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Der grosse Aussitzer

Köppel triumphiert, de Weck intellektualisiert, Schawinski kritisiert und sogar der nach Ringier-Sprachregelung «bedeutendste Politkommentator der Schweiz», Frank A. Meyer, schwadroniert, wer nun das grössere Übel sei, die SVP oder der Islam. Drei Wochen nach der historischen Minarett-Abstimmung ist ein heiliger Krieg über die publizistische Lufthoheit entbrannt. Nur einer schweigt und verzichtet auf weitere Erklärungshilfen: Claude Longchamp, umtriebiger SRG-Hochrechner und Politkommentator. Dass er mit seiner Wahlprognose fette 20 Prozent danebenlag, ist verzeihbar: Bei einem solch heiklen Thema wie dem Bau von Minaretten verschweigt man gerne die Wahrheit. Ärgerlich nur, dass sich die späteren Verlierer deswegen bereits als sichere Sieger wähnten und ihre Abstimmungsaktivitäten einstellten. Dass der Politprophet nun aber schweigend sein persönliches Waterloo aussitzt, ist für die Gilde der Meinungsforscher ein Super-GAU, bringt er damit die ganze Branche in Misskredit. Doch Transparenz gehört nicht zu Longchamps vorherrschenden Charaktereigenschaften. Als Geschäftsleitungsvorstand von gfs Bern, einem kommerziellen Unternehmen für Umfrageforschung, ist er vielfach nicht nur Meinungsforscher und Kommentator, sondern auch Partei. So berät Longchamp während vieler Abstimmungen die Pro- oder Contra-Komitees, was den Fernsehzuschauern aber grosszügig verschwiegen wird. So gehört nicht nur der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse zu Longchamps Kunden, sondern auch Interpharma oder Credit Suisse. Longchamp verfüge innerhalb der SRG über ein «Doppelmonopol», kritisierte Bundesrat Leuenberger. Ein Seelenverwandter? Auch Leuenbergers Medienpolitik ist seit Wochen unter Dauerbeschuss. Vielleicht deswegen verschweigt er den tröstlichen Zusatz: Wer wirklich floppt, überlebt am längsten.
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