08.03.2022

#gislerprotokoll

50 Mitglieder dabei, 149 Werbungen analysiert

Zum 1-Jahr-Jubiläum hat die Initiative eine Stereotypen-Analyse von 149 Bewegtbild-Werbungen aus dem Jahr 2021 aus der Schweiz durchgeführt. Diese zeigt unter anderem, dass die Darstellung von Männern «genauso klischiert, wenn nicht klischierter» als jene der Frauen ist.

Die agenturübergreifende Initiative #gislerprotokoll setzt sich für die facettenreiche Repräsentation der Geschlechter in Marketing, Kommunikation und Werbung ein. Sie ist Doris Gisler Truog gewidmet, einer Werberin, die ab 1969 mit ihrer Kampagne bedeutend zur Einführung des Schweizer Frauenstimmrechts beigetragen hat (persoenlich.com berichtete).

Am 8. März 2022 wird das #gislerprotokoll ein Jahr alt. Mittlerweile haben sich gemäss einer Mitteilung 50 Agenturen und Expertinnen sowie Experten aus der Kommunikationsbranche der Initiative angeschlossen und damit auch dem Bestreben, die fünf Punkte des Protokolls in ihrer täglichen Arbeit zu leben:

Gisler_5_Punkte

Vom «Funny Guy» bis zur «Kümmerin» 

Zum Jubiläum des #gislerprotokolls hat die Initiative eine Stereotypen-Analyse von 149 Bewegtbildwerbungen aus dem Jahr 2021 aus der Schweiz durchgeführt. Der Fokus lag dabei auf der Präsenz und Darstellung von Männern und Frauen. Quelle der Auswertungen waren alle Werbungen, die 2021 via Branchenmedien kommuniziert wurden und in denen Bewegtbildcontent vorkam – unabhängig davon, ob die Spots für TV oder für die Onlineausspielung konzipiert wurden.

Als Raster für die Stereotypen-Analyse dienten die vom #gislerprotokoll identifizierten zehn Geschlechter-Stereotypen – darunter sechs männliche und vier weibliche:

That one funny guy

Der Lustige. Der Charakterkopf. Nimmt sich selbst nicht so ernst, ist aber genau darum ernst zu nehmen. Spielt darum auch die Hauptrolle und kann es sich leisten, sich über sich selbst lustig zu machen.

3 Dudes haben Spass

Drei Männer, die was erleben. Freunde fürs Leben, Bros oder einfach nur zufällig ausgewählte Männer. In der Schweiz sehr beliebt wegen unserer vier Landessprachen.

Ein wahrer Held

Wie Odysseus kämpft sich unser Held durch alle Widrigkeiten, reüssiert aber natürlich am Ende heldenhaft. Gern ist der wahre Held auch ein bekannter Sportler. Wir sind beeindruckt. Was für ein Mann.

Der Meister bei der Arbeit

Der Meister – gerne Ü50 – verfügt über grosse Expertise. In Sachen Schokolade, verkalkte Spülen oder Käse. Nur er weiss, wie es richtig geht. Dazu muss er nicht mal viel sagen, alleine seine meisterliche Aura flösst uns grössten Respekt ein.

Mr. Mansplainer

Wie der «Meister bei der Arbeit» hat auch unser Mr. Mansplainer grosse Expertise in seinem angestammten Fachgebiet. Und ist meistens über 50-jährig. Anders als der stumme Meister erklärt uns Mr. Mansplainer sehr gerne die Welt.

A man‘s gotta do what a man‘s gotta do

Eine Sammelkategorie für alles, was Männer halt so tun. Und eben auch nur sie. Sie steuern gekonnt Autos, grillieren in Perfektion und schwitzen dabei männlich.

Die Kümmerin

Sie kümmert sich. Um Kinder, Tiere, verkalkte Kaffeemaschinen. Gerne im Profil, da sie sich ja etwas oder jemandem zuwenden muss. Sagen kann sie nicht viel, sie ist ja beschäftigt damit, sich zu kümmern. 

Die stille Geniesserin

Unglaublich, wie cremig dieses Joghurt ist. Das verschlägt der stillen Geniesserin gleich die Sprache. Weshalb sie auch einfach weiterhin stumm ihre Schokolade (aber nicht zu viel), ihr Joghurt (am liebsten fett- und zuckerarm) oder einfach nur den Moment geniesst.

Die Reklerin

Zum Glück eine schon fast ausgestorbene Kategorie. Ausser in Parfüm- und Kosmetikwerbungen. Da erfreut sich die Reklerin nach wie vor grosser Beliebtheit. Immer mit halboffenem Mund, das Stöhnen auf den Lippen, rekelt sie sich lasziv um Parfümflakons, Mascaras oder Antifaltencremes.

The Cool Girl

Das Cool Girl ist nicht wie jede andere typische Frau. Das Cool Girl isst gerne Burger, spielt Fussball, flucht und ist auch sonst einfach eher so cool wie ein Mann und nicht so bieder wie eine Frau. Gerne ist das Cool Girl auch äusserlich etwas edgier und trägt damit ihren verrückten Charakter nach aussen zur Schau.

Die wichtigsten quantitativen Ergebnisse der Erhebung:

  • In 115 Werbungen kommen Frauen vor, 44-mal sprechen diese Frauen auch.
  • In 125 Werbungen kommen Männer vor, 52-mal sprechen diese Männer auch.
  • In den 149 Spots kommen 95 männliche Stereotype und 53 weibliche Stereotype vor.
  • Es zeigt sich: Männer würden also «häufiger klischiert» dargestellt als Frauen.
  • Der mit Abstand beliebteste männliche Stereotyp (45-mal): «That one funny guy» – der humorvolle Mann.
  • Mit einigem Abstand folgt auf Platz 2 die Sammelkategorie «A man’s gotta do what a man’s gotta do» (18-mal).
  • Beliebtester weiblicher Stereotyp: «The cool girl» (18), auf Platz 2 folgt die «Kümmerin» (14).
  • In zwei der analysierten Werbungen kümmert sich ein Mann explizit um ein Kind, in zwei Werbungen fährt ein Vater mit dem Kind im Auto und übernimmt so väterliche Pflichten.
  • In 49 Werbungen, in denen Männer und/oder Frauen vorkamen, wurden keine stereotypisierten Darstellungen angewendet.
  • In 40 der analysierten Werbungen kam ein Stereotyp vor, in 36 Werbungen zwei oder mehr Stereotype.

Aus der qualitativen Analyse ergeben sich folgende zentralen Ergebnisse:

  • Bei der Diskussion um Klischees und Stereotype in der Werbung geht es nicht nur um die Darstellung der Frauen - die Darstellung der Männer ist gemäss Mitteilung «genauso klischiert, wenn nicht klischierter».
  • Es zeigt sich aber: Die männlichen Stereotypen sind positiver behaftet: Männer sind lustig («That one funny guy»), gebildet (« Mansplainer») oder aktiv («A man’s gotta do, what a man’s gotta do»).
  • Daher sei das Bild der Männer – auch wenn stereotyp – insgesamt positiver konnotiert.
  • Frauen werden seltener in aktiven Rollen dargestellt. In diesen Fällen bestehen Werbungen oftmals den Topfpflanzentest des #gislerprotokolls nicht, der prüft, ob Frauen in einer Story durch eine Topfpflanze ersetzt werden könnten, ohne dass die Geschichte leidet.
  • Die Häufung beim weiblichen Stereotyp «The cool girl» zeigt die Bestrebungen der Branche, das klischierte Frauenbild zu brechen. Immer wieder schwappt diese Tendenz dann aber in ein anderes Extrem über und die Tatsache wird ins Zentrum gerückt, dass eine Frau facettenreich ist und auch mal Dinge tut, die nicht als per se weiblich gelten (Bier trinken, mit Männern Freundschaften pflegen, Fussball spielen) Auch das führe wiederum zu einer stereotypisierten Darstellung.
  • Der Geschlechtergraben zeigt sich relativ ausgeprägt bei Influencerinnen (meistens weiblich) und Profisportlern (meistens männlich).
  • Off-Stimmen und damit auch Stimmen, die etwas erklären, sind meistens männlich. Männer werden also nach wie vor eher als das Geschlecht wahrgenommen, das etwas erklären kann und soll.
  • Frauen werden öfter in Bezug auf ein Gegenüber dargestellt. Als Teil eines Paars, als Mutter und so weiter.
  • Männer haben häufiger Rollen, die ohne externe Rollenzuschreibung auskommen

Sensibilisierung und Bewusstwerdung

Das Ziel der Analyse ist es gemäss Mitteilung, die Diskussion rund um die stereotypisierte Darstellung der Geschlechter in der Werbung und Kommunikation durch quantitative Daten anzureichern und so Sensibilisierungsarbeit zum Thema zu leisten. Das Vorkommen von Stereotypen in Werbungen sage dabei nicht automatisch etwas über deren Qualität aus. «Es ist die schiere Menge und die unreflektierte Verwendung, die stereotypisierte Darstellungen zum Problem werden lassen», heisst es in der Mitteilung.

Das #gislerprotokoll fokussiert seine Sensibilisierungsarbeit laut eigenen Angaben vornehmlich auf das binäre Geschlechtersystem und hofft, damit auch auf allen anderen Facetten des Diversitätsspektrums eine Bewusstmachung und -werdung zu unterstützen. (pd/tim)



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