28.08.2024

Tamedia

«Wir sollten nicht primär das Sparen im Kopf haben»

Die neue CEO von Tamedia gibt dem Medienhaus der TX Group eine neue Strategie vor. Im Gespräch mit persoenlich.com sagt Jessica Peppel-Schulz, warum der massive Personalabbau kein Preisschild trägt und was die Fokussierung auf vier Medienmarken bringen soll.
Tamedia: «Wir sollten nicht primär das Sparen im Kopf haben»
«Im Digitalen muss man sich fokussieren, um stark zu sein»: Jessica Peppel-Schulz zur neuen Tamedia-Strategie. (Bild: Keystone/Christian Beutler)

Jessica Peppel-Schulz, als Sie sich für den Job bei Tamedia beworben hatten, war Ihnen da schon klar, was auf Sie wartet?
Ich wusste nicht, dass es ein so grosser Prozess sein würde. Was ich hingegen wusste, dass es eine Transformation benötigt und das Unternehmen digitaler werden soll.

Was waren Ihre ersten Schritte auf dem Weg zur neuen Strategie?
Ich schaue mir als Erstes immer die Befragungen zur Mitarbeiterzufriedenheit an. Wenn ich die Kommentare der Mitarbeitenden dann durchlese, weiss ich meist sofort, was das Unternehmen, was die Mitarbeitenden brauchen.

«Irgendwann sind die Strukturen eben unterkritisch»

Was haben Sie da gelesen?
Dass sich die Mitarbeitenden viele Fragen stellen. Ihnen war nicht klar, wohin Tamedia steuert. Was ist die Perspektive? Wohin entwickelt sich der Markt? Was sind eigentlich unsere Produkte? Die Kommentare lassen schnell darauf schliessen, dass man keine Strategie erkennt. Was man auch ablesen kann: dass man nicht ewig das Gleiche mit weniger Ressourcen machen kann. Irgendwann sind die Strukturen eben unterkritisch. Dann muss man die Strukturen anpassen.

Und aus dieser Analyse hat sich für Sie ein eindeutiges Bild ergeben?
Es haben sich verschiedene Szenarien verdichtet, die ich zuerst für mich ordnen musste. Zur Analyse gehört ja auch, dass wir seit fast einem Jahr die komplette Wertschöpfungskette durchleuchtet haben. Mit dem Bild, das sich dann ergibt, muss man sich dann an der Machbarkeit orientieren. Auch, was wir überhaupt gleichzeitig umsetzen können.

Wie viel Geld wollen oder müssen Sie mit dem eingeschlagenen Weg einsparen?
Es gibt nicht diese eine Zahl. Wir sollten nicht primär das Sparen im Kopf haben. Wenn man immer gleich ans Sparen denkt, dann verhindert das, alle Optionen offen zu diskutieren. Wir müssen frei sein in der Denke. Und deshalb ist das tatsächlich ein Prozess gewesen, bei dem kein Sparbetrag am Anfang gestanden hatte. Es geht auch nicht darum, ein bestimmtes Sparpotenzial zu erreichen, sondern darum, eine sinnvolle und wirtschaftlich nachhaltige Organisation aufzubauen.

Warum ist jetzt schon klar, dass in den Redaktionen 90 Stellen abgebaut werden sollen, wenn der Strategieprozess angeblich kein Preisschild hat?
Unsere neue Strategie beinhaltet Anpassungen des Marken- und Produktportfolios. Dazu gehört auch eine engere Zusammenarbeit in den Redaktionen, eine Organisation, in der wir Kräfte für die Zukunft im Digitalen bündeln. Diese Anpassungen führen dazu, dass wir im Bereich der Redaktionen voraussichtlich rund 90 Stellen abbauen. Dies alles vorbehaltlich des Konsultationsverfahrens.

Die einschneidendste Sparmassnahme, die Sie kommunizierten, ist die Schliessung der Druckzentren in Lausanne und Zürich. 200 Stellen werden damit abgebaut. Ab 2027 druckt Tamedia nur noch in Bern. Birgt das nicht ein Klumpenrisiko – für Tamedia und die Kunden? Sei es bei einem Ausfall oder auch, dass es zu Engpässen kommen kann.
Es ist heute schon ein Luxus, eine eigene Druckerei, oder wie wir, gleich drei Druckereien, zu haben. Mit einer durchschnittlichen Auslastung von unter 50 Prozent. Andere Medienhäuser kommen schon seit Jahrzehnten mit einer Druckerei gut zurecht, in der sie eigene Produkte und auch fremde Produkte drucken. Das werden wir nun auch tun.

«Das Printgeschäft hat eine taktische Dimension»

Print spielt aber weiterhin eine wichtige Rolle wegen der hohen Abo- und Inserate-Erträge im Vergleich zum Digitalgeschäft. Wie sieht die längerfristige Printstrategie aus?
Erstmal liebe ich persönlich Print. Zweitens müssen wir tun, was ökonomisch sinnvoll ist. Und wir haben ja auch einen Auftrag, unsere Leserschaft mit den gedruckten Zeitungen zu bedienen. Der strategische Imperativ ist das Digitalgeschäft, das Printgeschäft hat eine taktische Dimension. Und zwar so lange wie möglich.

Mindestens so lange, bis die Digitalumsätze die Printverluste zu kompensieren vermögen. Wann wird das der Fall sein?
Bei aktuell 75 Prozent Printumsatz ist dieser Moment noch nicht greifbar. Aber wir müssen alles dafür tun, dass er möglichst bald kommt.

Während alle gedruckten Tamedia-Zeitungen wie bisher erscheinen werden, gibt es grosse Veränderungen bei den digitalen Marken. Zahlreiche Titel verschwinden, etwa der Winterthurer Landbote. Ist dies das richtige Signal für die Kundenbindung und -gewinnung im Digitalgeschäft?
Unser Ziel muss es sein, die wunderbaren Inhalte zu monetarisieren. Dafür brauchen wir Reichweite. Mit über 30 Marken verzetteln wir uns. Und im Digitalen muss man sich fokussieren, um stark zu sein.

«Uns fehlt heute eine Wertschöpfungsstufe»

Sie wollen künftig auf die vier grossen Marken Tages-Anzeiger, Basler Zeitung, Berner Zeitung und 24 Heures fokussieren. Werden Sie da auch ausbauen?
Allein schon die Neuordnung des Markenportfolios ist eine Investition in diese Marken. Ausserdem investieren wir in neue Talente mit neuen Fähigkeiten und Kompetenzen in den Bereichen KI, SEO, Growth und Data. Sie sollen die Sichtbarkeit und Distribution unserer tollen Inhalte verbessern. Uns fehlt heute eine Wertschöpfungsstufe, die wir aufbauen müssen, um zu wachsen.

Wo wollen Sie sonst noch ins Digitalgeschäft investieren?
Wir wollen unsere Mitarbeitenden befähigen, Digital First tatsächlich auch zu denken. Das ist ein Prozess. Wir investieren auch in die Markenführung. Moderne Medienmarken müssen professionell geführt werden, wenn sie erfolgreich sein wollen. Wir müssen ein klares Markenbild und Markenverständnis aufbauen, damit allen klar ist, wofür die einzelne Marke steht. Dafür investieren wir derzeit sehr viel Zeit. Unsere vier «Future Brands» Tages-Anzeiger, Basler Zeitung, Berner Zeitung und 24 Heures müssen klar positioniert sein, um funktionieren zu können und um sie im Digitalen weiter auszubauen.

Was hat die einzelne Tagi-Abonnentin davon?
Beim Tagi haben wir erst mal in Workshops unter anderem erarbeitet, was das Erscheinungsbild ist. Die Menschen müssen sofort erkennen, wofür die Marke steht, welche Zielgruppe die Marke anspricht. Die Erkenntnisse fliessen in den laufenden Prozess ein und entscheiden mit, wie der Tagi, die Redaktionen künftig aufgestellt werden. Das bestimmt dann z.B. auch, welche Themen welche Priorität haben. Ist Sport wichtig oder ist es Politik? Letztlich gibt es viele Leistungsmerkmale, Werte, die eine gute Markenführung ausmachen. Diese müssen wir für unsere Marken definieren. Daran arbeiten wir. Mit dem Tagi haben wir begonnen.

Trotz Investitionen ins Digitale bauen Sie auch digitale Produkte ab. Warum stellen Sie die 12-App ein?
Das Profil war zu schwach und die App hatte auch kein kommerzielles Potenzial.

Der «Verkehrsmonitor» wird auch eingestellt, obwohl es einen Businessplan gab für vier Jahre. Nach zwei Jahren wollte man in die schwarzen Zahlen kommen. Nun ziehen Sie nach einem Jahr den Stecker. Warum?
Wir haben festgestellt, dass das Potenzial sehr beschränkt ist. Wenn wir gesehen hätten, dass der «Verkehrsmonitor» in einem Jahr schwarze Zahlen schreiben könnte, dann hätten wir vielleicht anders darüber diskutiert. Das Potenzial haben wir aber nach umfassenden Analysen nicht gesehen.

Gehören die Leute, die für die 12-App und den «Verkehrsmonitor» arbeiten, zu den ersten, die nun entlassen werden?
Das kann man so nicht sagen. Es gibt Kollegen, die in andere Teams wechseln, und solche, die vom Abbau betroffen sein werden. Letztlich müssen wir auch hier das Konsultationsverfahren abwarten.

«Das direkte Feedback vom Kunden ist wichtig»

Als Teil der neuen Strategie holen Sie die Vermarktung von Goldbach zurück ins Haus. Diese «Nähe zu den Marken» solle ein Wachstum bei den Werbeeinnahmen schaffen. Warum war das mit Goldbach nicht möglich?
Ich finde es grundsätzlich wichtig, dass ein Publisher eine Inhouse-Vermarktung hat. Das ist wesentlich für den Erfolg. Das direkte Feedback vom Kunden ist wichtig. Das haben wir bei der bisherigen Lösung nicht bekommen. Wir waren abgeschnitten. Und das macht uns weniger erfolgreich. Aber auch die Nähe zu den Mitarbeitenden und zu den Marken ist uns sehr wichtig. Deshalb stellen wir auch Werbe- und Abovermarktung unter die gleiche Leitung. Marc Isler hat den Lesermarkt schon bisher verantwortet und bekommt jetzt den Advertising-Bereich mit dazu.

Der letzte grössere Abbau bei Tamedia liegt gerade einmal ein knappes Jahr zurück. Jetzt sind wir wieder in einer Umbruch-Abbau-Phase. Wann folgt der nächste Abbau?
Ich wäre keine seriöse CEO, wenn ich etwas ausschliessen würde. Aber ich denke, wir haben einen sehr guten Plan. Wir haben alles in unseren Händen. Jetzt kommt zuerst einmal eine schwierige Zeit mit den Konsultationen und den Mitarbeitenden, die das Unternehmen verlassen werden. Aber dann müssen wir richtig Gas geben.


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KOMMENTARE

Tilly Keller
28.08.2024 10:07 Uhr
Der grosse Fisch hat die Kleinen gefressen. Bald platzt ihm der Bauch. Der Leser wünscht sich vielfältige kleinere Fische, die selbständig denkend echte journalistische Artikel verfassen.
Dani Sigel
27.08.2024 23:37 Uhr
Digital First ist schon lange keine Strategie mehr. Content First ist das was sich die LeserInnen wünschen und einzig und alleine zum Erfolg führt.

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