Mitte der 80er-Jahre sass ich eines Nachmittags beim Schweizer Fernsehen im sehr kleinen Büro von Peter «Schälli» Schellenberg. Dieser war damals Programmreferent von TV-Direktor Ulrich Kündig. Beim Kaffee träumte Schälli schon damals von einem täglichen Nachrichtenmagazin. Vorbild waren die ARD-«Tagesthemen».
1987 wurde Schälli zum Fernsehdirektor gewählt. Ab Januar 1988 sass er in einem richtig grossen Büro. Damals lief im DRS-Programm noch die Vorabendsendung «Karussell». Ein Format mit «feuilletonistischem Charakter». Moderatoren waren neben anderen Kurt Schaad und Kurt Aeschbacher. Produzent der Sendung der heutige Radio- und Fernsehdirektor Ruedi Matter.
Das «Karussell», 1977 gegründet, war ein eigenes Lädeli im grossen Laden. Die verschworenen Macher liessen sich von oben kaum etwas sagen. Sogar die Pressearbeit für «ihre» Sendung besorgten sie selber. Das gefiel dem neuen TV-Boss Peter Schellenberg überhaupt nicht. Viel weniger passen konnte ihm, dass Kosten, Aufwand und Quoten der teuren Eigenproduktion im Laufe der Jahre in einem immer ungesunderen Verhältnis standen. Ich erinnere mich, dass die damalige TV-Serie «Knight Rider» mit David Hasselhoff im ORF-Programm zeitgleich oftmals mehr Schweizer Zuschauer erreichte als das «Karussell».
Wenige Monate nach seinem Amtsantritt stellte Schellenberg das «Karussell» ein. Am 10. Juni 1988 lief die letzte Sendung. Der Aufschrei war gross, vor allem jener der «Karussell»-Crew. Von der Öffentlichkeit hatte diese viel lautere Protest erwartet. Vergeblich. Schälli konnte übrigens gut damit umgehen, dass er von manchen «Karussell»-Leuten nicht einmal mehr gegrüsst wurde.
Mit dem durch die Absetzung der Vorabendsendung reichlich freigewordenen Geld finanzierte TV-Direktor Schellenberg «10 vor 10», das Ende August 1990 erstmals über den Bildschirm flimmerte. Gründer und erster Chef des Nachrichtenmagazins war Jürg Wildberger. Er moderierte auch, neben den unvergessenen Walter Eggenberger und Jana Caniga.
Wildberger machte von Beginn an eine spannende Sendung, was im Hause Leutschenbach nicht allen gefiel. Vor allem die damaligen Schlafmützen von der «Tagesschau» meckerten jahrelang über «10 vor 10». Für sie war das Magazin eine Konkurrenz. Und sie sahen ihr hohes Budget in Gefahr. Die «Karussellianer» verstummten bald. Viele von ihnen trauern der Sendung bis heute nach. Immer noch veranstalten sie «Karussell»-Klassentreffen.
Heute muss jeder zur Kenntnis nehmen, dass Peter Schellenberg (TV-Direktor bis 2003) damals einen klugen Entscheid getroffen hatte. Dank «10 vor 10» wurden Grossereignisse vom Schweizer Fernsehen nicht mehr verpasst. Was zuvor häufig passiert war. Und: Das Nachrichtenmagazin gab dem Abendprogramm endlich eine sinnvolle Struktur.
Wie jede Sendung erlebte in den letzten sechzehneinhalb Jahren auch «10 vor 10» seine Hochs und Tiefs. Wie ist der Stand heute? Wir sehen fünfmal wöchentlich eine solide, handwerklich gut gemachte Sendung. Die Ereignisse des Tages aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft werden meist substanziell vertieft. Die Quoten und Marktanteile liegen im grünen Bereich.
Allerdings lohnt es sich nicht immer, wegen «10 vor 10» aufzubleiben. Die versprochenen «überraschenden Ansätze» sucht man meist vergeblich. Und der investigative Journalismus ist in dem Magazin selten geworden. Gerade am Dienstag allerdings gab es wieder einmal eine löbliche Ausnahme. Eine interessante Story über Alexey Alyakin, der als einer der grössten Bankenbetrüger Russlands gilt. «10 vor 10» fand Spuren von ihm im Tessin.
Trotzdem: Ein Innovationsschub würde dem Nachrichtenmagazin längst wieder einmal guttun. Ein «Problem» muss hierzu angesprochen werden: Früher wollten die besten und ehrgeizigsten Journalistinnen und Journalisten des Schweizer Fernsehens zu «10 vor 10». Heute bewerben sie sich bei der «Rundschau». Verständlich.
Mit der Beurteilung des «10 vor 10»-Moderations-Teams kann ich es kurzhalten: Mit Abstand am meisten überzeugt Susanne Wille. Auch als Interviewerin. Ein Glücksfall für den Sender und die Zuschauer, dass sie unlängst zum Magazin zurückgekehrt ist. Wille: Eine Anchorwoman. Ein TV-Star.
TV-Kritik
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