Ladina Heimgartner, warum hat es so lange gedauert, bis Blick.ch einen Teil seiner Inhalte kostenpflichtig anbietet?
Die Zeit war bis jetzt einfach nicht reif. Respektive: Wir haben das immer wieder angedacht in der Vergangenheit, aber dann doch entschieden, weiter auf Reichweite zu bauen. Im Nachhinein muss ich sagen: Das war richtig. Je mehr oben in den Trichter reinkommt, desto grösser ist die Chance, dass unten etwas hängen bleibt. Und diese grosse Reichweite hilft uns nun hoffentlich beim Aboverkauf.
Gab es im Unternehmen auch Stimmen, die sich gegen Paid Content aussprachen?
Ab einem gewissen Moment war allen klar, dass wir das nun machen. Wir haben Medien in Skandinavien, den Niederlanden und Belgien genauer angeschaut, die sehr ähnlich gelagert sind wie wir. Und alle haben uns gesagt: «Macht das, habt keine Angst!» Diesen Ratschlag bekamen wir überall. Diese Verlage hatten zuerst Respekt, dass die Reichweite bei ihnen einbricht, wenn sie ein Bezahlangebot einführen, aber das ist nirgends passiert.
Blick bietet den zahlenden Kunden als Mehrwert exklusive Service-Inhalte. Dazu hat die Redaktion ein eigenes Ressort aufgebaut. Warum ausgerechnet Service?
Weil wir uns die Frage gestellt haben, was die Medien heute leisten müssen. Früher war die Antwort ganz klar: informieren und unterhalten. Heute sollten grosse Medientitel – und der Blick ist nun mal einer der grössten – Begleiter in allen Lebenslagen sein. Wie können wir den Leuten weiterhelfen, wie können wir ihnen Orientierung bieten? Auf diese Fragen wollen wir Antworten liefern. Natürlich nicht im luftleeren Raum, sondern dann, wenn ein News-Thema für mich als Individuum relevant wird.
«Wir bieten eine Qualität, die einfach verständlich und sehr nah bei den Menschen ist»
Service-Inhalte finden sich sehr viele gratis im Internet, von Lebenshilfe bis zu Kochrezepten. Welchen Mehrwert bietet Blick+, der den Preis rechtfertigt?
Bei uns steht ein Qualitätsstempel drauf. Da stehe ich zu 100 Prozent hinter Blick. Wir bieten eine Qualität, die einfach verständlich und sehr nah bei den Menschen ist. Das unterscheidet uns von anderen. Wir haben schon heute hinter der Login-Schranke Artikel, die sehr gut ankommen. In den letzten Monaten begannen wir zu testen, ob die Leute die Zusatzhürde einer Registrierung nehmen, wenn sie einen bestimmten Artikel lesen wollen.
Das war quasi der Testlauf für die Einführung des Digitalabos?
So konnten wir uns etwas annähern. Die Frage war die, ob sich die Leute Zeit nehmen, um sich einzuloggen, oder nicht. Etwa bei Artikeln rund um Beziehungsfragen nahmen sich viele die Zeit und erstellten ein persönliches Login, damit sie die Artikel lesen konnten. Aber man kann ein Digitalabo nie simulieren.
Ein Monat Blick+ kostet 9.90, ein Jahr 99 Franken. Warum diese Beträge?
Wir sind preislich günstiger als unsere Mitbewerber. Die Preisstruktur haben wir mit zwei Agenturen angeschaut, die darauf spezialisiert sind. Die haben das am Markt getestet und eruiert, wo die Schwellen liegen und wie weit man gehen kann. Ich glaube, dass wir sehr attraktive Abo-Modelle anbieten.
«Die Leute sollen sich nicht frustriert abwenden»
Welches sind eure zentralen Argumente, um Leute für ein Abo zu gewinnen?
Wer sich kurz informieren will, kann das weiterhin genauso tun wie bisher auf Blick.ch. Wer aber in ein Thema eintauchen möchte, kauft ein Abo. Auch von den kostenpflichtigen Artikeln wird man mehr lesen können als auf anderen Portalen, bevor die Aufforderung zum Zahlen kommt. Eine Kurzzusammenfassung wird für alle frei zugänglich bleiben. Die Leute sollen sich nicht frustriert abwenden.
Wie viele Artikel finden sich im neuen Digitalabo?
Rund 200 Artikel pro Monat werden kostenpflichtig und exklusiv für Blick+-Abonnentinnen und -Abonnenten zugänglich sein. Das Team hat in den letzten Monaten bereits viel produziert, sodass das Abo-Angebot von Tag eins an reichhaltig ist. Und ich mache jetzt etwas Werbung: Als Kennenlern-Angebot gibt es Blick+ im ersten Monat sogar kostenlos.
Wie kommuniziert Blick die Einführung der Kostenpflicht?
Die Kostenpflicht soll nicht negativ konnotiert sein, wie das manchmal der Fall ist. Denn es wird nicht einfach kostenpflichtig, was es bisher schon gab. Wir bieten viel Neues auf mehreren Ebenen und dies kommunizieren wir unseren Nutzerinnen und Nutzern auch. Wir bieten mehr Blick, aber auf eine Art, die sehr gut zu vereinbaren ist mit dem bisherigen Reichweitenmodell. Augenzwinkernd bewerben wir das Angebot, indem wir aus Plus ein Verb machen. Das heisst dann: «Ab jetzt wird geplusst.» Aber wir machen kein Brimborium zum Start, auch weil wir wissen, hier handelt es sich um einen Marathon und nicht um einen Sprint.
«Neben der Orientierung an den Klicks kommt jetzt eine zweite Währung dazu»
Es werden ja nicht nur die neuen Service-Artikel hinter der Paywall stehen, sondern auch aufwendigere Newsartikel, wie es sie schon bisher gab. Wie entscheidet ihr, was kostenpflichtig wird?
Das entscheiden wir punktuell, das wird auch getestet. Im Laufe der Zeit wird uns der Algorithmus Empfehlungen machen können, was sich eher eignet für Reichweite und was sich besser eignet für Blick+. Ein Beispiel: Beim SonntagsBlick kommt es manchmal vor, dass aufwendig recherchierte Artikel online nicht wahnsinnig viel Reichweite gewinnen, weil sie nur eine vergleichsweise kleine Gruppe ansprechen. Mit Blick+ haben wir nun die Möglichkeit, diese Interessengruppen dazu zu bewegen, ein Abo abzuschliessen. Das kann auch motivierend sein für die Redaktion. Und darum geht es am Schluss auch. Neben der Orientierung an den Klicks kommt jetzt eine zweite Währung dazu.
Wie wird Blick+ den Blick-Journalismus verändern?
Blick bleibt Blick, egal ob ein Artikel kostet oder nicht. Da müssen wir den genau gleichen Qualitätsanspruch haben. Nur weil wir jetzt auch kostenpflichtige Inhalte anbieten, wird unser Angebot nicht in eine Zweiklassengesellschaft unterteilt. Mit dem Plus-Angebot gehen wir einfach noch stärker in die Tiefe.
Ist die Einführung von Paid Content ein weiterer Schritt weg vom Boulevard?
Genau, wir nennen es nicht mehr Boulevard. Wir verstehen uns als Newsplattform, die schnell ist und auch komplexe Themen sehr einfach erklären und erläutern kann. Dabei stellen wir immer den Menschen ins Zentrum – das macht uns aus, dafür stehen wir.
«Das Digitalabo ist für mich alternativlos, weil es ein Teil vom Ganzen ist»
Welche finanziellen Erwartungen habt ihr an Blick+?
Dieser Fall ist etwas anders gelagert als sonstige Business Cases. Normalerweise gibt es klare Zielwerte, die man möglichst rasch erreichen will. Das steht bei Blick+ nicht im Vordergrund. Natürlich haben wir einen soliden Businessplan. Aber wenn wir zum Beispiel in drei Jahren nicht den Break-even erreichen, hören wir nicht auf mit Blick+. Es geht ja nicht nur darum, ob es ein Digitalabo gibt oder nicht, sondern um ein ganzes Ökosystem. Blick+ ist ein Teil davon. Jetzt haben wir Abos, Reichweite, Partnerschaften, E-Commerce. Darum ist das Digitalabo für mich alternativlos, weil es ein Teil vom Ganzen ist und nicht etwas, das man isoliert anschauen kann.
Soll oder kann das Bezahlangebot auch helfen, Verluste beim Verkauf des gedruckten Blick zu kompensieren?
Dass die Erlöse aus dem Zeitungsgeschäft unter Druck stehen, ist für alle Medienhäuser ein Thema – und ein Turnaround ist schwierig. Blick+ ist deshalb eine wichtige Säule, um die Einnahmequellen zu diversifizieren und Printverluste zu kompensieren.
Sie sind auch Head of Global Media. Hat Ringier bei Onlinemedien in anderen Ländern Paywalls eingeführt?
Ganz frisch gibt es in der Slowakei bei Aktuality ein kostenpflichtiges Angebot. Dort hat auch der ermordete Journalist Jan Kuciak gearbeitet. Die Kolleginnen und Kollegen geniessen eine grosse Glaubwürdigkeit für ihren freien, unabhängigen Journalismus. Darum passt das auch sehr gut. Aktuality war bisher gratis. In den letzten Jahren gab es die Möglichkeit zum Spenden. Schon da haben die Leute gerne bezahlt. Jetzt bieten sie Online-Abos an. Das ist bisher das einzige Ringier-Medium im Ausland, das auf Paid Content setzt, abgesehen von den Medien unseres Joint Ventures mit Axel Springer in Polen. Die setzten im grossen Stil auf Paid Content.
Können die Erfahrungen, die Blick nun in der Schweiz mit Bezahlinhalten macht, für andere Ringier-Medien im Ausland genutzt werden?
Ich kann mir vorstellen, dass Blick für Serbien und für Ungarn, wo es Blic und Blikk gibt, eine Vorbildrolle einnehmen könnte, weil das sehr ähnlich gelagerte Publikationen sind. Zuerst geht es aber auch dort darum, die Leute überhaupt erst zu einer Gratis-Registrierung zu bewegen. Das ist schon viel wert.
Apropos Serbien und Ungarn: Das sind beides keine Musterdemokratien. Ringier wiederum ist ein stark werteorientiertes Unternehmen geworden, was Gleichstellung oder LGBTQ-Freundlichkeit angeht. Wie bewegt sich Ringier in diesem Spannungsfeld?
Ringier ist auch sehr unternehmerisch getrieben und die Managements in den verschiedenen Ländern sind weitgehend autonom. Ringier Serbien steht hinter unseren Werten, etwa in Sachen LGBTQ oder sie positionieren sich klar im Russland-Ukraine-Kontext, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.
Wie sieht das konkret bei Blic aus, dem Schwesterblatt von Blick in Serbien?
Blic ist kein Parteiblatt, bildet also immer eine breite Perspektive an Ansichten ab. Darunter auch Positionen, über die wir hier in der Schweiz vielleicht die Nase rümpfen würden oder die wir aus unserer Sicht sogar verurteilen, etwa beim Umgang mit Kosovo. In solchen Fällen muss man aber immer den kulturellen Hintergrund und die Geschichte verstehen, das bedeutet auch viel Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Wir können nicht alles durch die Schweizer Brille beurteilen.
Wenn wir bei Werten sind: Zero Tolerance gehört auch dazu. Blick-Chefredaktor Christian Dorer nimmt deswegen eine Auszeit. Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass er zurückkommt?
Dazu kann ich nichts sagen. Wir lassen das genau abklären. Wir haben angekündigt, dass wir einen mehrteiligen Culture Audit in Auftrag geben. Die grosse Mitarbeiterbefragung ist beispielsweise jetzt abgeschlossen. Aber ich kenne die Resultate noch nicht. Es ist daher komplett offen, wie es weitergeht. Es ist nicht einfach. Aber die Zeit wollen wir uns nehmen.