Auf die UKW-Abschaltung der SRG folgt der mediale Aufschrei: Eine halbe Million Hörerinnen und Hörer sollen die Sender SRF 1, SRF 2 und SRF 3 verloren haben. Doch die Analyse des Tages-Anzeigers krankt an mehreren methodischen Schwächen.
Mediapulse bestätigt zwar auf Anfrage von persoenlich.com die zitierten Zahlen, warnt aber ausdrücklich davor, diese für belastbare Aussagen heranzuziehen. Dazu kommt: Nicht nur ist der Zeitraum von zwei Wochen viel zu kurz für verlässliche Aussagen. Auch der Zeitpunkt Anfang Januar ist denkbar ungünstig, wie ich finde. Viele Radiohörende haben erst jetzt festgestellt, dass sie keinen Empfang mehr haben, und rüsten ihre Geräte nach – besonders in den Autos. Die Wartezeiten bei den Garagen für DAB+-Umrüstungen sind allerdings beträchtlich.
Der Tages-Anzeiger vergleicht die Zahlen aus den ersten beiden Januar-Wochen 2025 mit dem zweiten Semester 2024. Das ist methodisch falsch. Üblicherweise vergleicht man Zeiträume mit den entsprechenden Vorjahresperioden – und deklariert zudem, was genau ausgewiesen wird (im Fall der vom Tages-Anzeiger herangezogenen Zahlen hätte stehen müssen: Montag bis Sonntag, Deutschschweiz, ab 15 Jahren).
Auch die richtigen Vergleichszahlen für das erste Halbjahr 2024 weisen zwar markante Rückgänge aus: Die Hörerinnen- und Hörerschaft von SRF 1 fiel von 1'084'000 auf gegenwärtig 842'000, die von SRF 3 von 896'000 auf 648'000. Die Zugewinne der Privatsender sind im Vergleich zu den Angaben des Tagi dafür geringer: Radio 24 wuchs beispielsweise von 217'000 auf 235'000 und Radio Pilatus von 226'000 auf 233'000. Selbst ein Vergleich, der methodisch korrekter wäre, würde jedoch in die Irre führen – zwei Wochen Messzeit sind einfach zu kurz, um verlässliche Aussagen zu treffen.
Methodisch fragwürdig ist auch die simple Addition der Hörerinnen und Hörer von SRF 1, 2 und 3. Es gibt Menschen, die mehrere dieser Programme hören – die tatsächliche Gesamthörerschaft ist also kleiner als die Summe der Einzelreichweiten. Zudem sind gerade bei kleineren Sendern die Schwankungen in den Hörerzahlen erheblich. Aus gutem Grund veröffentlicht Mediapulse deshalb nur Semesterzahlen und keine monatlichen Auswertungen. Vorschnelle Schlüsse aus zweiwöchigen Daten zu ziehen, wird der Komplexität der Radionutzung nicht gerecht – auch wenn dies politisch opportun erscheinen mag.
Die Radiowelt braucht verlässliche Daten statt vorschneller Schlagzeilen. Erst in einigen Monaten werden wir wissen, wie sich die UKW-Abschaltung tatsächlich auf die Radionutzung auswirkt.
Christian Beck ist Redaktionsleiter von persoenlich.com.
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Statistisches Rauschen beim Tagi