TV-Kritik

Verkehrte Welt beim Song Contest

Die von der Schweiz an den ESC entsandte Rumänin Miruna hätte am Donnerstag beim Halbfinale in Kiew statt «Apollo» besser «Am Brunnen vor dem Tore» gesungen. Drinnen im «International Exhibitions Centre» (IEC) wollte man sie nämlich nicht hören. Die Nachtigall in ihrer Brust ist klein, aber sie wohnt immerhin sehr schön.

Verkehrte TV-Welt oder dilettantische Schweizer, ganz wie Sie wollen: SRF schickte eine Rumänin zum grössten Musik-Grand-Prix der Welt – sie vergeigte es im Halbfinale. Und die Rumänen eroberten in der Schlussrunde mit einer Jodlerin («Yodel It!») den siebten Schlussrang. Kommentator Sven Epiney nannte die 18-jährige Schönheit «Melanie Oesch des Schwarzen Meers».

Der 27-jährige Portugiese Salvador Sobral war der Favorit. Er sorgte in der Halle für die ruhigsten Minuten des Abends und gewann haushoch mit dem gefühlvollen Lied «Amar Pelos Dois» (Liebe für zwei). Seine Schwester Luisa hatte den chansonartigen Jazz-Walzer mit einfacher klassischer Instrumentalisierung für ihn komponiert.

Neben Salvador und seinem Siegerlied waren noch ein paar weitere gut interpretierte, nette Titel zu hören. Aber auch spiritistische: Wenn sie ertönten, klopfte es an meine Wand. Und manche Texte konnten wirklich nur gesungen werden. Sie wären zu dumm, um gesprochen zu werden.

Zum letztplatzierten Spanier: Wenn seine Stimme in der Tiefe hätte, was ihr in der Höhe fehlt, könnte er mit einer brauchbaren Mittellage zufrieden sein. Und manche Interpreten versuchten es auch diesmal mit ihrer Kopfstimme. Was Wunder: Dort haben sie für die Resonanzbildung die grössten Hohlräume.

Ich bin überzeugt, dass es auch in der gigantischen Austragungshalle von Kiew mehr Getränkeautomaten als Sänger gab, aus denen Hohes C herauskam. Manchen Künstlern hätte ich auch dieses Jahr keine Punkte gegeben  –  sondern 20 Meter Vorsprung. Übrigens: Mit Ausnahme des norwegischen Teilnehmers entdeckte ich an dem Abend erstaunlicherweise keine Tätowierten.

Moderiert wurde die rund 12 Millionen Franken teure Unterhaltungskiste für 200 Millionen Zuschauer von drei Moderatoren. Erstmals seit 1956, dem ersten Contest, hat keine Frau präsentiert. Absolut daneben und unverständlich. Gibt es doch gerade in der Millionenstadt Kiew sehr viele talentierte, besonders attraktive Moderatorinnen. Ukrainische und russische. Stellen Sie sich vor, bei uns würden Kurt Aeschbacher, Florian Inhauser und «Tele-Züri»-Wetterfrosch Reto Vögeli gemeinsam einen derartigen Event moderieren. Nur schon der Gedanke daran schaudert mich.

Apropos Aeschbi: Auch er («Grüezi meine Lieben») durfte nach Kiew reisen und zum Auftakt der Mega-Show ein paar wie meistens harmlose Gespräche führen, unter anderm mit Vitali Klitschko, der als Bürgermeister die ukrainische Haupstadt regiert. Ausser Spesen nichts gewesen. Zur gleichen Zeit sorgte im ARD-Programm Barbara Schöneberger mit einem «Countdown für Kiew» für gute Stimmung.

Einen Teil des Showblocks vor der Punktevergabe verpassten die SRF-Zuschauer. Einmal mehr wegen einem unerträglich langen Werbeblock und daran anschliessenden Trailern. Frechheit!

Sven Epiney, wie immer bestens vorbereitet und gut informiert, machte als Kommentator auch bei diesem Song Contest einen prima Job. Auf das Geschwätz von Stefan Büsser & Co. (Zweitonkanal) habe ich bewusst und gerne verzichtet.

Die Deutschen (zweitletzte) können auch gute Verlierer sein: Direkt nach der Show ging in der ARD mit der «Grand Prix Party» die Post ab, unter anderem mit dem rockenden Superstar Helene Fischer. Und im Programm des nimmersatten Hochgebühren-Senders SRF lief wieder Werbung. Was denn sonst.


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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Kommentare

  • oliver kraaz, 15.05.2017 10:39 Uhr
    Grauenhaft. Der Kommentar. Wie die Sendung auch.
  • Steven Burkhalter, 15.05.2017 08:31 Uhr
    Erst Kritik an Aeschbacher (Ausser Spesen nichts gewesen) und im gleichen Atemzug, dass SRF keine vergleichbare Party bringt wie die ARD. Die wäre ja auch nicht gratis …
  • Dieter Widmer, 15.05.2017 05:12 Uhr
    Miruna hat einen sehr schönen Song präsentiert. Sie hat es nicht vergeigt. Der Song war vielleicht zu wenig aussergewöhnlich. Mit dem Siegerlied des Portugiesen kann ich allerdings gar nichts anfangen. Ich habe den Eindruck, dass er eine miserable Stimme hat.
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