute mache ich Online, Bild, Radio und Fernsehen. Wer sich als freier Journalist nicht anpasst, ist schnell raus aus dem Geschäft. Klagen nützt da nichts – die meisten Kunden haben dafür kein Gehör. Früher war es zudem relativ einfach, an australische Politiker ranzukommen – für Interviews etwa. Jetzt ist die Politik immer mehr unter Kontrolle der PR-Manager. Politiker sagen nur, was ihnen die Berater auf den Spickzettel schreiben. Unter dem jetzigen Premierminister Tony Abbott ist es extrem geworden. Nicht mal seine Minister dürften mit Medien sprechen, ohne dass sie von Abbott’s Armee von PR-Beratern grünes Licht erhalten haben. Abbott selbst ist ein miserabler Kommunikator. Die ultimative "loose cannon“, ein Alptraum für seine Presseleute, wenn er kein Skript hat und sagt, was er wirklich denkt (mehr zu Abbott lesen Sie im zweiten Teil des Interviews).

Fragen: Seraina Etter, Bilder: zVg, SRF


  • "12'378 km Australien – Sven Furrer auf Abwegen", sechs Folgen ab 21. November 2014, jeden Freitag, 21 Uhr Uhr, SRF1.


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