16.10.2023

Deza

Kein Bundesgeld mehr für Reportagen aus dem Süden

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit stellt die Finanzierung von zwei Medienprojekten ein. Betroffen ist neben Real21 in der Deutschschweiz auch En Quête d'Ailleurs in der Romandie.
Deza: Kein Bundesgeld mehr für Reportagen aus dem Süden
Das war die vorerst letzte Preisverleihung von Real21: Martina Fehr, MAZ-Direktorin und Präsidentin des Vereins hofft auf eine Zukunft von Medienfonds und Medienpreis. (Bild: zVg/Real21 und Keystone/Anthony Anex)

Seit 2015 unterstützt der Verein Real21 «die Medienberichterstattung über Entwicklungen in Afrika, Asien, Lateinamerika oder Osteuropa». Dazu vergibt der Verein einerseits Förderbeiträge für Recherchen vor Ort, andererseits verleiht er jährlich einen Preis für «qualitativ hochstehende Medienbeiträge über Themen der globalen Entwicklung».

Mehr als 100'000 Franken pro Jahr

Hinter dem Verein stehen das MAZ – Institut für Journalismus und Kommunikation und die Hilfswerkgemeinschaft Alliance Sud. Das Geld zahlt das Aussendepartement EDA. Seit 2015 stellte dessen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) dem Verein Real21 für seine Aktivitäten zwischen 120'000 und 140'000 Franken pro Jahr zur Verfügung; der Grossteil davon geht an die unterstützten Journalistinnen und Journalisten. Recherchen unterstützt Real21 mit bis zu 10'000 Franken. Der Medienpreis war mit jeweils 15'000 Franken pro Ausgabe dotiert.

Als Grund für das Engagement nannte das EDA 2015 den Rückgang der Auslandsberichterstattung in den Schweizer Medien. «Einordnende, sorgfältig recherchierte Hintergrundberichte aus Entwicklungs- und Schwellenländern sind rar geworden», zitierte damals die Schweiz am Sonntag einen EDA-Sprecher. Kritische Stimmen hielten Real21 für ein problematisches Konstrukt, weil eine staatliche Stelle Journalismus finanziert. Zwar betonte die Deza, man nehme keinen Einfluss auf den Inhalt der finanziell unterstützten Berichte und wahre so die Freiheit der Medien. Einflussnahme sei auch nicht nötig, schrieb zum Start von Real21 der langjährige Medienredaktor Christian Mensch in der Schweiz am Sonntag. Entscheidend sei, dass ein Thema überhaupt in der medialen Öffentlichkeit auftauche. Mit kritischen Beiträgen zur Deza sei nicht zu rechnen, da niemand in die Hand beisst, die ihn füttert.

Reportagen für NZZ, Magazin und SRF

In den letzten acht Jahren wurden mit Bundesgeld über 80 Artikel und Beiträge finanziell unterstützt oder prämiert, die in sämtlichen grossen Deutschschweizer Medien erschienen waren. Sei dies die Reportage über die Risiken des Tourismus auf den Galapagos-Inseln, ausgestrahlt 2016 auf Radio SRF 2, die Reportage über die auswanderungswillige Jugend Südkoreas, publiziert 2018 in Das Magazin oder die Recherche zu den Folgen der internationalen Sanktionen für die Gesundheitsversorgung im Iran, erschienen 2022 in der NZZ.

Wie jetzt bekannt wurde, ist damit bald Schluss. Das bestätigte Martina Fehr (kleines Bild) gegenüber persoenlich.com. Die Direktorin des MAZ – Institut für Journalismus und Kommunikation steht von Amtes wegen dem Verein Real21 als Präsidentin vor. «Vor einem Jahr teilte uns die Deza mit, dass sie die Finanzierung von Real21 einstellen wird. Als Grund nannte man uns die Neuorientierung der Deza sowie die Konzentration auf spezifische Themen», sagt Fehr.

Bereits Print-Publikation eingestellt

Die Deza nennt auf Anfrage «die strategische Fokussierung und die Konzentration auf die Kernaufgaben» als Grund für die Beendigung des finanziellen Engagements zugunsten von Real21. So stelle die Unterstützung der journalistischen Berichterstattung aus dem globalen Süden keine Kernaufgabe der internationalen Zusammenarbeit dar, teilt ein EDA-Sprecher auf Anfrage mit. Aus den gleichen Gründen hat die Deza auch beschlossen, die eigene Publikation Eine Welt einzustellen (persoenlich.com berichtete).

Eigentlich hätte sich die Deza sofort zurückziehen wollen. Im Sinne eines Kompromisses erhält Real21 nun noch den Betrag, den die Deza bisher für ein Jahr gezahlt hatte, für 2023 und 2024. Als Folge davon hat der Vorstand von Real21 entschieden, den Medienpreis auszusetzen, aber den Medienfonds zu erhalten. «Insbesondere freie Journalistinnen und Journalisten und ihre Reportagen zu unterstützen, halten wir unter den gegebenen Bedingungen für nachhaltiger», sagt Vereinspräsidentin Martina Fehr. Ob und wie es nach 2024 weitergeht, ist derzeit noch unklar. Eine Fundraising-Agentur sucht nach möglichen Geldgebern oder Kooperationspartnern. «Wir würden natürlich gerne jemanden finden, der sich langfristig engagieren mag. Aber das dürfte schwierig werden. Es gibt schliesslich viele Medienprojekte, die nach Geldern suchen. Daher schätze ich die Chancen 50 zu 50 ein, dass es Real21 in der bisherigen Form weiterhin geben wird.»

Ohne Unterstützung schwer zu realisieren

Sollte eine Re-Alimentierung nicht gelingen, bekämen das vor allem freischaffende Journalisten und Journalistinnen zu spüren. «Mit Beiträgen aus dem Fonds von Real21 lassen sich Recherchen finanzieren, für die Redaktionen kaum mehr ein Budget haben», teilt die freie Reporterin Tuğba Ayaz auf Anfrage von persoenlich.com mit. Sie konnte 2018 drei Wochen in Südkorea recherchieren. Ein Aufenthalt, den sie ohne finanzielle Förderung schwer hätte realisieren können, wie Ayaz weiter festhält.

Dem kann Samuel Schlaefli beipflichten. Real21 hat seine Berichterstattung mehrmals unterstützt. «Stiftungen und Fonds wie Real21 sind oft die einzige Möglichkeit, um aufwendige Recherchen und Reportagen im Ausland zu finanzieren», gibt auch Schlaefli zu bedenken. Er kritisiert darum den Entscheid der Deza, sich aus der Finanzierung zurückzuziehen. «Dass die Deza ihr Engagement zu einem Zeitpunkt beendet, zu dem die Budgets für freie Autorinnen und Autoren in den Redaktionen sowieso stark unter Druck stehen, ist für die Auslandsberichterstattung eine schlechte Nachricht.» Schlaefli findet, eine gut informierte Öffentlichkeit sollte dem Bund etwas wert sein, damit sie die heutige Welt in ihrer Komplexität versteht. Und Reporterin Tuğba Ayaz ergänzt: «Fallen in der Schweiz Fördermittel für Recherchen im Ausland weg, leidet einmal mehr eine Kernaufgabe im Journalismus: am Ort des Geschehens mit Menschen zu sprechen und Eindrücke zu sammeln.» Was angesichts der Kriege, der Krisenherde, der zunehmenden Migration und der Klimakatastrophen gerade jetzt umso wichtiger wäre.

Auch Westschweizer Projekt betroffen

In der gleichen Situation wie Real21 befindet sich auch der Verein En Quête d’Ailleurs (EQDA) in der Westschweiz. EQDA bringt Journalistinnen und Journalisten aus der Schweiz und aus anderen Ländern zusammen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, im Land des jeweils anderen über ein bestimmtes Thema zu recherchieren. Auch EQDA erhält nur noch bis und mit 2024 Deza-Gelder. Wie bei Real21 sucht man auch in der Westschweiz nach neuen Geldgebern. Vorläufig verfüge man noch über eine kleine Reserve aus einem früheren Programm, teilt Michel Bührer von EQDA auf Anfrage mit.

Nicht betroffen sind die Ausland-Stages von Journalistinnen und Journalisten aus der Schweiz auf Redaktionen im Ausland, die das MAZ zusammen mit dem Deza finanziert.


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