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Die Nationenmarke Schweiz auf Abwegen

Christine Wichert

Wenn die aktuell gelebte Positionierung der Schweiz überspitzt würde, hätte sie Dagobert Duck als Markenkern. Das stete und teils herz- und skrupellose Streben nach immer mehr Geld, die kurzfristige Gewinnmaximierung, wirkt wie die Mission der aktuellen Schweizer Regierung. In den letzten beiden Jahren offenbarte sich die Priorität «Money First» vielleicht stärker als je zuvor. Denn die Nationenmarke Schweiz ist auf Abwegen. Dabei wird sie von der Regierung stringent geführt. Aber anders als diese sich auf die Fahnen schreibt: Hauptsache der Rubel rollt.

Corona und Ukraine als Augenöffner

Die Pandemie wurde von der Regierung am 16. Februar mit einem Freudentag für quasi beendet erklärt und fast alle Massnahmen aufgehoben. Dies, obwohl die epidemiologische Lage mit Positivitätsraten von 40 Prozent+ zeigt, dass die Lage völlig ausser Kontrolle ist und z.B. Deutschland die Schweiz noch immer als Hochrisikogebiet einstuft. Aber die Wirtschaft profitiert.

Während derzeit alle Augen gebannt auf das Leid in der Ukraine gerichtet sind und sich fast die ganze Welt geeint und solidarisch zeigt, aktiv hilft und dabei keine eigenen Nachteile scheut, geht die Schweiz einmal mehr einen irritierenden Sonderweg. Und tut NICHTS. Sie beruft sich dabei beschämend auf ihre Neutralität — die jedoch im Kern nichts anderes besagt, als dass sie nicht aktiv militärisch interveniert. Sehr gerne beruft sie sich auf die humanitäre Tradition — doch wo ist sie, wenn es drauf ankommt?

In eine Marke investiert man langfristig.

Durch Taten. Immer und immer wieder.

Taten sprechen lauter als Worte.

Insbesondere dann, wenn man das Gegenteil tut.

Während der ersten Wellen der Coronapandemie war jedes Land stark mit sich selbst beschäftigt. So segelte die Schweiz als kleines Land teils «unter dem Radar». Aber nun steht die Schweiz im Visier der Weltgemeinschaft und wird nur durch viel Glück als aktive Friedensvermittlerin rehabilitiert.

Machen wir den Positionierungstest

Die Nationenmarke Schweiz möchte «innovativ» und «kompetitiv» sein, «solidarisch» und «verantwortungsbewusst», ein Land mit «hoher Lebens- und Standortqualität», «zuverlässig» und «nachhaltig».

Eine relevante Positionierung kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie immer wieder vorgelebt wird. Die Schweiz müsste sich also u.a. die Kernfrage stellen: Leben wir das, was wir versprechen?

  • Sind wir solidarisch im In- und Ausland?
  • Zeigen wir uns verantwortungsbewusst?
  • Sind wir ein zuverlässiger Partner?
  • Entscheiden wir nachhaltig?
  • Bieten wir aktiv eine hohe Lebensqualität?

Ich behaupte entlang jeder dieser Dimensionen hat die Schweiz in den letzten beiden Jahren mutwillig verloren. Ohne Not und ohne Fremdeinwirkung.

Solidarität und Verantwortungsbewusstsein: In der Pandemie setzte die Schweiz nicht auf verantwortlichen Schutz durch den Staat, sondern auf Eigenverantwortung. Alte, Kranke, Kinder blieben und bleiben grösstenteils ungeschützt. Übertragung durch Aerosole wurde bis heute kaum thematisiert, da dies Investitionen in Luftfilter usw. bedeutet hätte. Prävention von Infektionen ist ein Fremdwort. Das ist verantwortungslos, wenn man um die verheerenden Mittelfristfolgen von Long Covid weiss.

Ausser Solidaritätsbekundungen an die Ukraine tat die Schweiz bislang nichts, um die Kriegshandlungen Russlands aktiv einzudämmen. In der Schweiz liegen 30 Prozent der russischen Oligarchengelder und werden 80 Prozent des russischen Rohstoffhandels abgewickelt. Ideale Voraussetzungen, um als kleines Land einen grossen Hebel für den Frieden zu haben. Nutzt sie die Chance? Nein, sie belässt diese für Russland paradiesischen Zustände unberührt, friert keine Konten ein, obwohl die EU und USA dazu drängen.

Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit: Die Schweizer Bürgerinnen und Bürger inkl. Kinder konnten sich nicht auf die Schweizer Verfassung und das Epidemiengesetz verlassen, dass ihre Gesundheit während der Pandemie geschützt wurde und wird. Dass die «Gesundheit der Bevölkerung an erster Stelle» stehe, proklamierte zwar Bundesrat Parmelin. Nur um postwendend einen 3-Schritte-Pandemieplan der Wirtschaftslobby Economiesuisse zu verabschieden, dessen vorschnelle Öffnungsschritte Infektionen begünstigte.

Lebensqualität: Wesentliche Aspekte davon wurden geschwächt: geschützt zu werden, sich vertreten zu fühlen von der Regierung, sich auch als Kind oder «Vulnerabler» wohlzufühlen im eigenen Land, am gesellschaftlichen Leben sicher teilnehmen zu können, sicheren Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung zu haben — all das wurde in der Pandemie beschädigt. Und zwar nicht durch das Virus selbst, sondern das Pandemie-Management. Die Quarantäne fiel weg, Isolation verkürzt auf unzureichende fünf Tage, damit Mitarbeiter auch krank arbeiten können.

Sicherheit als grundlegendem Teil der Lebensqualität bezieht die Schweiz weniger auf körperliche Unversehrtheit, sondern auf Schutz des Privateigentums. In der Pandemie folgte eine «Güterabwägung» mit der Entscheidung, lieber kurzfristig Geld zu verdienen. Zur Not auf Kosten der eigenen Volksgesundheit. Im Krieg zur Not auf Kosten der Unversehrtheit der Ukrainer. Viele Bürgerinnen und Bürger der Schweiz schämen sich aktuell für ihr Land.

Die Entscheidungskriterien als Dagobert Duck der Weltgemeinschaft

Die Regierung nimmt die oben genannten Positionierungsaspekte offensichtlich nicht als Filter für ihre Entscheidungen. Auf welche Entscheidungskriterien stützt sie sich dann? Hier einige Mutmassungen aus den Erfahrungen der letzten beiden Jahre:

Kostet es etwas? Dann lieber so wenig wie möglich oder gar nichts machen. «Jeder Rappen» hat Bundesrat Maurer in der Pandemie gereut, sogar wahrheitswidrig behauptet, die Schweiz könne sich nicht mehr Unterstützung der eigenen Bevölkerung leisten. Entgangene Profite durch den russischen Geldadel wären zu bedauern, deswegen lässt man weiterhin alle Transaktionen und Einreisen zu.

Können wir finanziell profitieren? Super. Dann sind eben die Skigebiete offen und werden neue Virusvarianten importiert, auch wenn unsere Alpennachbarn diese solidarisch schlossen. Die Schweiz beruft sich auf Neutralität, wenn die russischen Konten sicher offenbleiben. Dann kommen noch mehr Gelder, dies hat man schon nach der Annexion der Krim gesehen. In der Myanmarkrise konnte die Schweiz noch Konten einfrieren, aber da gab es eben kaum was zu holen.

Können wir so tun als ob? Auf Druck schon. Die «Zürcher Massnahmen» waren reine Symbolpolitik in der Pandemie, wenn man z.B. einen verkaufsoffenen Sonntag NACH Weihnachten absagt. Um die Wirtschaft zu schonen. «Durchseuchung klingt so negativ», nein, das wolle man nicht, aber man macht es trotzdem. Der Schweizer Bundespräsident Cassis sichert dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj während des Krieges Solidarität zu. Ohne russische Vermögen einzufrieren. Die Schweiz bietet erst lange danach eine Vermittlerrolle an, die unglaubwürdig wirkt, wenn man die Finanzierung des Krieges indirekt unterstützt.

Das Land der verpassten Chancen

In einem so schönen, reichen Land mit vielen wunderbaren Menschen als Regierung ständig mit kaltem Herzen Geld über Leben zu stellen, kommt einer aktiven Zerstörung des eigenen Rufs gleich. Denn man hätte alle humanen, natürlichen, finanziellen Ressourcen, um das tollste, glücklichste, sicherste und beliebteste Land der Welt zu sein. Doch die politische Schweiz stolpert immer wieder — und merkt es eigentlich nur durch die immer lauter werdende Empörung des eigenen Volkes und der Staatengemeinschaft drum herum.

Chancen hätte es reichlich gegeben, sich in der Pandemie und schon vor Beginn des Krieges im In- und Ausland beliebt zu machen. Die Schweiz als neutrale Vermittlerin für ein pan-europäisches Pandemie-Management sowie im bewaffneten Konflikt.

Jetzt wird’s eng

Immer wieder wurde die politische Schweiz als ultimative Rosinenpickerin und Krisengewinnlerin bekannt. Dies entfremdet grosse Teile des eigenen Volks und stösst die westliche Welt immer stärker ab. Ob es beim Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen EU-Schweiz oder bei den Alleingängen in der Pandemie oder bei der verweigerten Solidarität zur Ukraine während eines europäischen Krieges war.

Kurzfristig würde es das Debakel begrenzen, würde sie in der Tat eine Friedenskonferenz auf Schweizer Boden ermöglichen. Nur braucht es dazu Glück, denn es ist spät und wer will schon in einem ständig von Ereignissen «überraschten», Putin finanziell loyalen, Land tagen. Mittelfristig ist es meines Erachtens essenziell, die eigenen Werte zu überdenken und die alleinige Fixierung auf das Monetäre ganz entschlossen aufzugeben.

Die Schweiz liegt im Herzen Europas. Sie ist weder Mitglied in der EU noch in der Nato, ist effektiv isoliert. Die Welt wird ungemütlicher und es braucht Freunde. Es ist bei einer Nationenmarke wie im wahren Leben: Mit Geld kann man sich Aufmerksamkeit kaufen, aber nicht Respekt und Sympathie. Die muss man sich verdienen.

Heute wäre der beste Tag, damit zu beginnen.

Dieser Artikel ist am 27. Februar ebenfalls in der Mittelländischen Zeitung erschienen.


Christine Wichert ist Geschäftsführerin der Logibrand GmbH, strategischer Markenberatung aus dem Kanton St. Gallen und Dozentin für Markenführung an der Hochschule Luzern.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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