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Der Alltag ist viel banaler

Matthias Ackeret

Jede Krise gebärt ihre Verlierer, ihre Gewinner – und ihre Krisengewinnler. Beim letzteren Fall handelt es sich – und dies ist keineswegs abschätzig gemeint – um die Gilde der Krisenkommunikatoren. Nimmt man Google als Richtwert, so ist «Krisenkommunikation» mit fast 100000 Einträgen schon jetzt das «Branchenwort des Jahres». Fachseminare werden durchgeführt – und soeben wurde sogar ein «Schweizer Verband für Krisenkommunikation» gegründet, welcher laut darüber nachdenkt, wie Bundespräsident Merz gegenüber all den Gaddafis und Steinbrücks zu agieren gehabt hätte. Doch der Alltag ist viel banaler und für die Mehrheit auch Gaddafi-frei. Als vor wenigen Wochen der Zürcher Jungunternehmer Carl Hirschmann – von den Medien bestens dokumentiert – in eine Krise geraten war, weigerten sich etliche krisentheoretisch gestählte PR-Unternehmen aus der Zürcher Innenstadt oder der Zolliker Goldküste, dieses Mandat anzunehmen. Grund: die Angst vor dem eigenen Reputationsverlust. Eingesprungen ist schlussendlich der «als Mann fürs Grobe» («Facts») bekannte Ex-«Blick»-Chefredaktor Sacha Wigdorovits, dem man zumindest keine falsche Moralisiererei vorwerfen kann. Denn Wigdorovits weiss: Gute PR, die noch besser bezahlt ist, ist immer auch ein bisschen Drecksarbeit. Trotzdem drängt sich die Frage auf: Was bringt es, wenn der PR-Mann fast so bekannt ist wie sein Klient? Oder anders formuliert: Ist PR nicht ein Geschäft der Diskretion? Diesbezüglich agierte der Bundespräsident geschickter. Sollte Merz einen eigenen Krisenexperten haben, so blieb dieser nobel im Hintergrund. Wenn nicht – was zu vermuten ist –, setzte Merz mit seinem Agieren alle Krisenkommunikatoren mit philosophischer Eleganz schachmatt: Wer die Krise gar nicht erkennt, braucht auch keine Krisenkommunikation.
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