13.10.2008

"Wir werden niemals in Versuchung geraten, einen Tages-Anzeiger zu trivialisieren"

Seit August ist das Newsnetz online. Laut Net-Metrix-Zahlen stieg die Tamedia-Plattform innert zwei Monaten zur Nummer zwei der hiesigen Nachrichtenseiten auf. Obwohl das Newsnetz gute Zahlen ausweist, kämpft der Verbund mit technischen Problemen und ist derzeit noch personell unterbesetzt. Newsnetz-Chef Peter Wälty zieht im Interview mit "persoenlich.com" eine erste Zwischenbilanz, äussert sich über Ausbaupläne, erklärt die Komplexität, die ein solch ehrgeiziges Projekt mit sich bringt und steht hinter Qualitätsjournalismus mit Tempo. Das Interview:
"Wir werden niemals in Versuchung geraten, einen Tages-Anzeiger zu trivialisieren"

Herr Wälty, das Newsnetz ist laut Net-Metrix die Nummer zwei hinter Blick-Online. Haben Sie mit diesem Wachstum gerechnet?

Nun, wir liegen ja exakt beim Juni-Wert. Die 1.5 Millionen Unique Clients sind eine Egalisierung der bisherigen Bestleistung. Allerdings war der Juni ein Spezialfall wegen der EM. Diese Zahl haben wir jetzt auch ohne News-Ausnahmezustand. Das freut uns.

Was denken Sie, wird der Traffic im nächsten Monat nochmals derart zunehmen?

Als das Newsnetz im August startete, hatten wir rund 20 Redaktoren im Newsroom. Die meisten von ihnen ohne Erfahrungen im Onlinejournalismus. Zudem arbeiteten sie auf einem Redaktionssystem, das bestenfalls zu 50 Prozent funktionierte. Im Prinzip hatten wir einen absoluten Kaltstart. Wir sind nun dran, die Stützräder abzumontieren. Man wird vom Newsnetz noch einiges erwarten können.

Der Erfolg ist eine Motivationsspritze für das junge Team.

Punkto Motivation haben wir sowieso keinerlei Probleme. Gute Zahlen stören sicherlich nie und bestätigen die Richtigkeit der eingeschlagenen Strategie.

Auf was führen Sie den Erfolg primär zurück?

Es ist das Team, das trotz Unterbesetzung, großartiges leistet. Dann ist sicher der neue Auftritt als solches für den Erfolg verantwortlich. Baz-Online hat sich aus dem Stand in die Internet-Jetztzeit katapultiert. Das schlägt sich deutlich in den Zahlen nieder. Auch die „Berner Zeitung“ hat seit Espace-Zeiten einen gewaltigen Entwicklungsschritt hinter sich. Da liegt noch Potential brach, weil die brandneue URL (Bernerzeitung.ch) noch unbekannt ist. Zudem können wir den Erfolg auf das hohe Nachrichtentempo und auf die Interaktivität zurückführen. Früher wurde das vernachlässigt – auch weil die Mittel dazu fehlten.

Weniger erfolgreich verlief es auf der technischen Seite.

Wir hatten in der Tat mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Glücklicherweise merkten die User nicht viel davon. Das Mantelkonzept technisch umzusetzen war anspruchsvoll. Das haben wir klar unterschätzt.

Die Archivsuche, ein wichtiges Orientierungstool für ein solches Portal, hat lange Zeit nicht funktioniert.

Das ist einfach nur peinlich. Die Suche funktioniert jetzt aber einwandfrei. Die Zeit war zu knapp, um alle Funktionalitäten fehlerfrei einzubauen. Zudem hatten wir personelles Pech. In der Schlussphase fiel ein wichtiger IT-Mitarbeiter krankheitshalber aus.

Mit welchen Problemen war das Newsnetz noch konfrontiert?

Wir arbeiten mit dem Content Management System von "20min Online", das wir nicht einfach übernommen haben. Ich liess mich zähneknirschend überzeugen, die gesamte Software auf den neusten Stand zu bringen. Rückblickend war das klug, hat aber einen Rattenschwanz von Anpassungen nach sich gezogen. Für unsere Journalisten war die Arbeit am Anfang definitiv eine Zumutung.

Sie setzten auf das Onlinesystem von "20min", das Sie mitentwickelt haben. Sie wollten sich also nicht auf Experimente einlassen.

Richtig. Dass wir mit derart vielen Problemen zu kämpfen hatten, konnte ich nicht ahnen. Das System von "20min" ist aber das Einzige, das in den Köpfen von Redaktoren und nicht Informatikern entstanden ist. Ein fundamentaler Unterschied, wenn Sie mich fragen. Ich traue nur diesem System.

Zu den Mantelredaktionen. Klappt die Zusammenarbeit?

Eigentlich entdecken wir erst jetzt so richtig, was für eine redaktionelle Power wir besitzen. Das Newsnetz hat gut ausgerüstete Online-Reporterteams in allen drei grossen Schweizer Ballungszentren. Obwohl wir sehr stark sind, bringen wir im Moment nur einen Bruchteil der redaktionellen PS auf den Boden. Wir brauchen noch Zeit, um das Potential auszuschöpfen und uns zu organisieren. Zudem sind wir, wie schon gesagt, noch nicht komplett.

Sie sagten einmal, Sie hätten andere Qualitäten als diplomatisches Geschick. Wie haben Sie sich als Newsnetz-Chef von drei Titeln bis jetzt geschlagen?

Ich glaube ganz gut. Natürlich gibt es schwierige Diskussionen. Die Zusammenarbeit ist aber aus meiner Warte eine konstruktive Angelegenheit.

Die Basler fahren inhaltlich einen anderen Kurs als die Zürcher. Ärgert Sie das nicht?

Die Zahlen geben den Baslern Recht. Sie gehen ihren eigenen Weg. Der mag für Basel richtig sein. Ob er es auch für Zürich wäre, das bezweifle ich.

Welche Themen werden auf dem Newsnetz besonders gelesen?

Der Tagi-Leser unterscheidet sich fundamental vom Leser auf "20min Online". Wir werden daher niemals in Versuchung geraten, einen "Tages-Anzeiger“ zu trivialisieren. Wenn wir Geschichten aus den Niederungen Hollywoods bringen, wird das ignoriert. Die User verweigern sich Gossip-Inhalten. Wir bringen diese nur der Vollständigkeit halber. Wirtschafts- und Politikthemen laufen sehr gut. Auslandmeldungen genügend. Wir haben inzwischen einen guten Mix gefunden.

Das Newsnetz wird noch ausgebaut. Wann werden die anderen Tamedia-Titel eingegliedert?

Über den Beitritt von "Radio 24" und "Tele Züri" wird derzeit diskutiert. "Der Bund" und das "Thurgauer Zeitung" stossen voraussichtlich noch dieses Jahr zum Newsnetz.

Wann genau?

Das sag ich dann, wenn wir die Termine halten können.

Das Newsnetz macht seinem Namen aller Ehre. Im Minutentakt werden News publiziert. Da macht ein NZZ-Auftritt den kompakteren Eindruck. Warum das hohe Tempo?

Aus meiner Zeit als Chef von "20min Online" weiss ich, dass die Nutzungsintensität zunimmt, wenn das Tempo hoch ist. Eine Konsequenz davon ist, dass die Frontseite zum Durchlauferhitzer wird, weil so wenig kleben bleibt. Trotzdem halte ich am Tempo fest, weil das Internet ein schnelles Medium ist und die Welt sich nunmal schnell verändert. Wir machen Onlinejournalismus nach unserem Verständnis und die Zahlen geben uns wie man sieht Recht.

Zum Seitenlayout, hat sich diese Informationsarchitektur bewährt?

Das Layout ist ein Markenzeichen, das bei den Usern sehr gut ankommt. In gewissen Punkten stelle ich es allerdings in Frage. Für meinen Geschmack ist es zu vertikal. Die Gewichtung von einzelnen Artikeln ist zu wenig möglich. Aber auch daran arbeiten wir.

Zum Schluss will ich Ihren publizistischen Beirat Res Strehle zitieren, der einmal sagte, dass Online einer bestanden Printredaktion als Kulturschock ganz gut täte. Wie haben die Printredaktionen auf das Newsnetz reagiert?

Das Newsnetz nutzt natürlich die Inhalte eines "Tages-Anzeiger". Umgekehrt beliefern auch wir die Redaktionen mit Geschichten. Ich konnte noch keinen Kulturschock feststellen. Wenn es die Abschlusszeiten zu lassen, arbeiten Printleute sogar exklusiv für Online. Die Sportredaktion hat in dieser Beziehung eine vorbildliche Haltung. Ich glaube, dass ein ausgeprägtes Internetverständnis auf den Printredaktionen vorhanden ist. Von einem Kulturschock also keine Spur.

(Interview: Christian Lüscher)

Newsnetz startet durch

Nach zwei Monaten ist das Newsnetz der Tamedia unter den Schweizer Nachrichtenseiten laut Net-Metrix offiziell die Nummer zwei (nach Unique Clients). Die Zahl der Unique Clients entspricht der Anzahl unterschiedlicher Computer, von denen auf eine Website zugegriffen wird. Derzeit die einzige harte Währung, um eine Aussage über die Reichweite eines Online-Titels zu machen.



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