01.09.2022

Reflekt

«Wir wollen uns als Medienmarke etablieren»

Das Recherchenetzwerk Reflekt will sich verstärkt durch Leserinnen und Leser finanzieren. Eine Sammelaktion soll 65'000 Franken bringen. Mitgründer Christian Zeier spricht über finanzielle und publizistische Ambitionen und die Zusammenarbeit mit den grossen Medien.
Reflekt: «Wir wollen uns als Medienmarke etablieren»
«Ich sehe uns als Nischenmedium»: Christian Zeier ist Mitgründer vom Recherchenetzwerk Reflekt.
von Michèle Widmer

Herr Zeier, was macht für Sie guter investigativer Journalismus heutzutage aus?
Es geht darum, systematische Missstände aufzudecken. Solche meist aufwendigen Recherchen brauchen Zeit. Die Reporterin oder der Reporter muss im Thema sattelfest sein, um zu wissen, welche Fragen zu welchem Zeitpunkt entscheidend sind. Neu hinzugekommen sind bei dieser Arbeit internationale Kooperationen. Wir arbeiten für unsere Recherchen häufig mit anderen Leuten und Medien zusammen.

Sie haben das Recherchenetzwerk Reflekt im September vor drei Jahren mitgegründet. Wie kam es dazu?
Ich habe lange als freier Journalist gearbeitet und häufig aufwendige Reportagen gemacht, auch im Ausland. Die Medienhäuser hatten immer weniger Budget für solche Arbeiten. Da habe ich mich mit Valentin Felber und Dominique Wandeler zusammengetan und ein Netzwerk aufgebaut, das sich auf journalistische Recherchen fokussiert.

Wie setzt sich das Reflekt-Team zusammen?
Das Kernteam besteht aus sechs Leuten, die verantwortlich für die Bereiche Recherche, Art Direction, Grafik, Multimedia/Video oder Marketing sind. Dazu kommt ein Netzwerk von Freien, die wir dann je nach Projekt ins Boot holen. Dieses Netzwerk ist von Geschichte zu Geschichte stetig gewachsen in den letzten Jahren.

Gibt es ein Reflekt-Büro? Oder wie arbeiten Sie zusammen?
Wir sind dezentral organisiert und können so über verschiedene Städte und Länder zusammenarbeiten. In Bern haben wir aber eine Zentrale, wo wir zusammenkommen können. Ich selbst arbeite häufig von dort aus.

Jährlich realisieren Sie drei bis vier aufwendige Rechercheprojekte. Wie entscheiden Sie, welche das sind?
Häufig gelangen Rechercheideen über unser Netzwerk an uns oder sie entstehen bei uns selbst. Die Vorrecherche ist dann extrem wichtig. Da geht es um die regulären Fragen: Ist die Geschichte relevant? Haben wir genug Hinweise? Am Schluss werden verschiedene Geschichten vor dem Kernteam gepitcht und wir entscheiden, welche wir realisieren.

Publiziert werden diese Recherchen dann zusammen mit Redaktionen wie Republik, Tages-Anzeiger oder Bajour. Wie gehen Sie das an?
Wenn wir schon weit in der Recherche fortgeschritten sind und merken, dass die Geschichte funktioniert, überlegen wir uns, welches Medium passen und auch interessiert sein könnte. Wir unterscheiden generell zwischen Publikationskooperationen und Recherchekooperationen. Im ersten Fall verkaufen wir die fertige Geschichte an ein Medium. Und im zweiten Fall arbeitet die entsprechende Redaktion an der Recherche mit.

«Wir wollen von den Redaktionen als Ergänzung und nicht als Konkurrenz wahrgenommen werden»

Sie haben es beim Einstieg in das Gespräch erwähnt: Die Budgets auf den Redaktionen sind knapp. Freie Journalistinnen und Journalisten haben es immer schwerer. Wie kommen die Anfragen von Reflekt bei den Redaktionen an?
Wir wollen von den Redaktionen als Ergänzung und nicht als Konkurrenz wahrgenommen werden. Wie wir es jetzt erleben, ist das gelungen. Der Austausch und die Zusammenarbeit sind kollegial.

Wie viel Geld erhalten Sie für eine Recherche von den Medien?
Das ist sehr unterschiedlich. Bei den Verhandlungen gilt es herauszufinden, wie viel drin liegt. Sagen wir es so: Am Schluss muss es für beide Seiten stimmen. Wir streben eine Win-Win-Situation an.

Wie sieht ein solcher Deal konkret aus?
Bei einer Recherchekooperation wird ein Teil der Arbeit vom Partnermedium finanziert. Am Schluss publizieren beide die Geschichte auf ihren Kanälen. Wir bereiten die Storys – und teilweise auch weitere Recherchen zum jeweiligen Thema – für unsere Website auf und produzieren unter anderem Videos für Social Media dazu.



Ein von Reflekt produziertes Video zur Credit-Crisis-Recherche, die im Jahr 2020 mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet wurde.



Sie wollen den Leserinnen und Lesern Reflekt als Erstmedium schmackhaft machen?
Wir sind keine Investigativagentur, die sich komplett im Hintergrund hält. Wir wollen uns als Medienmarke etablieren. Ich sehe uns als Nischenmedium. Klar ist aber auch, dass Reflekt immer Kooperationen für aufwendige Recherchen anstreben wird.

Mit den Recherchen Credit Crisis und zu Arbeiterinnen in Bangladesch hat Reflekt mehrere Journalismuspreise gewonnen – zweimal den Swiss Press Award Online und einmal den Zürcher Journalistenpreis. Was hat Ihnen das konkret gebracht?
Einerseits profitieren wir vom Preisgeld, das wir jeweils gleich zu einem grossen Teil wieder in unsere Recherchen investiert haben. Andererseits ist für uns als unabhängiges Medienprojekt das Renommée wichtig.

Man hört und liest immer häufiger von internationalen Recherchenetzwerken. Warum ist das so?
Ich glaube die Vernetzung in der Branche – auch international – hat stark zugenommen. Es ist eine neue Generation am Ruder, die die Vorteile von diesem Miteinander sieht. Viele Themen überschreiten unsere Ländergrenzen. Und auf diese Weise lassen sich grosse Recherchen stemmen.

Mit welchem Jahresbudget operiert Reflekt?
Unser Jahresbudget für das Jahr 2021 belief sich auf rund 180'000 Franken. Diese Infos sind alle öffentlich einsehbar in unserem Jahresbericht.

«Wir wollen und müssen Schritt für Schritt von den Stiftungsgeldern wegkommen»

Wie haben Sie sich in den letzten drei Jahren finanziert?
Unser Finanzierungsmodell basiert auf drei Säulen: Stiftungsgelder, Einkünfte durch verkaufte Recherchen sowie Mitgliedschaften und Spenden durch unsere Community.

Wie viele bezahlte Mitgliedschaften zählen Sie aktuell?
Wir haben etwas weniger als 200 Mitglieder, dazu kommen mehrere Tausend Franken Spenden im Jahr.

Nun starten Sie ein Crowdfunding. Wofür brauchen Sie mehr Geld?
Wir wollen und müssen Schritt für Schritt von den Stiftungsgeldern wegkommen. Das war von Beginn an unser Plan. Unser Ziel ist, dass wir uns langfristig durch den Verkauf unserer Recherchen sowie durch Beiträge der Community finanzieren.

Welches finanzielle Ziel wollen Sie mit dem Crowdfunding erreichen?
Das Ziel ist bei 650 Unterstützerinnen und Unterstützern angelegt, die uns 60, 120 oder 500 Franken im Jahr zahlen. Mit dem bisherigen Durchschnittswert möchten wir so auf 65'000 Franken kommen.



Eine Plakatkampagne soll auf das Crowdfunding aufmerksam machen. Warum setzen Sie dabei neben Social-Media-Präsenz auch auf Plakate?
Wir haben in den letzten Jahren viel im Hintergrund gearbeitet. Nun ist es wichtig, dass wir physisch präsent sind und sichtbar werden. Die Plakate sind ab Donnerstag während vier Wochen in Zürich, Bern und Basel zu sehen. Dies, weil wir dort bisher am meisten Unterstützerinnen und Unterstützer haben. Für die Kampagne beraten hat uns die Agentur Hella Studios.

Wichtig für die Bereitschaft, Reflekt finanziell zu unterstützen, dürfte auch eine nächste grosse Recherche sein. Haben Sie da etwas in petto?
Ich telefoniere hier gerade von SRF aus mit Ihnen. Unsere nächste Arbeit erscheint im Oktober und in Kooperation mit SRF Investigativ. Es wird ein mehrteiliger Recherchepodcast zum Thema organisierte Kriminalität und illegales Glücksspiel.



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