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Die Kunst des Weglassens

Matthias Ackeret

Der Depp war schnell ausgemacht: Die grosse Verliererin heisse «NZZ», höhnte der «Tages-Anzeiger» nach dem geglückten «Basler-Zeitung»-Deal von Tito Tettamanti. Und auch das Schwesterblatt «SonntagsZeitung» stocherte am Wochenende mit gleicher Intention in der offenen Wunde des Konkurrenten. Was die Investigativprofis der Werdstrasse 21 ihren Lesern aber verschwiegen: Auch ihr eigener Arbeitgeber, die Tamedia, hatte Interesse an der «BaZ» bekundet – und war schlussendlich gescheitert. Eine Woche zuvor das gleiche Prinzip: Wortreich empörte sich der «Tages-Anzeiger» über das Finanzkonstrukt zur «Steueroptimierung», das eine Zürcher Anwaltskanzlei in den Neunzigern für einen deutschen Unternehmer erstellt haben soll. Dass die Verträge – wie in der «Financial Times Deutschland» bemerkt – von Rechtsanwalt Pietro Supino und heutigem «Tages-Anzeiger»-Verleger, unterzeichnet worden waren, verschwieg die Zeitung. Die Kunst des Weglassens, so erkannte schon Picasso, zeichne alle grossen Künstler aus. Nun soll man nicht päpstlicher tun als der Papst: Auch andere Medien sind in der Berichterstattung über ihr eigenes Haus nicht besonders recherchierfreudig. Das ist menschlich und auch verständlich. Dass sich aber ausgerechnet der «Tagi», der das Moralkeulenwerfen mit olympischer Präzision betreibt, einer solchen Selbstkasteiung unterwirft, erstaunt. Noch vor zehn Jahren attackierte die Zeitung hauseigene Produkte wie den Sender TV 3 aus vollen Rohren. Vermutlich war dies auch nicht besonders intelligent, aber doch weniger scheinheilig. Vielleicht sollte sich die «Tagi»-Redaktion nur an den Ratschlag des langjährigen Verlegers Hans-Heinrich Coninx halten. Das Wichtigste sei, so Coninx im äusserst lesenswerten Buch «Verleger sein» von Karl Lüönd, die Glaubwürdigkeit des Journalismus; da dürfe man sich keine Schwächen leisten.
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