16.12.2005

Der Springer & Jacoby-Code

Die Hamburger Werbeagentur "Springer & Jacoby", die Mutter aller Kreativschmieden (werben&verkaufen), macht mit revolutionären Neuerungen von sich reden. So will sie in unmittelbarer Zukunft an keinem Kreativwettbewerb mehr mitmachen und bietet ihren Kunden einen so genannten Billigtarif an, der auf dem Prinzip "Nach drei Schuss ist Schluss" basiert. "persönlich" fragte Schweizer Agenturchefs nach Ihrer Meinung zum Vorschlag, nicht mehr an den Awards teilzunehmen.
Der Springer & Jacoby-Code

Edgar C. Britschgi, Vorsitz Advico Young & Rubicam:

Die bedeutenden Kreativwettbewerbe sind so wichtig wie WM, Champions League oder Olympia. Die besten Kreativen wollen und sollen sich messen können. Allerdings haben nicht alle Wettbewerbe den gleichen Stellenwert, man muss auch nicht überall dabei sein. Advico Young & Rubicam scheut den Vergleich nicht, deshalb machen wir bei den wichtigsten Awards mit. Und wir stellen immer wieder Jury-Mitglieder. Gut organisiert und geführt, lässt sich der Aufwand für Awards in vernünftigen Grenzen halten.

Peter Felser CEO Spillmann/Felser/Leo Burnett AG:

Wir freuen uns, wenn wir für herausragende Arbeiten auch von unseren Branchenkollegen im In- und Ausland Anerkennung erhalten. Kreativwettbewerbe sind für uns wichtig. Aber nie als Selbstzweck. Awards dürfen nicht das Ziel sein, sondern lediglich das nachträgliche Resultat. Im Fokus bleibt der Markterfolg -- notabene -- für real existierende und zahlende Kunden. So freuen wir uns, wenn wir für den Schweizer Marktleader Feldschlösschen im ADC einen Gold-Award gewinnen oder wenn die international erfolgreiche Markenkampagne von Mammut in New York und anderswo ausgezeichnet wird. Entsprechend kennen wir Probleme wie jene von Springer&Jacoby nicht, bei denen 30 Prozent der Ressourcen für Award-Arbeiten draufgingen.

Geri Aebi, CEO Wirz Werbung:

Gewonnene Awards sind als kreative Visitenkarte einer Agentur ein äusserst angenehmes Nebenprodukt der erfolgreichen Arbeit für bestehende Kunden. Letzteres scheint mir dabei das Entscheidende: Dass die Preise das Produkt einer guten Kampagne für einen zahlenden Auftraggeber sind -- und nicht von kreativen Freispielen für nicht kommerzielle oder gleich ganz erfundene Kunden. Nur so kann man ja die unglaublichen 30 Prozent Award-Ressourcen von Springer&Jacoby interpretieren: Dass ihnen kein wirkliches Agenturincome gegenübersteht.

Peter Leutenegger, CEO FCB Leutenegger Krüll, BSW-Präsident:

Etwas vom Schwierigsten für Auftraggeber ist die Wahl einer Werbeagentur, eines Partners, der für die Marktbearbeitung Leistung und Mehrwert bietet. Sie orientieren sich deshalb gerne am bisherigen Leistungsausweis und daran, wie der Markt die Agenturen bewertet. Für uns als Top-Ten-Agentur ist von zentraler Bedeutung, dass dieser Leistungsausweis auch vom Markt durch objektive Kriterien gestützt wird. Die Teilnahme an Effie- und Kreations-Wettbewerben ist für uns darum Teil einer solchen Beweisführung und steht nicht zur Diskussion.

Kaspar Loeb, CEO Publicis:

Ohne Wettbewerb keine neuen Kunden, ohne neue Kunden nicht mehr Income, ohne neues Income nicht die besten Leute, ohne die besten Leute nicht die beste Agentur.

Daniel Matter, Creative Director Matter & Partner:

Allem voran hat sich eine Werbeagentur auf die Anliegen ihrer bestehenden, zahlenden Kunden einzustellen. Wenn 30 Prozent der Ressourcen in Award-Arbeiten investiert werden, ist das gleich dreimal schlecht: Den Kunden fehlt ein Teil der Ressourcen, der Agentur fehlt ein Teil der Honorare der Kunden, und der Branche fehlen real existierende Beispiele herausragender Kreativarbeit. Doch Awards sind gut, weil sie einen zu besseren Leistungen anspornen. Wie im Sport misst man sich an Wettbewerben und zeigt, dass man mithalten oder sogar herausragen kann, und bleibt dabei auch noch fit.

Reini Weber, Leitung/Creative Direction Reinhold Werbeagentur AG:

Beim ADC Schweiz und allenfalls ein bisschen in Cannes mitzumachen, hat einen grossen Stellenwert – und das reicht auch vollauf. Alles andere ist unsinnig und auch unsinnig teuer. Damals bei WHS haben wir jedes Jahr alleine in der Schweiz für rund 50000 Franken Kampagnen beim ADC eingesandt, für die Lithos der prämierten Arbeiten fürs Annual wurde dann nochmals etwa so viel fällig. Macht rund 100000 Franken. Macht die Agentur zehn Prozent Gewinn, bedeutet dies: Der Gewinn eines Mandats, das eine Million Franken Honorar-Income bringt, ist futsch. Um eine Million Income zu realisieren, war schon in den Hoch-Zeiten der Werbung ein mehrstelliger Millionen-Etat nötig. Wir haben im Sinne eines Investments ganz bewusst mitgemacht. Wenn einmal Schwung im Laden ist, gilt es, diesen auszunützen. Und wer Vorreiter sein will, soll als Vorbild für die ganze Branche etwas tun.

Markus Ruf, Creative Director Ruf Lanz:

Kreativwettbewerbe sind für uns ein Gradmesser, wo wir mit unserer Arbeit im Vergleich mit anderen Top-Agenturen stehen. Gerade in einer Branche, in der sich jedes Freelance-Team als Hot Shop verkaufen kann, helfen zumindest die renommierten Awards, die Spreu vom Weizen zu trennen. Bei Kunden sind sie auch ein Kriterium für die Agenturwahl. Es gab immer wieder mal Agenturen, die lauthals verkündeten, sie würden nicht mehr an Kreativwettbewerben teilnehmen. In der Regel warens aber jene, die ohnehin nie was gewonnen hatten. Das ist etwa so, als würde ein Eunuch verkünden, in Zukunft auf Sex zu verzichten. Bei S&J in Deutschland ist das natürlich was anderes. Wir haben uns einen Rückzug nach der reichen Ernte in den letzten Jahren auch schon überlegt. Ganz einfach, weil wir ein prima Konzept in der Schublade haben, was wir mit dem Geld stattdessen machen würden. Mal sehen.

Cary Steinmann, CSO TBWA\Switzerland:

Man muss die Massnahmen von Springer & Jacoby relativieren: Die Agentur ist wirtschaftlich unter Druck und reagiert entsprechend. Radikaler als andere Agenturen, die es vielleicht noch nicht gemerkt haben, dass härtere Zeiten anstehen. Radikaler, weil S&J immer radikaler waren, sei es in der Philosophie, der Führung, der Wortwahl, dem Nachwuchs -- nicht von ungefähr werden viele der Hauptkonkurrenten von S&J im deutschen Markt von ehemaligen S&J-Mitarbeitern geführt.

Frank Bodin, Chairman & CEO Euro RSCG Group Switzerland:

Die Frage ist falsch. Sie müsste lauten: Welchen Stellenwert haben Wettbewerbe für die Kunden einer Agentur? Die Antwort lautet: Leider derzeit einen zu kleinen Stellenwert. Zwei Gründe: a) ein Glaubwürdigkeitsproblem, b) die Award-Flut. Zu a): Die Werbeauszeichnungen haben sich in den letzten Jahren mehr und mehr von der Werberealität entfernt; zu viele der ausgezeichneten Arbeiten sind für die Werbeindustrie irrelevant. Zu b): Wöchentlich gewinnt irgendeine Agentur irgendwo irgendeinen Preis für irgendwas. Weltweit weit über 40 Kreativwettbewerbe sind zu viel des Guten, hinzu kommen jährlich x weitere neue Awards für Spezialdisziplinen. Die Award-Inflation hat zu einer Award-Wertminderung geführt. Dass mal wieder eine Agentur die längst fällige öffentliche Diskussion in Gang bringt, ist gut. (Als ich vor drei Jahren den ADC in Frage stellte, hat mir dies einerseits einen Haufen anonyme Schmäh-Mails eingebracht, aber andererseits auch zur Einführung von Qualitätskriterien geführt.) Mit dem totalen Teilnahmeverzicht entzieht sich S&J aber der Diskussion. Für Euro RSCG Zürich/Genf habe ich im Jahr 2004 die Einreichungen wie auch die internen Aufwendungen für Wettbewerbe extrem zurückgeschraubt. (Was mit ein Grund dafür ist, dass wir im demnächst erscheinenden Kreativ-Ranking 2005 sehr weit – zu weit – nach hinten fallen werden.)

Bene Abegglen, Creative Partner Contexta AG:

Nein wir haben noch nie an einen Rückzug gedacht. Wir wollen uns regelmässig mit unseren besten Arbeiten mit den Besten der Branche messen. Darum ist für uns die Teilnahme an den bedeutendsten (es herrscht eine richtige "Awards-Inflation") nationalen und internationalen Wettbewerben wichtig. Umso mehr als dies, vorausgesetzt man gewinnt einen Preis, immer eine Anerkennung der Kollegen für gute kreative Arbeit ist. Dass Kunden vermehrt an solchen Anlässen (z.B. dieses Jahr wieder in Cannes) präsent sind, ist lobenswert. Leider haben sich S&J als die “Mutter aller Kreativschmieden” vorläufig entschieden, aufs Mitmachen zu verzichten. Das finde ich schade.

Ted Metzger, Verwaltungsratspräsident metzgerlehner worldwide partners AG:

Wettbewerbe spielen für uns eine wichtige Rolle. Aber damit meinen wir Wettbewerbspräsentationen, um Kunden zu gewinnen. Und nicht Kreativwettbewerbe, um Medaillen zu gewinnen. An denen nehmen wir zwar auch teil. Aber in sehr beschränktem Umfang, vor allem beim ADC Schweiz, beim Effie, allenfalls auch mal in Cannes. Wer überall mit dabei sein will, zahlt in der Tat einen sehr hohen Preis an Aufwand. Aber nur wer überall mitmacht und gewinnt, ist in den Kreativrankings vorne. Deren publizistischer Stellenwert ist zwar hoch, letztlich aber nicht relevant für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Kunden. Insofern ist der Entscheid von Springer & Jacobi mutig und nachvollziehbar zugleich.


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