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Der mediale Urknall

Matthias Ackeret

Es war der Urknall schlechthin. Als vor 30 Jahren die ersten Lokalradios ihren Betrieb aufnahmen, waren die mageren Jahre vorbei: Überall dudelte es und rockte es aus dem Äther. Das Monopol der ungeliebten SRG war scheinbar gebrochen. Und dies exakt sechs Jahre vor dem richtigen Mauerfall. Dass DRS 3 in der gleichen Nacht seinen Betrieb aufnahm, wollte in der Euphorie niemand wahrnehmen. Auch für den Schreibenden war der 1. November 1983 ein Wendepunkt. Mit Maturaabschluss und Hornbrille wurde ich Praktikant beim Schaffhauser Lokalsender Munot. Mit ungebremster Euphorie belegten wir die Region mit pausenloser Radioaktivität. Bikinigirls wurden im Schneetreiben auf die Rheinbrücke gekarrt, Schlittelbahnen durch die Stadt gebaut und der neue Sender feierte seinen 1. Geburtstag im Zirkuszelt. Standesgemäss. Es war eine grosse Zeit, auch wenn der “Spiegel” über die neuen Sender lästerte: “Kommerz auf Megahertz mit allerlei Allotria.” Vom Kommerz ist nicht viel geblieben. Die Radiowerbung dümpelt auf Tiefststand. Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass die meisten Privatradios nur dank eines Zustupfs aus dem SRG-Gebührentopf überleben. Die ganze Revolution als Meisterstück „repressiver Toleranz“: Man brach das Monopol, um es damit zu festigen. Eine wirkliche Konkurrenz – und zwar auf nationaler Ebene -  bleibt unerwünscht. Vielleicht war die ganze Liberalisierung aber auch ein Geniestreich des Machbaren: Immerhin 44 Privatradios bereichern heute die Schweiz. Doch feiern mochte am 1. November nur jemand richtig: SRF 3. „Allotria“ ist anderswo.
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