WOZ kritisiert grosse Verlage scharf

Paywall-Debatte - Während Tamedia und NZZ mit Werbeeinbruch oder Qualität argumentieren, stellt die WOZ ihre Texte zurzeit gratis ins Netz. Hätten die Medien nicht jahrelang den Markt mit Gratisprodukten unterminiert, könnten sie jetzt grosszügiger sein, sagt Co-Redaktionsleiter Kaspar Surber.

von Michèle Widmer

Sollen Medien in der Coronakrise ihre Bezahlschranken runterlassen? Dieses Thema wird in der Branche in Zeiten von hohem Informationsbedarf heftig diskutiert. So forderte unter anderem der deutsche Satiriker Jan Böhmermann auf Twitter: «Tear down the fucking paywalls now».

Am Samstag meldete sich NZZ-Newsroomchef Andreas Schürer in einem Plädoyer für Qualitätsjournalismus zu Wort. Die Zeitungen seien auf einem guten Weg, im digitalen Transformationsprozess einen entscheidenden Schritt vorwärtszukommen: «Tausende Nutzerinnen und Nutzer zeigen Kaufbereitschaft, zahlen für unabhängigen Qualitätsjournalismus.» Es wäre «ein fataler Fehler», Inhalte nun wieder gratis abzugeben.

Zwei Tage später äusserte sich Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser in einem Kommentar zum Thema. «Es geht bei allen um die Existenz», schrieb er. Die privaten Medien kämpften genauso wie der grösste Teil der Wirtschaft mit den harten Folgen des Stillstands. Aus diesem Grund liesse sich die Forderung nach Gratisartikeln leider nicht erfüllen. «Nicht in Zeiten, in denen die Werbung krisenbedingt regelrecht einbricht.»

Auch Stefan Schmid, Chefredaktor vom St. Galler Tagblatt, bläst ins selbe Horn. «Seriöse Arbeit hat einen Preis. Gute Journalisten kosten. Je besser sie sind, desto höher ihr Lohn», schrieb er in einem Meinungsbeitrag am Montag. Wer nicht mit öffentlichen Mitteln alimentiert werde, müsse das Geld auf anderem Weg hereinspielen.

Alle Texte frei verfügbar

Die linke Wochenzeitung fährt diesbezüglich eine andere Strategie. Letzte Woche hat sie darüber informiert, dass bis am 19. April alle Texte, die üblicherweise grösstenteils hinter der Paywall sind, freigeschaltet werden.

Der Argumentation der grossen Medien kann Co-Redaktionsleiter Kaspar Surber wenig abgewinnen. «Hätten sie nicht jahrelang den Markt mit Gratisprodukten unterminiert, könnten sie jetzt in der Krise auch grosszügiger sein», sagt er auf Anfrage von persoenlich.com. Erinnert sei an die unzähligen Millionen, die etwa die Familie Coninx aus dem Journalismus abgezogen habe.

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Mit der Aktion wolle die WOZ möglichst vielen Leserinnen und Lesern zuhause fundierte Informationen und Lesevergnügen bieten, sagt Surber weiter. Nicht zuletzt könne man so auch alle jene erreichen, die die Zeitung sonst im Café lesen würden.

Auch die WOZ spürt Einbussen bei den Inseraten und wird in den nächsten Wochen den Umfang der Zeitung leicht reduzieren müssen. Zur Finanzierbarkeit sagt Surber: «Wir können uns diesen Schritt nur leisten, weil uns unsere Abonnentinnen und Abonnenten in den letzten Jahren zuverlässig unterstützt haben.»

Die ersten Reaktionen auf die Aktion sind laut Surber sehr positiv. Ob die Zahl der Klicks oder auch die der Abos steigen, hätte man bis jetzt noch nicht ausgewertet.