12.09.2022

Digitale Plakatwerbung in Zürich

Vermarkter wehren sich gegen Werbescreen-Debatte

Der Zürcher Gemeinderat lässt den Verzicht von zusätzlichen digitalen Werbeflächen auf öffentlichem Grund prüfen. Nun laufen Vertreter aus der Werbebranche Sturm. Der Entscheid sei «absurd», heisst es. Und die «Informationsfreiheit werde begrenzt».
Digitale Plakatwerbung in Zürich: Vermarkter wehren sich gegen Werbescreen-Debatte
Ein digitaler Werbescreen, fotografiert im Bahnhof Basel. Zu sehen sind zudem Christoph Marty (CEO Clear Channel), Jürg Knecht (City Lights) und Jürg Bachmann (KS/CS Kommunikation). (Bild: Keystone/Christian Beutler/zVg))

Der Siegeszug digitaler Werbeflächen könnte in der grössten Schweizer Stadt möglicherweise bald gestoppt werden. Die Mehrheit des links-grünen Gemeinderats hat vergangene Woche die Exekutive mit einem überraschend knappen Resultat von 62 zu 57 Stimmen in einem Postulat aufgefordert, den Verzicht des Ausbaus weiterer digitaler Werbung auf öffentlichem Grund zu prüfen. Dies nicht nur, um Strom zu sparen, wie AL-Gemeinderat Michael Schmid begründet, sondern auch um die Werbung einzuschränken. Das Ziel von Werbung sei es, so Schmid, die Leute zu manipulieren.

Informationsfreiheit einschränken

Gegen das geplante Verbot läuft die Branche nun Sturm. Dies nicht zuletzt, weil ein negativer Entscheid in Zürich Signalwirkung auf das ganze Land haben könnte. KS/CS Kommunikation Schweiz zeige sich enttäuscht über diesen Entscheid, so deren Präsident Jürg Bachmann gegenüber persoenlich.com. «Viele Menschen schätzen Plakatwerbung. Sie nehmen sie als informativ und sympathisch wahr. Plakatwirtschaft ist wichtig für Volkswirtschaft, Demokratie und Kultur. Sie einzuschränken, heisst lediglich auch die Informationsfreiheit zu begrenzen. Das ist ökonomisch, kulturell und staatspolitisch bedenklich», so Bachmann.

Brief an den Zürcher Gemeinderat

Die grossen Plakatgesellschaften APG, Clear Channel und Neo Advertising blasen ins gleiche Horn und verweisen auf ein Schreiben, das Christoph Marty, CEO Clear Channel Schweiz und Vizepräsident des Verbandes Aussenwerbung, an den Zürcher Gemeinderat im Vorfeld der Abstimmung gesandt hat. Dieses Schreiben wurde auch von KS/CS Kommunikation Schweiz und dem ADC mitunterzeichnet.

Marty stellte im Schreiben klar, dass sowohl APG als auch Clear Channel 1,5 Millionen Franken Steuern in der Stadt Zürich zahlen, wobei APG gemäss Stadtpräsidentin Corine Mauch sogar zu den 100 grössten Steuerzahlenden von Zürich zähle. Zusammen beschäftigen sie 520 Arbeitnehmende, 150 in der Stadt Zürich. Das Postulat ziele auf ein allgemeines Werbeverbot in der Stadt Zürich ab, so das Schreiben. Rund die Hälfte der Plakatwerbung würde vom lokalen und regionalen Gewerbe für ihre Bedürfnisse genutzt.

Marty verwies noch auf die französische Stadt Grenoble, die mit dem Abbau von 300 von rund 3000 Plakatstellen auf 150 000 Euro verzichtete. In seinem Schreiben wies Marty noch daraufhin, dass im Postulat «falsche Behauptungen» aufgestellt würden. Marty stellt sich auf längere Diskussionen zum Thema Digitalwerbung im öffentlichen Raum ein, wie er gegenüber persoenlich.com bekräftigte. So seien bereits weitere parlamentarische Vorstösse geplant.

«DDR lässt grüssen»

Indirekt betroffen wäre von einem Verbot auch Jürg Knecht, dessen Firma City Lights seit 1985 auf privatem Grund Screens aufstellt, auf welchen Werbung zu sehen ist. Knecht ist seit rund 50 Jahren in der Werbung tätig.

Knecht glaubt, dass der Zürcher Gemeinderat mit diesem Entscheid den «Zürcher Neidbürgern in die Unvernunft gefolgt» sei, weil im Moment die politische Windrichtung stimme. Dieser Entscheid sei «völlig absurd», die DDR lasse grüssen. Trotzdem gibt sich Knecht optimistisch, gegessen sei noch nichts. Leidtragende von einem negativen Entscheid wären auch die städtischen Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ), die ihr Angebot in den letzten Jahren ständig ausgebaut haben.


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KOMMENTARE

Christian Hänggi, IG Plakat | Raum | Gesellschaft
16.09.2022 10:01 Uhr
@Marty: Ich kann mir schon vorstellen, dass AWS die wirklichen Zahlen zur Lokal- und KMU-Werbung kennt. Wir konnten allerdings nachweisen, dass die vom Verband kommunizierten Zahlen nichts mit der Realität zu tun haben. Zur Erinnerung: Markus Ehrle, APG-CEO und AWS-Präsident, hat uns gegenüber 40% genannt. Sie, Herr Marty, haben als AWS-Vizepräsident 50% genannt (also ein Viertel mehr, als die Zahl Ihres Präsidenten). Offenbar sind sich die beiden Chefs nicht einmal einig. Wenn aber Herr Ehrles Zahl sich nur auf die APG bezogen hat und Ihre Zahl für den Gesamtmarkt ebenfalls stimmen soll, dann müssten die anderen Marktteilnehmer aufgrund ihrer Marktanteile etwa 80% KMU-Werbung verkaufen. Wer mit offenen Augen durch Zürich geht, weiss, dass sowohl 40% als auch 50% komplette Fantasiezahlen sind. Deshalb haben wir nachgezählt, nach Zufallsprinzip über 240 kommerzielle Werbeflächen in der Stadt Zürich (alle Formate, ausser Kommerz-Litfasssäulen, von allen Marktteilnehmern). Das Resultat: 2,9% KMU-Werbung, wovon lediglich 2 Plakate Lokalgewerbe.
Rudolf Bolli
15.09.2022 00:39 Uhr
Als der Stadtrat Ende 2018 im Rahmen der Strategie Smart City die Erteilung zusätzlicher Konzessionen für digitale Werbung auf öffentlichem Grund ankündigte, erhob sich kein politischer Protest. Allerdings war zuvor schon einmal im Gemeinderat Kritik an der digitalen Werbung laut geworden. Diese Art der Reklame schaffe ein weiteres Element der Beunruhigung, der Nervosität und der Ablenkung für unsere Strassenbenützer, rügte ein Interpellant, und er meinte, es sollten keine weiteren derartigen Reklamen bewilligt werden, da sie das nächtliche Bild unserer Stadt im ungünstigen Sinne veränderten, und überhaupt bestehe in Zürich kein Bedürfnis dafür. Wohl verstanden: Dieser Vorstoss wurde 1956 eingereicht, und er richtete sich gegen die neue Leuchtwanderschrift an der Dachkante des ehemaligen Hotels Habis Royal am Bahnhofplatz. Von einer digitalen Werbeanlage war damals allerdings nicht die Rede, obwohl da durchaus schon digitale Technik eingesetzt wurde. Der Stadtrat besänftigte den Interpellanten, die Anlage sei als Versuch bewilligt worden, der vorläufig nicht wiederholt werden solle. Er dauerte drei Jahrzehnte, bis das Habis Royal abgebrochen wurde. Dann kamen die Screens, die damals noch nicht so genannt wurden. Leuchtende Werbeflächen, ob analoge oder digitale, brauchen Strom. Soll man da auch sparen, oder überall sonst, die Werbescreens ausgenommen? Die sind doch wichtig, beispielsweise für digitale Werbekampagnen für das Stromsparen.
Christoph Marty
14.09.2022 17:52 Uhr
Das stimmt - Plakate sind das älteste Medium der Welt und zugleich heute das modernste. Die Lokalwerbung wächst und im Gegensatz zu der IG kennt der Verband die Zahlen der KMU-Anteile - weil der Erfolg von Plakatwerbung spürbar ist.
Christian Hänggi, IG Plakat | Raum | Gesellschaft
13.09.2022 12:46 Uhr
Die Reaktion dieser altgedienten Herren der Werbeindustrie erstaunt insofern nicht, als dass Aussenwerbung sich stets gegen die demokratische Mitbestimmung gewehrt hat. Wenn es sein muss, dann auch mit Verdrehung der Tatsachen und mit falschen Behauptungen, wie es Christoph Marty für den Branchenverband Aussenwerbung Schweiz AWS gemacht hat. In besagtem Schreiben an den Gemeinderat hat er beispielsweise behauptet, dass KMU- und Lokalwerbung 50% der Werbeflächen ausmacht, wo die tatsächlichen Zahlen in Zürich zwischen 1% (Lokalwerbung) und 5% (alle KMU, grosszügig aufgerundet) liegen. Zudem hatte AWS offensichtlich das falsche Postulat im Blick, da von allem, was sie behaupteten, nichts davon im Postulat 317 stand. Die ewiggestrige Werbeindustrie hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt und überzieht die Städte mit blinkenden, stromfressenden Werbescreens. Dass diese nun kritisiert werden, hat sich die Industrie selber zuzuschreiben.
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