Kurt Pelda, Investigativjournalist «Tages-Anzeiger»
«Ich versuche, mir die Situation selber anzuschauen. Meine Erfahrung ist, dass gerade in Kriegsgebieten viel gelogen wird und auch gelogen werden muss, denn viele Menschen haben Angst, die Wahrheit zu sagen. So kann ich mich nicht auf diese Aussagen verlassen, sondern muss sie mit dem vergleichen, was ich selber sehe und herausfinde. Bei einem Ereignis, beispielsweise einem Bombenangriff, gehe ich an Ort und Stelle und vergleiche meinen Augenschein mit dem, was ich in meinem Kontaktnetzwerk und online finde. Um Bilder, Videos und Aussagen seriös zu analysieren, braucht es Erfahrung und eben auch den Augenschein. Anhand dieser Informationen versuche ich herauszufinden, was das wahrscheinlichste Szenario ist, das heisst, was tatsächlich passiert ist.
Ein grosses Problem ist, dass sich bei uns nur noch wenige Redaktionen für den Nahen Osten interessieren, jedenfalls nicht für die alltäglichen Geschichten und die längerfristige Entwicklung in der Region. Ein zweites grosses Erschwernis ist die Türkei beziehungsweise Erdogan, der keine westlichen Journalisten mehr über die Grenze nach Syrien lassen will. So ist die Türkei das Haupthindernis für eine unabhängige Berichterstattung im Norden Syriens geworden, und nicht etwa der IS oder das syrische Regime.»
Helene Aecherli, Redaktorin Reportagen «Annabelle»
«Mir ist es wichtig, frauenspezifische gesellschaftliche Entwicklungen im Nahen Osten aufzeigen. Im vergangenen April habe ich zum Beispiel für die ‹Annabelle› eine grosse Reportage über das Phänomen der steigenden Anzahl ägyptischer Singlefrauen über 30 gemacht, die von Konservativen als Bedrohung der nationalen Sicherheit betrachtet werden.
Ich fokussiere weniger auf die Religion per se, sondern auf Themen wie Bildung, Arbeit, sexualisierte Gewalt, Menschenrechte, auf Liebe und Sexualität und vor allem auch auf Aspekte wie der Kult um die Jungfräulichkeit, Polygamie oder das Recht auf Selbstbestimmung. Grundsätzlich geht es mir immer darum, das Thema in einen grösseren Kontext zu setzen; etwa zu zeigen, wie sich die noch weit verbreitete toxische Mischung aus Religion, Stammeskultur und Patriarchat auf Frauen – und natürlich auch auf Männer – auswirkt.
Die grösste Herausforderung bei Recherchen im Nahen Osten ist es, die richtigen Leute zu finden. Das braucht oft sehr viel Zeit. Mein Netzwerk habe ich mir über Jahre aufgebaut. Eine weitere Schwierigkeit ist die politische Repression, aktuell besonders in Ägypten, die unter anderem auch auf regierungskritische Leute und Journalisten abzielt. Man muss aufpassen, wie man sich in der Öffentlichkeit verhält, denn schnell kommt der Verdacht auf, eine Spionin zu sein. Ich mache mir dabei jedoch weniger Sorgen um mich selbst als um die Menschen vor Ort. Es ist deshalb unerlässlich, gegenüber jenen, die sich mir öffnen, transparent zu sein. Zudem muss ich mir gut überlegen, was ich schreibe und wie ich etwas formuliere, damit ich meine Informantinnen nicht in Gefahr bringe.»
Katia Murmann, Chefredaktorin von Blick.ch
«Zuerst muss man sich immer den Kontext bewusst sein, in dem man berichtet. Über den Nahen Osten zu schreiben, ist etwas anderes als über den Islam, die Burka oder den verweigerten Handschlag zu berichten. Auch muss man sich bewusst sein, dass es ein Thema ist, das mit vielen Emotionen beladen ist. Umso mehr muss man sich darauf achten, die Fakten korrekt darzustellen und die Ereignisse sauber einzuordnen. Zudem ist es wichtig, seine Gesprächspartner sorgfältig auszuwählen.
Eine Herausforderung ist, dass sich die Fronten zwischen den muslimischen Gemeinschaften und den Journalisten in der Schweiz in den letzten Jahren verhärtet haben. Die Muslime fühlen sich in den Medien meist nur in negativem Kontext dargestellt. Es ist wichtig, dass wir mit der muslimischen Bevölkerung in den Dialog treten. Das heisst aber nicht, die Dinge zu verharmlosen. Es ist unsere Aufgabe hinzuschauen, die Sachen beim Namen zu nennen und den Diskurs anzustossen. Wir dürfen nicht zu brav und zu nett sein.»
Monika Bolliger, ehemals Nahost-Korrespondentin bei der «NZZ»
«Bei der Berichterstattung zum Nahen Osten war und ist mir wichtig, dass ich differenziert berichte und keine pauschalen Schlagwörter verwende. Ich habe stets versucht, möglichst genau zu beschreiben und keine Personen zu karikieren. Mein Credo ist, dass man sich Zeit nehmen muss, um mit den Menschen zu sprechen. Gerade in Ländern, in denen es politische Repression gibt oder gewisse Dinge in der Gesellschaft nicht gesagt werden dürfen, ist es wichtig, dass man auf die Menschen eingeht. Wenn das Vertrauen vorhanden ist, erzählen die Leute manchmal ganz andere Geschichten.
Es ist schwieriger geworden, physisch Zugang zu den Gebieten zu bekommen – sei es wegen kriegerischer Auseinandersetzungen, aus Sicherheitsgründen oder weil man kein Visum bekommt. Die repressiven Regimes wollen keine Journalisten vor Ort und wenn, dann nur mit einem Aufpasser an der Seite. Ist man schliesslich im Gebiet, muss man aufpassen, dass man niemanden in die Bredouille bringt. Selber hat man eine Botschaft im Rücken, die lokalen Kontakte hingegen nicht.»
Die Tagung «Komplexität abbilden – Medien, Wissenschaft und die Darstellung vom Islam und Nahen Osten» an der Universität Zürich widmete sich unter anderem dem Spannungsfeld zwischen der Wissenschaft und den Medien. persoenlich.com hat den Teilnehmenden der Umfrage folgende Fragen gestellt: Was ist Ihnen bei der Berichterstattung über den Nahen Osten besonders wichtig? Was stellt für Sie dabei das grösste Problem dar?