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Warten auf Putin

Matthias Ackeret

Die alte Hackordnung ist bestätigt: Seit der Krimkrise ist Russland Präsident Putin wieder Weltbösewicht Nummer eins! Da nützten nicht einmal die Olympischen Spiele etwas. Putin widerlegt jede PR-Erkenntnis, wonach ein guter Ruf alles sei. Manchmal ist ein bisschen Macht doch mehr. Meine eigene Putin-Erfahrung liegt acht Jahre zurück. Im Sommer 2006 wurde ich als "persönlich"-Chefredaktor zum internationalen Verlegerkongress nach Moskau eingeladen. Es war kurz nach zehn Uhr morgens, als die Gäste aus der ganzen Welt im Kreml auf die Begrüssungsrede des Staatsoberhauptes warteten. Doch dieser liess sich Zeit. Stattdessen forderte der Verbandssekretär, ich glaube ein Engländer, von der Bühne lautstark mehr Pressefreiheit im Gastgeberland. Anschliessend spielte ein Orchester Tschaikowskis "Schwanensee". Zehn, zwanzig Minuten, eine geschlagene Stunde lang. Und weiterhin nirgends Putin. Kurz vor elf platzte dem heutigen Tamedia-Verleger, wenige Meter vor mir sitzend, der Kragen und er stapfte wütend aus dem unendlich grossen Saal. Das Orchester spielte weiter, bis scheinbar aus dem Nichts kommend, Putin auf der Bühne stand. Dann ging es schnell: drei Personen – vermutlich Sympathisanten der Tschetschenischen Freiheitsbewegung – versuchten den Präsidenten niederzuschreien. Sofort wurden sie von herbeieilenden Sicherheitsbeamten niedergeschlagen und aus dem Saal gezerrt. Ein verlegenes, eingeschüchtertes Wegschauen. Putin, scheinbar unberührt, wartete auf der Bühne, bis wieder Ruhe einkehrte. Wenig später verkündete er mit emotionsloser Stimme, dass Pressefreiheit zwar kostbar sei, die wirtschaftliche Freiheit aber weitaus wichtiger. Jetzt reagierten die Verleger mutig. Ihr Applaus war sehr zurückhaltend.
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