Das Ziel ist ambitioniert. Bis Ende 2025 will Somedia mit seiner Südostschweiz die Marke von 8000 Digitalabos erreichen. Heute zählt der Verlag knapp unter 1000. Joachim Braun kommentiert den tiefen Wert ganz freimütig: «Somedia ist nicht der Vorreiter der Digitalisierung in der Schweiz.» Das soll sich ändern.
Wertvolles Wissen
Seit 1. September arbeitet der deutsche Journalist als Co-Leiter der Chefredaktion und Verantwortlicher für die digitale Transformation beim Medienhaus in Chur. Von seiner früheren Arbeitsstelle als Chefredaktor dreier Tageszeitungen bei der Zeitungsgruppe Ostfriesland bringt Braun wertvolles Wissen in die Schweiz mit. Beim Verlag im Norden Deutschlands machte er das, was bei Somedia nun ansteht. «Ich mache das nun zum vierten Mal», sagt Braun. Bereits in Bayreuth und in Frankfurt war es seine Aufgabe, Lokalzeitungen auf den digitalen Erfolgsweg zu bringen. Seine Aufgabe wird nun auch bei Somedia sein, die digitale Publizistik so zu organisieren, dass sie vermehrt ein zahlendes Publikum findet.
Dass er überhaupt in die Schweiz gefunden hat, ist ein Zufall. Anfang Jahr war Braun zu Gast bei Somedia und berichtete über die erfreuliche Entwicklung seiner Zeitungen in Ostfriesland. «Beiden hat's gut gefallen. So fanden wir zueinander», sagt Joachim Braun im Gespräch mit persoenlich.com. Und Braun kam nicht allein nach Chur. Er brachte ein ganzes Netzwerk mit. Wie letzte Woche bekannt wurde, nimmt Somedia ab 1. Januar 2024 als erster Schweizer Verlag an der sogenannten Drive-Datenallianz teil.
2020 haben die Deutsche Presse-Agentur dpa und das Beratungsunternehmen Schickler die Digitale Revenue Initiative, kurz: Drive, gegründet. Die beiden Unternehmen wollen «Zeitungsverlage beim Aufbau tragfähiger digitaler Erlösmodelle» unterstützen, damit diese mehr Abos generieren und sie länger halten können. Seither haben sich in Deutschland und Österreich 25 kleinere Verlage und Verlagsgruppen mit über 50 Titeln der Initiative angeschlossen, darunter auch die Zeitungsgruppe Ostfriesland, wo Joachim Braun zuletzt als Chefredaktor gearbeitet hat.
«Wir lernen alle voneinander»
«Anders als grosse Medienkonzerne können sich kleine Verlage keine eigene Fachabteilung für Datenanalyse leisten», sagt Braun. Drive helfe, dieses Manko zu kompensieren, denn «wir profitieren und lernen alle voneinander». dpa und Schickler stellen die Analyse-Instrumente bereit, und die Verlage füttern sie mit ihren Daten. Von den Ergebnissen und Erkenntnissen profitieren wiederum alle. «Es herrscht eine grosse Offenheit und Transparenz untereinander», sagt Joachim Braun. Selbst Verlage kooperieren, deren Verbreitungsgebiete aneinander grenzen oder die sich gar überschneiden. «Unsere Konkurrenten sind nicht die anderen Verlage, sondern Netflix und Google, die das Zeitbudget der User beanspruchen», gibt Braun zu bedenken.
Wie aber kann Somedia von Drive profitieren, wenn alle übrigen Teilnehmer aus Deutschland oder Österreich stammen? Das sei kein Problem, heisst es auf Anfrage bei der dpa. «Fast alle datenbasierten Erkenntnisse von Drive und die zentralen Metriken sind auch international gültig», teilt Jens Petersen, Leiter Konzernkommunikation, mit. Und auch Joachim Braun sieht in der Sonderstellung von Somedia keinen Nachteil. «Die Bedürfnisse der User sind die gleichen in Ostfriesland und in Chur», sagt Braun. Auch Verlegerin Susanne Lebrument sieht grosse Ähnlichkeiten zwischen den Regionen im Norden Deutschlands und im Südosten der Schweiz: «Beide haben zwar Städte, aber keine Stadt, die eine Zentrumsfunktion innehat», schrieb die Delegierte des Verwaltungsrats von Somedia in einem Blog-Post nach Brauns erstem Besuch in Chur. Ideale Voraussetzungen, findet Braun, damit das mittelgrosse Medienhaus auch weiterhin unabhängig bleiben kann. «Das Verbreitungsgebiet ist in sich geschlossen, und es gibt wenig Konkurrenz», sagt er.
Bedürfnisse der User im Zentrum
Dank seiner Erfahrung und der vergleichbaren regionalen Märkte in Deutschland und der Schweiz muss Braun bei seiner vierten Station als Mister Transformation nicht bei Null anfangen. Im Kern wird es darum gehen, die Publizistik von Somedia noch stärker auf die Bedürfnisse der User auszurichten und sich dazu auf eigene Daten und solche aus der Drive-Allianz abzustützen. So ist etwa bekannt, dass 80 Prozent der Artikel auf einer News-Site schlecht bis gar nicht gelesen werden. Um die Quote der sogenannten Geisterartikel zu reduzieren, müssten «Reporter lernen, schon bei der Themenfindung die Perspektive der Leser einzunehmen und konsequent mit Blick auf deren Bedürfnisse zu schreiben», steht dazu im deutschen Fachmagazin Kress. In dem Artikel wird auch Joachim Braun zitiert, der von «kontroversen Diskussionen in der Redaktion» zu berichten weiss: So sähen einige die Gefahr, dass von vornherein in eine bestimmte Richtung recherchiert werde, um das gewünschte Leserbedürfnis zu bedienen.
Solche Diskussionen wird es auch bei Somedia geben. Im Grundsatz habe man aber in Chur die «Notwendigkeit des Wandels erkannt», sagt Braun im Gespräch mit persoenlich.com. Gleichzeitig sagt er auch, dass es jetzt keine Kompromisse mehr vertrage. «Das ist der Schweizer Mentalität etwas abträglich. Aber ich wäre nicht nach Chur gekommen, wenn ich nicht an den Erfolg glauben würde.» Und der wird sich an der Anzahl Digitalabos messen lassen. 8000 sollen es sein in zwei Jahren.