05.09.2014

Lobbying


Tellerjongleur im Bundeshaus

Migros-Politchef Martin Schläpfer erklärt, wie Bundesbern tickt.
Lobbying
: Tellerjongleur im Bundeshaus

Erfolgreiches Lobbyieren ist eine anspruchsvolle Diszipin. Migros-Politchef Martin Schläpfer, langjähriger Bundeshausredaktor und stellvertretender Chefredaktor der "Bilanz", gehört zu den erfahrensten Vertretern dieser Branche. Gegenüber "persönlich" erklärt er die Gesetzmässigkeiten des Politlobbying und erklärt, wie Bundesbern tickt.

Herr Schläpfer, was war Ihr grösster Erfolg als Cheflobbyist der Migros?

Adolf Ogi hat einmal gesagt, er, also der Bundesrat, schiesse die Tore. Wir Lobbyisten sind dann erfolgreich, wenn wir den Gesetzgebungsprozess optimal begleiten und zu einem einigermassen glücklichen Ende führen können. Das Glas kann nicht für alle voll sein. Die Vorstellung, wonach wir aber als One-Man-Show agieren, ist falsch; wir sind immer auf Koalitionen und Partner, die von Geschäft zu Geschäft wechseln können, angewiesen. Vernetzen ist das A und O des Lobbyings.

Aber es gab doch sicher ein absolutes Erfolgserlebnis?
Die Zulassung von Parallelimporten patentgeschützter Güter. Das war ein Kraftakt, weil wir uns als kleine Gruppe gegen die grossen Wirtschaftsverbände, aber auch gegen den damaligen Bundesrat Blocher durchsetzen mussten. Die Prediger freier Märkte, des Freihandels und des Wettbewerbs, die diesen ordnungspolitischen Sündenfall zu verantworten hatten, prophezeiten damals ja den Niedergang der Schweizer Wirtschaft.

Die Wirtschaftsverbände haben auch Einfluss auf die Parlamentarier genommen.

Logisch, insbesondere die Pharmabranche opponierte massiv. Aus kurzfristigen Interessen bekämpfen globale Konzerne leider noch heute den freien Preiswettbewerb. Dadurch wird das Vertrauen in die freie Marktwirtschaft unterminiert.

Lobbyieren heisst also kaufen.
(Lacht) Nein, nein, obwohl dies dem landläufigen Klischee entsprechen mag. Bis heute ist meines Wissens in der Schweiz kein Fall aktenkundig, wonach sich ein Parlamentarier für sein Stimmverhalten bezahlen liess.

Aber es gibt auch andere Formen
der Beziehungspflege.

Zweifelsohne, aber das betrifft nicht nur das Lobbying. Wenn beispielsweise eine ehemalige Justizministerin nach ihrer Abwahl aus dem Bundesrat bei einem Grossunternehmen anheuert. Damit wird ein Signal für andere Politiker gesetzt, die nach ihrem Ausscheiden einen neuen Job brauchen: Notfalls sind wir für dich da. Es gibt heute sehr viel mehr junge Parlamentarier als noch vor zwanzig Jahren. Sie sind gezwungen, ihr Leben nach der Politik rechtzeitig zu organisieren.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein Thema
 im Parlament durchbringen wollen?
Lobbying ist wie Kochen: Handwerk und Kunst. Es braucht mehr als ein gutes Rezept und feine Zutaten. Die Ausgangslage ist bei jedem Geschäft anders. Einmal hat man den Bundesrat auf seiner Seite, ein anderes Mal gegen sich. Einmal ist ein Thema medienwirksam, ein anderes Mal interessiert es niemanden. Einmal ist man in der stärkeren Position, ein anderes Mal in der schwächeren. Deshalb braucht man sehr früh eine Strategie, man muss die Schwächen der eigenen Position ausloten und darf die Stärken nicht überschätzen. Die politische Diskussion verläuft oft wie ein Mäander. Ein Geschäft dümpelt in einer Kommission und kommt nicht vorwärts. Die Gegner versuchen, auf Zeit zu spielen und die Vorlage am Ende zu versenken. Es gibt auch Ereignisse, die wie ein Wasserfall wirken. Fukushima zum Beispiel. Die Energiewende liess sich danach politisch nicht mehr aufhalten.

Nicht alle Interessengruppen haben gleich lange Spiesse.
Ja, und sie können auch nicht gleich lang sein. In einem demokratischen Prozess sollten jedoch alle Anspruchsgruppen ihre Interessen zumindest einbringen können, damit die Räte umfassend informiert sind. Ich erinnere mich, wie vor zehn Jahren eine Parlamentarierin für die Unterstützung der Bienen weibelte. Sie erntete ein mitleidiges Lächeln. Mittlerweile ist allgemein bekannt, dass das Bienensterben zu einem echten Problem geworden ist.

Was ist das Schlimmste, was ein Lobbyist machen kann?

Die eigene Position zu überschätzen, ist unverzeihlich.

Was heisst das?
Die politischen Prozesse genau verfolgen, die eigene Position nachjustieren. Und statt stur an ihr festzuhalten, im richtigen Moment auch einmal nachgeben. Es ist wie an der Börse. Es geht nicht immer nur aufwärts, man kann rasch viel verlieren.

Wie wählen Sie die Parlamentarier aus, 
die Sie unterstützen sollen?
Das kommt primär darauf an, welche Kommission ein Geschäft berät und welche ihrer Mitglieder unser Anliegen unterstützen. Diese tragen es jeweils weiter in die Fraktion und verteidigen es auch im Plenum. Ich komme mir manchmal vor wie ein Tellerjongleur im Zirkus. Ich muss schauen, dass unsere Geschäfte gut unterwegs sind. Und nicht plötzlich ein Teller zu Boden fällt, weil ich nicht aufgepasst habe.

Es wird immer wieder der Vorwurf laut, wonach die Verwaltung eigentlich das Sagen hat.
Die Verwaltung hat ein enormes Expertenwissen. Dadurch kann sie auch die Richtung vorgeben. Doch den Richtungsentscheid fällt der Bundesrat, ehe die eigentliche Auseinandersetzung im Parlament beginnt. Zentral ist, dass man sehr frühzeitig für seine Position Verständnis findet, in Expertenkommissionen, in der Verwaltung, im Bundesrat, in den parlamentarischen Kommissionen, in den Fraktionen und schliesslich in den Räten. Man ist überall auf Verbündete angewiesen.

Sie vertreten die Migros. Haben Sie deswegen einen Sympathiebonus, oder verspüren Sie so­ gar Abneigung unter Ihren Ansprechpartnern?
Ich kann mich nicht beklagen. Die Migros ist die glaubwürdigste Marke und hat über zwei Millionen Genossenschafter. Zudem versuchen wir, nicht nur die Interessen des Unternehmens zu vertreten, sondern auch diejenigen der Konsumentinnen und Konsumenten. Die Migros hat für viele Anliegen ein offenes Ohr. Grundsätzlich gilt: Jede Lobby hat ihr spezifisches Profil: Economiesuisse hat die nötigen Mittel, das Gewerbe die nötige Lautstärke, die Bauern die nötige Truppenstärke, der WWF die nötige Effizienz. Wir können auf die Konsumenten zählen und auch einmal eine Volksabstimmung erzwingen, wie etwa bei der Buchpreisbindung. Nicht gerade leicht haben es derzeit die Banken, die früher sehr selbstbewusst aufzutreten pflegten.

Inwiefern? Wollen die Parlamentarier die Bankenlobbyisten gar nicht mehr treffen?
Es gab solche Fälle. Bei der Lex USA kam erschwerend dazu, dass sich die Bankenvertreter dauernd widersprochen haben. Eine solche Kakofonie ertragen die Abgeordneten gar nicht. Die internationalen Konzerne haben zu lange ihre Interessen ohne Rücksicht auf Verluste durchgesetzt. Heute werden sie kritischer betrachtet. Man sollte die Parlamentarier nicht unterschätzen: Sie sind sehr geübt darin, Argumente auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen, in den Hearings zum Beispiel. Die Parlamentarier haben auch ein gutes Gedächtnis. Sie haben nicht vergessen, dass sich einst ein hoher Bankenvertreter in einer Kommission damit brüstete, seine Bank sei nicht mehr auf die Schweiz angewiesen, da sie global präsent sei. Es kam dann bekanntlich anders. Es bringt auch nicht viel, wenn ein Berater mit einem CEO durch die Wandelhalle promeniert und meint, damit Eindruck zu machen. Lobbying by helicopter funktioniert nicht, Lobbying ist ein ständiges Bohren dicker Bretter.

Leiden Sie unter dem Image der Hinter­zimmer-­Diplomatie?

Nein. Entscheidend ist die Transparenz. Sie ist für das Vertrauen in die Politik absolut unerlässlich. Deshalb hat die Basis der Schweizerischen Public Affairs Gesellschaft (SPAG) im Frühjahr eine sehr weitgehende Regelung erlassen, wonach die Mitglieder ihre Mandate im Internetregister offenlegen müssen, was einzelnen Vertretern von Public-Affairs-Agenturen Bauchschmerzen verursacht.

Aber es halten sich längst nicht alle Mitglieder daran.
Wir werden sehen, wie sich das neue Regime einspielt.

Der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder wollte die Lobbyisten ganz aus dem Bundes­ haus werfen. Fühlten Sie sich durch diesen Vorschlag beleidigt?
(Lacht) Überhaupt nicht. Herr Minder ist ein Oppositioneller. In dieser Rolle muss er immer wieder skandalisieren, sonst wird er nicht wahrgenommen. Ich spüre in seiner Forderung auch ein Unbehagen über die vielen Informationen, die auf die Parlamentarier einprasseln. Dafür habe ich sogar Verständnis.

Inwiefern?
Parlamentarier werden ständig mit Mails bombardiert. Der Briefversand per Internet ist industrialisiert worden. Es ist nichts einfacher, als den 246 Rätinnen und Räten per Mail eine Botschaft zu übermitteln. Die Frage ist, ob sie auch ankommt.

Warum?
Ein Beispiel: Ein Parteipräsident hatte an einem Sessionstag 250 ungeöffnete Mails auf dem Handy. Schüchtern gefragt: Warum sollte er ausgerechnet mein E-Mail lesen, wenn ich ihm eines schicken würde? Andere Parlamentarier öffnen kaum Mails, die sie über ihre Parlamentsadresse erhalten, man sendet sie deshalb besser an ihre Firmenadresse. Ein grünliberaler Parlamentarier wiederum hat erklärt, er öffne die politische Briefpost nicht; er ist nur noch auf elektronischem Weg erreichbar. Ein Lobbyist muss also wissen, wie er seine Klientel erreicht. Das direkte Gespräch bringt am meisten, denn das Informelle ist enorm wichtig. Doch auch da gibt es Grenzen. Man kann nicht mit allen Räten dauernd persönlich Kontakt haben. Das ist das Dilemma.

Wie viele Gespräche führen Sie pro Woche?
Während einer Session bin ich fast jeden Abend unterwegs. Ich muss mein Netzwerk immer wieder erneuern, und zwar zu möglichst allen politischen Lagern. Einmal pro Session treffe ich mich zum Beispiel mit einer welschen Gruppe zum Nachtessen, dem Détachement Moléson, benannt nach einer Berner Beiz.

Als Lobbyist sind Sie auf die Akkreditierung eines Parlamentariers angewiesen. Schafft dies nicht eine Zweiklassengesellschaft zwi­schen denjenigen, die eine Zutrittsberechti­gung haben, und den andern?
Ja, diese Götti-Regelung ist überholt. Ein sehr integrer Parlamentarier kam in den Ruch der Bestechlichkeit, weil er einen seiner zwei Zutrittsbadges einem Vertreter einer finanzstarken Branche gab.

Trotzdem haben aber nicht alle einen Zutritt ins Bundeshaus.

Mit einem Tagespass kommt man immer ins Bundeshaus. Zugegeben, ohne einen Dauerausweis ist es mühsamer, seiner Tätigkeit nachzugehen.

Wer ist Ihr Götti?
Absolut problemlos: Nationalrat Jean-René Germanier. Er ist Mitglied der Migros-Verwaltung.

Lange Zeit war politische Kommunikation verpönt. Warum jetzt plötzlich dieser Auf­schwung?
Die Methoden der politischen Auseinandersetzung haben sich stark verändert – Stichwort Campaigning. Früher pflegte nur die Unia oder Greenpeace die gezielte Attacke als Druckmittel, heute ist das Klima innerhalb der Wirtschaft ziemlich rau geworden. Je mehr der Staat reguliert, desto mehr wird lobbyiert. Denn wer sich nicht wehrt, hat schon verloren. Deshalb blüht die Public-Affairs-Branche. Sie lebt davon, die Informationsflut zu kanalisieren. Vor dreissig Jahren ging es noch sehr diskret und gesittet zu. Die Spinne im Netz der Wirtschaftsverbände war der Wirtschaftsfreisinn. Heute ist es aufwendiger. Die Mitte ist zersplittert, und die Rechte und die Linke stimmen nicht selten als geschlossene Blöcke.

Interview: Matthias Ackeret; Bild: Adrian Baer/NZZ

Das Interview erschien erstmals in der aktuellen "persönlich"-Printausgabe.



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