«Würde man heute einen medialen Service public von Grund auf aufbauen, was sollte dieser Ihrer Meinung nach umfassen?»
Diese Frage hat persoenlich.com circa 25 Persönlichkeiten gestellt, die eng zu den Medien oder der Kommunikationsbranche stehen. Dazu noch die Bitte, die Antwort auf 1000 Zeichen zu beschränken. Zehn der Angefragten haben sich auf das Gedankenspiel eingelassen. Das sind ihre Beiträge:
Jürg Bachmann
Präsident KS/CS Kommunikation Schweiz
«Ein gemeinschaftlich finanzierter, medialer Service public sichert in allen Sprachregionen eine Grundversorgung der Bevölkerung mit abgesicherten Nachrichten und weiteren Themen. Für die Werbung bietet er ein wertvolles Inventar, das es den Werbeauftraggebern ermöglicht, zusammen mit den Angeboten der privaten Veranstalter, alle Zielgruppen der Bevölkerung anzusprechen. Denn die Werbewirtschaft will attraktive und gut genutzte Programmangebote, die wahrgenommen werden und um die herum sie Werbung schalten kann. Aus Werbesicht wäre es sinnvoll, wenn auf möglichst vielen Mediengattungen des Service public Werbung platziert werden könnte. Weil öffentlich-rechtliche Angebote im überschaubaren Schweizer Markt eine dominierende Sogwirkung auslösen könnten, ist es vernünftig, wenn gewisse Mediengattungen davon ausgenommen sind oder zur Zusammenarbeit mit privaten Veranstaltern verpflichtet werden. Ein funktionierendes Mediensystem braucht private und öffentlich-rechtliche Programmangebote. Das ist auch im Interesse der Werbung.»
Jan De Schepper
Präsident Schweizer Werbe-Auftraggeberverband (SWA) und Chief Sales and Marketing Officer bei der Swissquote Bank
«Würde man heute einen medialen Service public neu denken, müsste er sich auf das konzentrieren, was für eine direkte Demokratie unverzichtbar ist: den Zugang zu verlässlicher, unabhängiger und vielfältiger Information für alle – unabhängig von Region, Einkommen oder Bildung. Nur so können Bürger die Wahrheit erfahren, unterschiedliche Positionen verstehen und fundiert mitentscheiden. Im Zentrum stehen deshalb regionale Berichterstattung, politische Bildung, Kultur und sprachliche Vielfalt. Der Service public muss plattformneutral, digital zugänglich und barrierefrei sein. Unterhaltung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie integrativ und nicht kommerziell ersetzbar ist. Entscheidend ist ein klarer Fokus: kein Wettbewerb mit privaten Medien, sondern gezielte Ergänzung – vor allem dort, wo Marktversagen droht, etwa in der regionalen Grundversorgung. Ein solcher Service public ist nicht nur nötig, sondern demokratiepolitisch zwingend.»
Roger de Weck
Ehemaliger SRG-Generaldirektor und Autor von «Das Prinzip Trotzdem – Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen»
«I. 1922 schufen die pragmatischen Briten die BBC: Dieser weltweit erste Service public sollte beitragen a) zur Demokratie dank verlässlicher Information für das breite Publikum; b) zum nationalen Zusammenhalt dank attraktiver Angebote, die viele Menschen zusammenführen; c) zur Kultur. Dieses Rad muss nicht neu erfunden werden. Neu kommt hinzu: Service public muss sich – auch – zur sozialen Plattform mit demokratiefreundlichen Algorithmen fortentwickeln. II. Alle zahlen die Gebühr, darum muss der Service public auch morgen alle bedienen: dort, wo sie sind, also zusehends online. III. Journalismus fürs breite Publikum braucht allzeit den Mix aus Information, Kultur, Unterhaltung und Sport. Spartenangebote (wie Arte) erreichen winzige Publika. IV. Service public stützt die Nutzung privater Medien – das ist Stand der Wissenschaft. Wo der Service public ein Mauerblümchendasein fristet wie in den USA, fehlt offensichtlich sein Beitrag zur verlässlichen Information der Bevölkerung und zum Zusammenhalt.»
Martina Fehr
CEO des MAZ – Institut für Journalismus und Kommunikation
«Ein starker medialer Service public ist für aufgeklärte Bürger:innen so lebenswichtig wie sauberes Wasser. In einer Welt voller KI-Fakes und raffinierter Propaganda darf er nicht schrumpfen, sondern muss als Rückgrat des gesamten Medienökosystems angelegt sein, das Orientierung bietet, Vertrauen schafft und demokratische Prozesse absichert. Dazu braucht es ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Verantwortung: Öffentlich-rechtliche Anbieter, private Medienhäuser und Ausbildungsstätten müssen zusammen dafür einstehen, dass jederzeit verlässliche und verifizierte Informationen zugänglich sind. Gleichzeitig gilt es, algorithmische Inhalte nachvollziehbar und transparent zu deklarieren, einen digitalen Raum für gepflegte und moderierte Debatten zu schaffen und die Bevölkerung gezielt im Erkennen von Desinformation und Manipulation zu stärken. Die Anforderungen an Journalismus, Behörden und Öffentlichkeit steigen und sind facettenreich. Umso wichtiger ist es, dass die Medienbranche die gesamte demokratierelevante Palette gemeinsam abdeckt und schützt. Der Service public von morgen muss nicht kleiner gedacht werden, sondern grösser – und vor allem gemeinschaftlich.»
Anna Jobin
Präsidentin der Eidenössischen Medienkommission (Emek)
Die Emek ist überzeugt, dass der mediale Service public im digitalen Zeitalter als demokratiefördernde Infrastruktur wirken muss, die über reine Inhaltsproduktion hinausgeht (persoenlich.com berichtete). Gleichzeitig wird durch ihn eine technologieneutrale mediale Grundversorgung sichergestellt. Zudem soll der mediale Service public einen ‹Public Space› zur Verfügung stellen als Alternative zum digitalen ‹Profit Space› der globalen Internetkonzerne. Ein solcher ‹Public Space›, basierend auf Open-Source-Lösungen, arbeitet mit gemeinwohlorientierten Algorithmen, welche Vielfalt, Minderheitsperspektiven und föderalen Austausch priorisieren. Diese Infrastruktur beinhaltet auch Debattenräume, die sich nicht an Profitlogik orientieren, sondern an demokratischen Grundwerten.
Als Katalysator für Kooperationen fördert der moderne mediale Service public auch Partnerschaften mit verwandten Institutionen wie Privatmedien, Archiven und Hochschulen – nicht als Konkurrent, sondern als Stütze der Medienvielfalt und als Beitrag zur freien Meinungsbildung.»
Hanspeter Kellermüller
CEO Keystone-SDA
«Ein idealer medialer Service public ist keine fixe Grösse. Sein Inhalt ergibt sich aus dem Zusammenspiel mit anderen Medienangeboten. Es geht darum, was uns als Gesellschaft ohne Service public fehlen würde. Wo gäbe es eine Unterversorgung, mangelnde Qualität oder Vielfalt? Da ist viel Raum für Debatten. Die Finanzierung journalistischer Angebote steht unter Druck. Es braucht daher zeitgemässe medienpolitische Massnahmen zur Stärkung des hiesigen Medienangebots. Dazu gehört auch der mediale Service public. Eine publizistische Unterversorgung droht vor allem im Lokalen. Hier könnte man einen stärkeren Fokus setzen – nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu den Angeboten lokaler und regionaler Medien. Weiter gibt es keinen Service public ohne Publikum – nachfolgende Generationen sollten deshalb mit passenden Angeboten für journalistische Inhalte gewonnen werden. Und ja, zum Grundstock eines medialen Service public gehört auch eine starke nationale Nachrichtenagentur, welche sämtliche Medien mit multimedialen Inhalten bedient.»
Andrea Masüger
Präsident Verlegerverband Schweizer Medien VSM
«Die Idee des medialen Service public stammt aus den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts. Angesichts grosser technischer und finanzieller Hürden für Rundfunkdienste (teure Infrastruktur, Frequenzen etc.) war es angezeigt, dass der Staat finanziell und regulatorisch aktiv wurde und eine Organisation mit der Ausführung betraute (SRG). Diese Prämissen haben sich gewandelt. Heute könnten auch private Anbieter den grössten Teil der Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewährleisten. Wenn man also heute den medialen Service public auf der grünen Wiese gestalten wollte, müsste man sich zuerst darüber klar werden, ob die Privaten einen solchen nicht ohnehin schon leisten. Käme man zum Schluss, dass dies in Teilen nicht der Fall ist (zum Beispiel in marktmässig uninteressanten Gebieten), müsste man zuerst die zu erbringenden Leistungen definieren und danach festlegen, wer diese erbringen kann. Das könnten private oder öffentlich-rechtliche Anbieter sein, die mit Leistungsaufträgen auf Lizenzbasis arbeiten würden, finanziert durch eine zu definierende Abgabe. Angesichts der heute real existierenden SRG ist diese Grüne-Wiese-Strategie aber müssig, weil die SRG in der Gesellschaft breit abgestützt ist und eine wichtige Funktion im medialen System einnimmt. Mit der kürzlich geschlossenen Vereinbarung zwischen der SRG und dem Verlegerverband nimmt sich die SRG in Bereichen, welche die Privaten ebenso gut anbieten können, zurück. Damit wurde der mediale Service public in der Schweiz zwar nicht auf die Grüne Wiese gestellt, aber zumindest in Teilen neu justiert. Es handelt sich hier um meine persönliche Meinung und nicht um eine offizielle Haltung des VSM.»
Jürg Müller
Direktor von Avenir Suisse
«Beim Service public geht es immer um die Sicherstellung einer landesweiten Grundversorgung. Für den Medienbereich heisst das: Wo der Markt versagt, gilt es, die Informationsversorgung und Meinungsvielfalt gezielt zu ergänzen. Der mediale Service public ist dabei klar von Kultur-, Sport- und Bildungspolitik abzugrenzen, um Überfrachtung und Aufgabenvermischung zu vermeiden. Im Zentrum steht die Bereitstellung von Informationen für eine demokratische Gesellschaft, wobei in der föderalen Schweiz gerade regionale Aspekte zentral sind. Ein moderner Service public hält sich an vier Prinzipien. Erstens muss er technologieneutral sein; es geht gerade nicht um bestimmte Kanäle, Mediengattungen oder Plattformen. Zweitens gilt es, Versorgungslücken gezielt zu schliessen, sodass private Initiativen nicht verdrängt werden. Drittens ist die Unabhängigkeit zu gewährleisten und eine hohe publizistische Qualität sicherzustellen. Viertens, die Nachfrage muss berücksichtigt werden – denn ein medialer Service public bringt nur etwas, wenn er die Menschen in der Breite erreicht.»
Manuel Puppis
Professor für Medienstrukturen und Governance an der Universität Freiburg/Fribourg und Vizepräsident der EMEK
«Zwei Dinge bleiben gleich: Ein Service public muss auch künftig relevante publizistische Inhalte in allen Landessprachen produzieren, die in ihrer Gesamtheit alle gesellschaftlichen Gruppen bedienen. Und er muss alle Genres abdecken, wobei sich die Machart der Sendungen von privaten Anbietern zu unterscheiden hat. Die Produktion erfolgt aber nicht mehr in erster Linie für lineare Radio- und Fernsehkanäle, sondern für das Internet. Inhalte auf der Newswebsite sowie im Streamingangebot können mittels eines Algorithmus, der auf Service-public-Ziele hin optimiert wurde, personalisiert ausgespielt werden. So weit, so unkontrovers. Das Onlinenachrichtenangebot darf auch Text beinhalten – alles andere ist weder journalistisch noch aus Sicht der Nutzenden sinnvoll. Und wir brauchen eine medienpolitische Diskussion darüber, welche Aufgaben ein Service public in einer digitalisierten Gesellschaft zusätzlich zur Produktion und Distribution von Inhalten wahrnehmen soll. Ich bin überzeugt, dass er sich zu einer Infrastruktur für gesellschaftliche Debatten, zu einem ‹Public Open Space› entwickeln sollte. So ein digitaler Debattenraum, der nicht von globalen Plattformen kontrolliert wird, ist für eine funktionierende Demokratie dringend nötig.»

Michael Wanner
CEO CH Media
«Die zentrale Frage ist nicht, was medialer Service public theoretisch sein soll, sondern wie wir die journalistische Informationsversorgung in der Schweiz auch in Zukunft sichern und finanzieren können. Dafür braucht es ein starkes duales Mediensystem, in dem sich die SRG und die privaten Medien komplementär ergänzen. Denn: Auch private Medien leisten einen wichtigen Beitrag zum medialen Service public. CH Media zum Beispiel steht für unabhängigen, vielfältigen und regional verankerten Journalismus – über Radio, TV, Print, Online und digitale Plattformen. Mit 19 Zeitungstiteln berichten wir aus Kantonen, Bundesbern sowie dem In- und Ausland. Unsere Lokalradios und Regional-TV-Sender wie TeleZüri oder Radio Argovia leisten täglich Service public – direkt vor Ort, nah am Publikum. Damit wir diesen für unsere direkte Demokratie essenziellen Beitrag auch in Zukunft bereitstellen können, braucht es faire Rahmenbedingungen. Die kurzfristigen, dringlichen Massnahmen liegen auf dem Tisch: eine temporäre Erhöhung der bestehenden Indirekten Presseförderung sowie ein wirksamer Urheberrechtsschutz gegenüber Big Tech.»
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11.06.2025 11:08 Uhr
11.06.2025 07:36 Uhr