Weshalb die NZZ auf das Programm verzichtet

Kino - Anders als der Tages-Anzeiger druckt die Neue Zürcher Zeitung das Kinoprogramm der Stadt Zürich seit Sommer 2020 nicht mehr ab. Auch nach der Pandemie wurde es nun nicht mehr aufgenommen. «Wir haben bei dieser Rubrik kein Alleinstellungsmerkmal», heisst es bei der NZZ.

von Tim Frei

Wollen Leserinnen und Leser in der NZZ erfahren, welche Filme wann in den Kinos der Stadt Zürich laufen, blicken sie in die Röhre: Seit mehr als eineinhalb Jahren druckt die Neue Zürcher Zeitung das Kinoprogramm nicht mehr ab. Letztmals erschienen war es am 30. Juni 2020, wie Thomas Berner, Präsident Zürcher Kinoverband und Geschäftsleiter Werbe+Verlags AG, auf Anfrage von persoenlich.com sagt.

Dieser Wegfall ist eine weitere Herausforderung für die Kinos, der sie sich während der Pandemie stellen mussten. Wie die Film-/Kinostatistik des Bundesamts für Statistik zeigt, konnte sich die Branche 2021 in Sachen Ticketabsatz im Vergleich zum ersten Coronajahr 2020 zwar leicht erholen. Doch die Kinos bewegen sich nach wie vor deutlich unter dem Niveau des Vorpandemiejahrs 2019 (persoenlich.com berichtete).

Die Werbe+Verlags AG verantwortet unter anderem die Erstellung von Kino-Programmübersichten in Printpublikationen. Vor der Streichung sei das Kinoprogramm über Jahrzehnte und im Umfang einer halben Zeitungsseite in der NZZ publiziert worden, sagt Thomas Berner. 

Kinos: «NZZ hat Verzicht mit Spargründen erklärt»

Mitten in der Pandemie waren Medienhäuser aufgrund des Inserateeinbruchs gezwungen, Umfangskürzungen vorzunehmen. Berner erinnert sich: «Die NZZ hat uns mitgeteilt, dass sie aus Spargründen künftig auf das Kinoprogramm verzichten muss.»  

Die Neue Zürcher Zeitung muss bei der Frage, was zu diesem Entscheid geführt habe, etwas ausholen: «Bereits ein Jahr vor Corona hat die NZZ-Redaktion sich mit der Zukunft der gedruckten Zeitung auseinandergesetzt. Dabei wurden selbstverständlich auch Rückmeldungen aus Zuschriften und Befragungen unserer Leserschaft berücksichtigt», sagt Kommunikationschefin Karin Heim.

Viele Abonnentinnen und Abonnenten der NZZ würden gerade im Print eine Konzentration auf das Wesentliche erwarten. «Diesem Wunsch kommen wir nach, indem wir in den Bereichen, in denen wir ein Alleinstellungsmerkmal haben und Marktführer sind, keine Abstriche machen – also bei der Wirtschafts- und in der Auslandberichterstattung», sagt Heim und betont: «Dort, wo das nicht der Fall ist – beispielsweise beim Kinoprogramm – haben wir uns zu stärkeren Reduktionen entschlossen.»

Kinorubrik für Region erscheint einmal wöchentlich

Infolge der Coronapandemie seien die definierten «Massnahmen und Kundenwünsche» rascher als erwartet umgesetzt worden. «Mit Blick auf das Kinoprogramm nicht zuletzt, weil gerade diese Angaben online einfach zugänglich und auf dem letzten Stand sind», so Heim weiter. Parallel würde die NZZ ihr publizistisches Angebot auf den digitalen Kanälen laufend ausbauen, was gemäss Heim ebenfalls einem Kundenbedürfnis entspreche.

Zum Punkt, dass solche Serviceangaben wie das Kinoprogramm online einfach zugänglich sind, stellt sich die Frage, weshalb die NZZ dann weiterhin die Rubrik «Oper, Theater, Konzert» für die Stadt Zürich abdruckt? «Weil es sich dabei um eine Anzeige handelt», so Heim.

Tages-Anzeiger druckt Programm weiterhin ab

Nur: Beim Stadtzürcher Kinoprogramm, auf das der Tages-Anzeiger im Gegensatz zur NZZ weiterhin setzt, hat es sich laut Thomas Berner von der Werbe+Verlags AG ursprünglich auch um eine bezahlte Anzeige gehandelt. «Später, als die beiden Zeitungen nicht mehr dafür zahlen wollten, wurde vereinbart, dass sie stattdessen die Möglichkeit haben, unentgeltlich Werbespots in den Stadtzürcher Kinos zu schalten.» Insofern sei es weiterhin quasi in Form bezahlter Anzeigen gewesen. Berner betont jedoch: «Wir haben die Programmübersicht primär als Leserdienstleistung gesehen.» 

Im Tages-Anzeiger, dem Hauptkonkurrent der NZZ auf dem Medienplatz Zürich, erscheint die Kinoprogrammübersicht für die Stadt und Region Zürich täglich – mit Ausnahme von Donnerstag, wo das Programm ausführlicher in der Kulturbeilage «Züritipp» publiziert wird. Michele Paparone, Tamedia-Mediensprecher ad interim, begründet dies gegenüber persoenlich.com so: «Die Kinoprogramme im Tages-Anzeiger sind gebuchte Anzeigen. Wir erachten die Printpublikation des Kinoprogramms sowohl für die Film- und Kinobranche als auch für unsere Leserschaft als nach wie vor wichtige Leistung, die auch geschätzt wird.» 

NZZ trennt zwischen Kinoprogramm und ZFF

Für NZZ-Leserinnen und -Leser gilt immerhin: Ganz ohne Kinoprogramm müssen auch sie nicht auskommen: Am Donnerstag erscheint jeweils das Programm für Kinos aus der Region – allerdings nur für die Ortschaften Baar, Baden, Dübendorf, Freienstein, Wettingen, Winterthur und Zug. Dabei handelt es sich gemäss Thomas Berner um eine reguläre bezahlte Anzeige.

Dennoch stellt sich die Frage, wie der Verzicht der NZZ aufs Stadtzürcher Kinoprogramm damit zusammenpasst, dass ihr das Zurich Film Festival (ZFF) gehört und sich so auch ein Engagement für das Kino aufdrängen würde. Zumal das ZFF auf die Kinos als Abspielstätten angewiesen ist und von der öffentlichen Hand finanziell unterstützt wird. «Wir betrachten die beiden Felder separat», sagt NZZ-Kommunikationschefin Karin Heim und sie wiederholt: «Ausschlaggebend für den Entscheid in Bezug auf das Kinoprogramm waren die ursprünglich genannten Hintergründe und Rückmeldungen unserer Leserschaft.»

Sicher weiterhin ein Bedürfnis der Leserschaft dürfte die Berichterstattung über Filmthemen sein. Nur: Wer berichtet nach dem Abgang von Filmredaktor Urs Bühler zur NZZ am Sonntag künftig darüber? Die NZZ beantwortet diese Frage nicht direkt: «Die Filmberichterstattung ist und bleibt integraler Bestandteil unseres Feuilletons und wird breit und kundig umgesetzt – wie ein Blick auf nzz.ch und in die Zeitung zeigt», sagt Karin Heim.

Kinos haben Reaktionen auf Wegfall erhalten

Zurück zum Kinoprogramm-Wegfall in der NZZ: Die Zürcher Kinos haben nach diesem Entscheid gemäss Berner viele Rückmeldungen von Besuchenden erhalten. Viele hätten an den Kassen gefragt, weshalb das Programm nicht mehr in der Neuen Zürcher Zeitung zu finden sei.

«Wir finden den Entscheid der NZZ sehr schade und sind natürlich gar nicht glücklich darüber», sagt Berner und fügt an: «Wir haben eine grosse Anzahl von Besucherinnen und Besuchern, die sich stark am Kinoprogramm der NZZ orientiert haben – insbesondere die Kundschaft der Independence Films, die in den Arthouse-Kinos oder etwa im Riffraff, Houdini und Kosmos gezeigt werden.» 

NZZ zeigt sich gesprächsbereit

Auf die Frage, welche Auswirkungen dieser Entscheid auf die Zürcher Kinos hat, kann Berner konkret nichts sagen. Doch er betont: «Das Kinoprogramm in den Zeitungen ist wichtig für uns.» Immerhin sei der Zürcher Kinoverband mit der NZZ so verblieben, dass es kein «endgültiger Entscheid» sei. Berner wird nun, wo sich die Pandemie immer mehr entschärft, wieder das Gespräch mit der NZZ suchen.

Die Lage für den Zürcher Kinoverband ist in der Tat nicht hoffnungslos, sagt doch Karin Heim auf Anfrage: «Keiner unserer Entscheide ist in Stein gemeisselt, es gibt immer Raum für Diskussion und Revision, wenn ein neues oder anderes Argument auftaucht oder sich die Dinge gemeinsam weiterentwickeln oder zeitgemäss adaptieren lassen.»