17.06.2013

Erfolgreiche Frauen

Interview mit ABB-Kommunikationschefin Clarissa Haller

"Von PR hatte ich ein eher negatives Bild", sagt die 46-jährige Deutsche.
Erfolgreiche Frauen: Interview mit ABB-Kommunikationschefin Clarissa Haller

Ulrich Spiesshofer wird neuer ABB-Chef. Diese Nachricht vom Montagmorgen betrifft Clarissa Haller besonders stark. Denn als globale Kommunikationschefin wird sie eine seiner engsten Mitarbeiterinnen sein. Haller ist seit sieben Jahren in dieser verantwortungsvollen Funktion. Im 29. Teil der Serie "Erfolgreiche Frauen" spricht die 46-jährige Deutsche über Joe Hogans Top-Salär, die Auswirkungen der Digitalisierung und das Verhältnis zu Bloggern. Zudem verrät Haller, dass sie ursprünglich Journalistin werden wollte und damals für Public Relations wenig übrig hatte.

Frau Haller, am Montag wurde bekannt, dass Ulrich Spiesshofer neuer ABB-CEO wird. Inwiefern sind Sie erleichtert, dass nun ein Nachfolger für Joe Hogan gefunden wurde? Inwiefern beeinflusste die Zeit der Ungewissheit Ihre Arbeit?
Es ist sicherlich gut, dass ein Entscheid zügig getroffen wurde. Von "Erleichterung" oder "Ungewissheit" würde ich aber nicht sprechen, schliesslich ist Joe Hogan nach wie vor im Haus und es hat sich für uns noch nicht viel geändert.

Medien, Analysten und auch der Aktienkurs reagierten positiv auf die Nachricht über den neuen Chef. Doch vorher stand ABB in Sachen Führungspersonal in der Kritik. Nach dem angekündigten Rücktritt von Konzernchef Joe Hogan gab Anfang Mai auch Forschungschef Prith Banerjee seinen Posten ab, beide aus familiären Gründen. Erst im Oktober 2012 hatte CFO Michel Demaré seinen Job bei ABB zugunsten des Präsidentenjobs bei Syngenta an den Nagel gehängt. Jedes Mal haben Sie nur die Abgänge mitgeteilt, jedoch keine Nachfolger. Diese Kommunikationsstrategie ist nicht wirklich lehrbuchkonform.
Das Timing der Abgänge war sicherlich eng. Dass der Forschungschef zwei Tage später auch zurückgetreten ist, war nicht absehbar und stand in keinem Zusammenhang mit dem Rücktritt von CEO Joe Hogan - ein Zufall. Die Medien haben aber fair berichtet. Dass wir mit der Kommunikation nicht so lange warten können, bis wir einen Nachfolger präsentieren können, hängt mit den Regularien zusammen, denen eine börsenkotierte Firma unterworfen ist.  Sobald ein Konzernleitungsmitglied dem Verwaltungsrat seinen Rücktritt bekannt gibt, müssen wir dies umgehend kommunizieren. Und das ist auch gut so im Sinne einer konsequenten Transparenz. Klar, wäre es laut Lehrbuch optimaler, wenn wir zeitgleich einen Nachfolger vorstellen könnten. Doch da klaffen Realität und Theorie halt auseinander.

Inwiefern intervenieren Sie von sich aus bei den Journalisten, um zu erklären und beschwichtigen?
Was die Medien über uns schreiben ist wichtig. Wenn z.B. wegen der Rücktritte in den Zeitungen die Frage aufkommt, was denn bei ABB los ist, dass gerade mehrere Konzernleitungsmitglieder gehen, dann erklären wir den Journalisten den Sachverhalt gerne.

Hogan wurde von verschiedenen Seiten sehr gelobt. Wie eng arbeiteten Sie mit ihm zusammen und inwiefern war es schwierig, einen ebenbürtigen Nachfolger zu finden?
Der Austausch zwischen CEO und Kommunikationsabteilung ist sehr wichtig und sollte regelmässig geschehen. Wichtig ist aber sicher auch ein Vertrauensverhältnis, damit auch kritische oder eher unangenehme Themen nicht aussen vor bleiben. Ich habe sehr gerne und sehr gut mit Joe Hogan zusammengearbeitet. Das wird mit Ulrich Spiesshofer nicht anders sein; wir kennen uns jetzt auch schon viele Jahre.

Joe Hogan erhielt als Antrittsbonus 13 Millionen Franken, zwischen 2010 und 2012 stieg sein Gehalt von 8 auf 10,2 Millionen Franken (vgl. z.B. travailsuisse.ch oder nzz.ch). Wie rechtfertigen Sie als Kommunikationschefin solche Spitzengehälter?
Man muss erklären, dass ABB im internationalen Wettbewerb steht. Wenn Sie sich die weltweiten Gehälter anschauen, werden Sie feststellen, dass die ABB-Saläre im marktüblichen Bereich liegen.

13 Millionen Franken Antrittssalär und zwischen 8 bis 10 Millionen Jahressalär sind "marktüblich".
Möchten Sie sich nun mit mir über die Salärfrage unterhalten?

Ja gerne, denn an diesem Beispiel kann man verstehen, inwiefern es für Kommunikationsverantwortliche schwierig sein kann, Kritik zu begegnen. Fällt Ihnen diese Rechtfertigung leicht oder zweifeln Sie manchmal daran, ob es gerecht ist, dass Herr Hogan einen solch hohen Lohn bezieht?
"13 Millionen Antrittssalär" ist einfach falsch. Herrn Hogan wurden Ansprüche kompensiert, die er bei einem anderen Unternehmen erworben hatte. Die Auszahlung wurde eng an bestimmte Kriterien geknüpft. Insgesamt bewegt sich sein Salär im internationalen Vergleich mit anderen CEOs von multinationalen 40-Milliarden-Dollar-Unternehmen im Durchschnitt.

Die Gerechtigkeit der Verteilung grundsätzlich in Frage zu stellen, kommt für Sie nicht in Frage.
Wenn eine Person eine Unternehmung dieser Grössenordnung mit grossem Erfolg führt, habe ich mit den bei ABB gezahlten Löhnen kein Problem. Ich finde es aber problematisch, die Frage nach der Salärgerechtigkeit auf Konzernchefs zu verengen. Wenn man diese Diskussion führt, frage ich mich immer: Inwiefern sind denn die Gehälter von Sport- oder Filmstars  gerechtfertigt? Bei denen regt sich niemand auf.

Es scheint keine Themen zu geben, bei denen Sie persönlich einen anderen Standpunkt vertreten als die ABB. Oder doch?
Bisher musste ich meine persönlichen Überzeugungen nicht hinten anstellen.

Lassen Sie uns über die Digitalisierung sprechen. Diese verändert die Kommunikation in Grossunternehmen enorm. Welches ist Ihre Strategie bei ABB?
Ja, der Transformationsprozess und Fragen nach den richtigen Kanälen und der passenden Tonalität beschäftigen uns schon länger und sie werden unsere Arbeit auch in Zukunft wie ein roter Faden durchziehen. In der Vergangenheit war unsere Kommunikation sehr textlastig, doch heute ist es mit einer klassischen Medienmitteilung nicht mehr getan. Jetzt werden zunehmend Bilder wichtig, insbesondere bewegte Bilder. Auch Infografiken sind immer wichtiger. Um diese Inhalte zu kreieren, brauchen wir nicht nur Textspezialisten, sondern vermehrt auch Videojournalisten oder Grafiker.

Der digitale Wandel bedeutet eine Abkehr von alten Gewohnheiten. Welche Veränderungen stehen der Kommunikationsarbeit bevor?
Mit der Digitalisierung geht ein Wandel in der Unternehmenskultur einher. Kommunikation war in der Vergangenheit sehr stark geprägt von Verlautbarung und Vermittlung. Künftig wird es viel mehr Richtung Dialog gehen. Wir müssen Antworten finden auf Fragen, die an das Unternehmen ABB gestellt werden. Immer häufiger stammen die Fragen nicht von den klassischen Anspruchsgruppen, sondern von neuen. In der Vergangenheit bildeten für uns die Medien eine der  wichtigsten Anspruchsgruppen. Das wird auch  weiterhin so sein, immer wichtiger werden aber daneben Exponenten wie Blogger oder "der ganz normale Mann von der Strasse" – also jedermann, der etwas zu ABB zu sagen hat oder etwas von uns wissen möchte. Wir müssen verstehen, dass über die neuen Digital-Kanäle plötzlich ganz andere Anspruchsgruppen und Personen relevant werden.

Welche Blogger werden zu einer wichtigen Anspruchsgruppe? Können Sie ein Beispiel machen?
Wichtig sind Expertenblogs, etwa wenn ein Blogger zu seinem Fachgebiet eine ganz bestimmte Frage hat. Es gibt Blogs zu sehr spezifischen Fachgebieten, zu Transformatoren oder Hochspannungskabeln zum Beispiel. Mit solchen Anspruchsgruppen hatten wir früher nicht direkt, sondern über die Fachmedien zu tun. Heute müssen die ABB-Kommunikationsspezialisten die Funktion von Moderatoren übernehmen. Wir identifizieren innerhalb des Unternehmens diejenige Person, die zu Hochspannungskabeln am besten Auskunft geben kann und stellen dann den Kontakt zwischen dem externen Blogger und dem internen Experten her, zum Bespiel über Twitter oder unsere eigene Blogging-Plattform.

So wird jeder Mitarbeiter quasi zu einem ABB-Sprecher.
Potentiell schon, aber wir sind noch immer ein Unternehmen, das bestimmten Regeln folgen muss. Etwa dadurch, dass wir börsenkotiert sind. Hier kommt es dann zu einer Herausforderung: Wir und die Mitarbeiter müssen lernen, mit dieser neuen Freiheit umzugehen. Das ist eine spannende Aufgabe.

Sie sind seit 2006 Kommunikationschefin bei ABB. Wie sind Sie in diese Funktion gekommen?
Ich wurde vom damaligen CEO Fred Kindle angestellt. Ich erinnere mich, dass er in unserem ersten Gespräch betonte, er wolle mehr Struktur, Prozesse sowie klare und transparente Erfolgsmessung in die Kommunikation bringen. Er suchte weniger das kreative Element als einen Manager – oder eine Managerin. Das brachte ich von meinen vorherigen Funktionen mit.

Sie sind 46 Jahre alt und führen heute rund 30 Leute in direkter Linie und einige hundert funktional. Wie waren Sie als Kind, gab es Hinweise darauf, dass Sie einmal eine verantwortungsvolle Führungsaufgabe wahrnehmen werden?
Ursprünglich wollte ich Journalistin werden, und das wollte ich schon recht früh. Ich habe dann bereits neben der Schule damit angefangen, fast täglich redaktionell für die lokale Tageszeitung in meinem Heimatort zu arbeiten. Unter Kommunikation oder PR konnte ich mir nichts Rechtes vorstellen, hatte ein eher negatives Bild. Doch dann, als ich während meines Studiums in München als freie Radiojournalistin gearbeitet hatte, erlebte ich einen Schlüsselmoment. Ich erinnere mich, wie ich an dem Tag, an dem eine Airbus-Maschine beim Jungfernflug abgestürzt war, mit einer Freundin im Biergarten sass. Dieses Ereignis ging natürlich durch die internationale Presse. Zufällig sassen bei uns am Tisch Airbus-Mitarbeitende, die an der Konstruktion dieses Flugzeuges mitgearbeitet hatten. Wir kamen ins Gespräch, und die Frage war, wie konnte ein Unternehmen, das sich eigentlich auf Good News eingestellt hatte, so rasch reagieren und insofern richtig kommunizieren, dass die Menschen der Firma und ihren Flugzeugen weiterhin vertrauen? Mich faszinierte diese Frage so sehr, dass ich am nächsten Tag bei Airbus um ein Praktikum in der Unternehmenskommunikation anfragte – das war mein Einstieg in die PR, und wie Sie sehen, bin ich immer noch dabei.

Wie sind Sie aufgewachsen?
Zusammen mit meinen Eltern und meinen beiden Geschwistern. Ich habe einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester, mit denen ich mich immer gut verstanden habe. Meine Mutter hat, solange wir Kinder klein waren, nicht gearbeitet, sich aber sehr intensiv ehrenamtlich engagiert. Als wir grösser waren, ist sie dann durchgestartet. Und eine meiner beiden Grossmütter war als Unternehmerin tätig, das hat mich sicher auch geprägt.

Und heute: Haben Sie eine Familie und sind Sie verheiratet?
Ich bin verheiratet und habe zwei Söhne im Alter von sieben und drei Jahren. Mein Mann und ich arbeiten beide 100 Prozent.

Hat die Tatsache, dass Sie Kinder haben und gleichzeitig Vollzeit arbeiten, Auswirkungen auf Ihre Karriere?
Eigentlich nicht, da ich meine Kinder relativ spät bekommen habe, also als ich schon lange in leitender Funktion tätig war. Ich würde aber generell sagen, dass es wichtig ist, dass man sich den richtigen Gefährten aussucht, also "klug" heiratet. Damit meine ich, dass man einen Partner  wählt, der einen auch im Hinblick auf die beruflichen Ziele voll unterstützt. Frau und Mann müssen miteinander agieren und nicht in Konkurrenz. Was sich geändert hat mit Kindern ist aber sicherlich, dass ich  nicht mehr so perfektionistisch bin wie früher. Der Tag hat eben nur 24 Stunden und man muss sich im Zweifelsfall die Frage stellen, ob Perfektionismus das Ergebnis signifikant weiter verbessert oder ob man nur noch eine weitere Kirsche auf das Sahnehäubchen setzt. Mit Kindern muss man den Tag noch besser organisieren, man muss effizienter werden und man muss seine Ansprüche teilweise herunterschrauben. Ich habe mich zum Beispiel von der Idee verabschiedet, eine perfekte Hausfrau zu sein. Aber wir haben ein Nanny, die zu den Kindern schaut und uns auch im Haushalt hilft, sonst würde es nicht so gut funktionieren.

Sie sind seit 2006 ABB-Kommunikationschefin. Wo könnte ein nächster Karriereschritt hinführen?
Ich habe mir diese Gedanken nie gemacht, ganz ehrlich. Klar reflektiere ich ab und zu, wo ich stehe. Ich verfolge aber keinen strikten Karriereplan, sondern möchte offen bleiben. Ansonsten entgeht einem viel.

Was wollen Sie neben Ihrem beruflichen Engagement auch noch tun?
Ich bin an der HWZ in Zürich und an der ZHAW in Winterthur als Dozentin tätig. Das macht mir sehr viel Spass. Die Interaktion und der Austausch mit den Studierenden sind eine echte Bereicherung. Darüber hinaus versuche ich, mir auch Zeit für ehrenamtliche Aufgaben, zum Beispiel im Umfeld der Schule und Krippe meiner Kinder, zu nehmen. Ich finde das sehr wichtig und ein gutes Gegengewicht zu den anderen Themen.

Interview: Edith Hollenstein

 

 



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