Wer komplexe Inhalte auf unterhaltsame und leicht verständliche Weise lesen möchte, sollte sich an Texte des Journalisten Constantin Seibt halten. Was der preisgekrönte «Tages-Anzeiger»-Journalist niederschreibt, wird gelesen und hat Gewicht.
Kürzlich war es wieder soweit. Ein von Seibt verfasster Artikel flutete letzten Dienstag die sozialen Netzwerke. Er wurde fleissig geteilt und geliked. Das Thema des Artikels war Gewalt an Frauen und rief dazu auf, dass Männer Frauen im Kampf für Gleichberechtigung endlich unterstützen sollten.
So weit, so gut. Nur: Der Autor wusste nichts davon. Er weilte in den Ferien und hat sich vermutlich ungläubig die Augen gerieben, als er sein Handy einstellte. Via Twitter teilte er mit, dass der Text nicht aus seiner Feder stamme:
In den Ferien. Handy eingestellt. Und gesehen, dass ich was geschrieben hab, was ich gar nicht geschrieben hab. Das: https://t.co/vXsIu6QXf3
— Constantin Seibt (@ConstSeibt) 30. November 2016
Und Teufel: perfekte Fälschung. Mit Sartre-Zitat am Anfang, Hegel am Schluss - da hat jemand ziemlich die Tricks kopiert. Gratulation!
— Constantin Seibt (@ConstSeibt) 30. November 2016
Kurz: Ich wäre stolz gewesen, das geschrieben zu haben. Dabei sass ich den Tag auf dem Rücksitz eines Motorrades. (Gesteuert von einer Dame)
— Constantin Seibt (@ConstSeibt) 30. November 2016
Stück für Stück kam ans Licht, was es mit dem Artikel auf sich hatte. Die URL, auf welche umgeleitet wurde, gehörte nicht dem «Tages-Anzeiger» – dem Pfad fehlte das zweite «A». Die Seite, auf der der Artikel gehostet war, sah nur so aus, als gehöre sie zum Online-Auftritt der Zeitung. Die Urheber des Fake-Artikels meldeten sich schliesslich auf Facebook zu Wort.
Das Online-Portal Vice wollte es genauer wissen und recherchierte die Geschichte hinter dem Fake-Artikel. «Der Journalisten-Hack ist mutig, scharfsinnig und hat einen Nerv getroffen. Er wirft aber auch viele Fragen auf», schreibt Redaktionsleiterin Vanessa Sadecky. Den Internetauftritt des «Tages-Anzeigers» zu kopieren und zu behaupten, Seibt sei der Urheber eines Textes, sei justiziabel.
Tamedia interveniert
«Die Kampagne versucht, die Marke und Glaubwürdigkeit des ‹Tages-Anzeigers› für politisches Campaigning zu nutzen», sagt Tamedia-Mediensprecher Christoph Zimmer auf Anfrage von persoenlich.com. Das könne man unabhängig vom Anliegen nicht akzeptieren. Dies hätten sie den Betreibern der Website letzte Woche mitgeteilt.
Auf Drängen von Tamedia ist der Artikel inzwischen nur noch auf dem Online-Portal Medium abrufbar – mit den korrekten Autorennamen. Damit scheint die Sache für Tamedia vorerst gegessen zu sein. «Wenn das so bleibt, sind keine weiteren Massnahmen geplant», sagt Zimmer dazu.
KOMMENTARE
06.12.2016 08:11 Uhr