06.10.2013

storyfilter.com

"Wir wollen die Goldwäscher in der Content-Flut sein"

Während die Schweizer Medienbranche gespannt auf den Start des neuen Internet-Portals von Hansi Voigt wartet, geht heute Montag bereits ein anderes Onlineportal eines ehemaligen Mitglieds der "20 Minuten"-Chefredaktion live. Storyfilter.com wird "starke Medieninhalte verlinken", so Gründer Bernhard Brechbühl. Seine innovative, amerikanisch inspirierte Webseite bietet täglich handverlesene Geschichten aus dem ganzen Web - ausgewählt etwa von Ex-"Blick"-Chefin Andrea Bleicher, Comedian Fabian Unteregger oder Publicis-Kreativchef Thomas Wildberger. Ob das Portal Geld verdienen wird, bleibt offen. Brechbühl sieht die Einnahmequellen sicher nicht in Banner-Werbung.
storyfilter.com: "Wir wollen die Goldwäscher in der Content-Flut sein"

Herr Brechbühl, Sie starten am Montag um 14 Uhr storyfilter.com, ein "Onlineportal für starke Medieninhalte", wie Sie sagen. Was genau ist Sinn und Zweck dieser Plattform?
Storyfilter.com bietet täglich eine kompakte Auswahl an packenden Geschichten und Videos, handverlesen, aus hunderten Newsquellen und dem Social Web. Einerseits wird der Content von der Redaktion ausgesucht und aufbereitet, andererseits bauen wir ein Netzwerk von so genannten Kuratoren auf. Dabei handelt es sich um bekannte Persönlichkeiten, die sich durch einen spannenden Werdegang und ein feines Gespür für Geschichten auszeichnen. Nach Lust und Laune stellen unsere Kuratoren Inhalte auf unser Portal, die sie selber faszinieren. Dabei sind z. B. Ex-"Blick"-Chefin Andrea Bleicher, Comedian Fabian Unteregger, Milieu-Anwalt Valentin Landmann, Publicis-Kreativchef Thomas Wildberger, Unterhaltungsjournalist David Cappellini, der Fernsehmacher Yves Schifferle oder die  Kolumnistin und Tele-Züri-VJ Yvonne Eisenring. Wir wollen das Netzwerk weiter ausbauen. Denn ich finde es unheimlich spannend zu erfahren, was diese interessanten Leute selber interessant finden.

Können auch die Nutzer Inhalte empfehlen?
Ja, unbedingt. Wir wünschen uns, dass User mit uns über die Social-Media-Kanäle in Kontakt treten und grossartige Geschichten empfehlen, die sie selber im Web aufgespürt haben. Wenn wir die Story auf unserer Plattform aufbereiten, nennen wir den Empfehler mit Profilbild und Namen prominent.

Wer soll Ihr Angebot nutzen?
Storyfilter ist für Leute gemacht, die keine Zeit haben. Also für die meisten. Jeden Tag ein paar Newsseiten abklappern, die Twitter-Timeline, den Facebook-Feed und vielleicht noch Instagram und Pinterest durchforsten und dann auf ein paar Inhalte klicken, die doch nicht halten, was der Titel verspricht – all das kostet viel Zeit. Das Aufmerksamkeitsbudget des Menschen ist beschränkt. Wir wollen den Leuten Arbeit abnehmen und sie schneller zu besseren Content-Erlebnissen führen. Wir wollen die Goldwäscher in der Content-Flut sein und täglich ein paar Goldnuggets herausfiltern.

Storyfilter.com soll demnach möglichst eine breite Leserschaft ansprechen, ähnlich wie "20 Minuten".
Die digitalen Medienpioniere in den USA haben ein paar neue Zielgruppenbegriffe geprägt: Zum Beispiel das Smart-Young-Bored-At-Work-Network oder das Bored-In-Line-Network. Was auch für weniger gelangweiligte, also für vielbeschäftigte Leute gilt: Im Büro, in einer Warteschlange oder in den ÖV gehen immer mal wieder Zeitfenster auf, in denen man rasch gute Inhalte konsumieren will. Oft findet dieser Konsum auf Mobilgeräten statt und oft werden die Inhalte in die sozialen Medien hinausgetragen. Diese junge, Mobile- und Social-Media-affine Zielgruppe wollen wir ansprechen.

Inwiefern werden die Produzenten der von Ihnen verlinkten Storys finanziell entschädigt oder in einer anderen Form belohnt?
Mit Traffic. Jeder Hersteller eines Produkts will doch empfohlen werden, das sollte auch bei den Urhebern von Medieninhalten der Fall sein. Gerade wenn ein prominenter Kurator einen Artikel empfiehlt. In anderen Branchen zahlen die Produktehersteller für solche Testimonials viel Geld. Google pflegt zu diesem Thema zu sagen: Kein Restaurantbetreiber würde von einem Taxifahrer Geld verlangen, wenn dieser ihm Gäste bringt. Rechtlich sieht die Situation so aus: Verlinken darf man, zitieren darf man, aber man sollte nicht eins zu eins längere Abschnitte aus einem Artikel kopieren. Letzteres tun wir nicht, wir saugen nicht automatisiert Texte von anderen Webseiten, wir bereiten unsere Artikel in Handarbeit auf, wir verpacken Sachverhalte in eigene Titel und Texte, wir zitieren höchstens kleine Ausschnitte aus einem Text - weil wir die kreative Leistung des Autors würdigen möchten - und wir verlinken mit auffällig orangen Buttons zu diversen Originalquellen. Wenn alle Redaktionen so transparent zitieren würden! In den meisten Medien wird ständig von anderen abgeschrieben, nur geht das Zitieren leider oft vergessen.

Was ist die thematische Ausrichtung?
Wir nehmen uns da totale Narrenfreiheit heraus: Wir haben keine Chronistenpflicht wie ein Newsportal, das wichtige Ereignisse lückenlos abdecken muss. Wir bringen ganz willkürlich, was wir mit Begeisterung empfehlen können. Gefallen können wir so natürlich nicht allen, aber hoffentlich vielen. Das Portal hat ausserdem null intellektuellen Dünkel: Selbstverständlich kommt auch ein Hundevideo rein, wenn es richtig gut ist.

Sie könnten doch auch einfach einen Facebook- oder Twitter-Account erstellen und dort täglich fünf lesenswerte Storys verlinken.
Twitter und Facebook sowie unser Newsletter sind natürlich unsere wichtigsten Distributions- und Kommunikationskanäle. Wir publizieren aber auf Storyfilter nicht einfach Links zu Artikeln. Die Geschichten sollen so aufbereitet bzw. verpackt sein, dass man sie auf mobilen Endgeräten hervorragend konsumieren kann sowie gern in den sozialen Netzwerken teilt und diskutiert.

Wie wollen Sie das machen?
Wir betreiben konsequent digitales Storytelling. Am wichtigsten ist eine Tonalität der Schlagzeilen, die eher an die Sprache im Social Web und nicht an eine klassische Zeitung erinnert. Dann vermitteln wir die Inhalte so, dass sie ganz auf den Konsum auf Smartphones und Tablets zugeschnitten sind. Oft mit Videos oder animierten Bildern. Die Information wollen wir in der knappest möglichen Form rüberbringen: Wir erzählen jeweils nur die Kernelemente einer Geschichte, ähnlich wie in einer Powerpoint-Präsentation. News-Snacking statt Text-Wüsten. Wir verlinken auch offensiv zu diversen Quellen im Web. Ausserdem haben wir ein paar verspielte Elemente, z. B. ein Thermometer, das die Viralität einer Geschichte anzeigt. Das Design der Seite ist voll auf das Mobile Web ausgerichtet, alles ist radikal vertikal angeordnet, selbst auf dem Desktop.

An welchen internationalen Vorbildern orientierten Sie sich mit Ihrer Idee?
An einer ganzen Reihe, und alle kommen aus den USA. Von jeder konnte ich etwas lernen. Als ich vor zwei Jahren die Domains für Storyfilter reservierte, gab es einige dieser Portale noch nicht. Während ich meine Idee weiterentwickelte, konnte ich beobachten, wie und warum diese neuen Contentplattformen echte Senkrechtstarts hingelegt haben. Zu nennen sind definitiv die News-App Circa, die das kompakte Storytelling zelebriert, die Web-Plattform Upworthy, die ihre eigenen Redaktoren Kuratoren nennt, und natürlich BuzzFeed, Digg, Reddit, Gawker – die üblichen Verdächtigen. Es geht bei allen um das Kuratieren, also um das Herauspicken der besten Themen aus einer Vielzahl von Quellen.

Kann man als Storyfilter-User die Inhalte auch personalisieren?
Nein. Ich verfolge zwar die Personalisierungstechnologien mit grossem Interesse und da kommen noch grossartige Innovationen auf uns zu. Aber zurzeit verfügen diese blutleeren, algorithmisch gesteuerten News-Aggregatoren und Personalisierungsroboter noch nicht über so viel künstliche Intelligenz, dass sie einem wirklich zuverlässig faszinierende Inhalte liefern. Wir setzen voll auf General-Interest-Inhalte. Am besten sind sowieso Story-Entdeckungen zu Themen, von denen man gar nicht gewusst hat, dass sie einen interessieren könnten.

Wie viele Leute arbeiten für storyfilter.com?
Meine Firma Storyfilter GmbH beschäftigt einen Angestellten, mich selber. Alle anderen sind Freelancer. Ich habe seit Anfang 2012 in Brasilien gewohnt und dort zusammen mit einer Designerin und einem Programmierer die Plattform entwickelt. Hier in Zürich unterstützt mich eine IT-Firma. Auch redaktionell werde ich vorerst auf Freelancer setzen. Ich gehe da voll mit der Lean-Startup-Lehre: Eigenes Geld und viel eigene Zeit investieren, ein funktionstüchtiges Produkt auf den Markt bringen – und in absehbarer Zeit Erfolg haben oder scheitern. Ich finde das den ehrlichsten Weg. Um mit einer rein digitalen Plattform zu beweisen, dass das Konzept funktioniert, muss man den Investoren nicht von Anfang an Geld aus der Tasche ziehen. Wenn ich aber eine steigende Nutzerkurve hinkriege, suche ich selbstverständlich Kapital, um einige gute Leute an Bord zu holen.

Und wie finanzierten Sie die Start-Phase?
Mit eigenem Geld, das heisst ich musste meinen Privatkonsum stark drosseln.

Wie verdienen Sie künftig Geld?
Mit einem Experiment. Ich habe eine tiefe Abneigung gegen Bannerwerbung. Diese nervenden Blinkebanner mit Klickraten von weniger als 1 Prozent sind kein gutes Produkt. Darum versuche ich mein Glück mit Native Advertising, einer Art von Werbung, die in Übersee einen grossen Hype erfährt und an die ich glaube. Es geht darum, kommerzielle Inhalte in der gleichen Tonalität zu erzählen wie redaktionelle Geschichten. Das bedeutet: Sie werden von der Redaktion aufbereitet. Bei Storyfilter heisst die kommerzielle Rubrik  "Consumer Content", ist also klar deklariert – hier sollen pro Tag ein bis zwei spannende Geschichten stehen, die Menschen in einer Konsumgesellschaft interessieren.

Nun suchen Sie Kunden, die "Consumer Content" anzubieten haben.
Der Trend zum Native Advertising geht einher mit dem verstärkten Einsatz von Content Marketing in Unternehmen: Firmen kreieren immer öfter selber hochwertige Inhalte, z. B. Texte, Videos, Infografiken. Um damit nicht nur ihre engsten Fans zu erreichen, brauchen sie ein Vehikel, das diese Inhalte zu einem breiteren Publikum transportiert. Storyfilter ist so ein Vehikel. Wir suchen ab jetzt Gespräche mit innovativen Agenturen und Marketingverantwortlichen, die an Native Advertising und Content Markting interessiert sind.

Das Pendant von "Consumer Content" im Print wären wohl am ehesten Publireportagen. Wie grenzen Sie bezahlte Inhalte von redaktionellen ab?
Publireportagen sind PR-Texte, die auf einem Inserateplatz platziert werden, während Native Advertising von der Redaktion aufbereitet wird. Wir verkaufen also auch eine kreative Leistung. Die Abgrenzung von nicht-kommerziellen Inhalt findet durch das Label "Consumer Content" statt. "Consumer Content" kann, aber muss nicht bezahlt sein. In dieser Rubrik können wir auch einfach Inhalte bringen, die wir aus Konsumentensicht spannend findet.

 


Bernhard Brechbühl ist Gründer und Chefredaktor von Storyfilter.com. Der 36-Jährige war von 2005 bis 2012 Mitglied der Chefredaktion der Gratiszeitung "20 Minuten" (insbesondere News - am Ende drei Jahre als Unterhaltungschef), bevor er seine Stelle 2012 kündigte und während eines Auslandaufenthalts in Rio de Janeiro die Entwicklung von Storyfilter.com vorwärts trieb. 

Interview: Edith Hollenstein (die Fragen wurden schriftlich beantwortet)



Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240420