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Wir, die Weicheier!

Matthias Ackeret

Hemingway zu sein, ist sehr  schwierig. Als der spanische König Juan Carlos vor einigen Tagen vor die Fernsehkameras humpelte, um sich für seine afrikanischen Eskapaden zu entschuldigen, lachte die ganze Welt. Der bis anhin respektheischende Juan Carlos wurde plötzlich zu einem König ohne Kleider. Seine weinerliche Erklärung „(Ich werde es nicht mehr tun“) gilt als neue Standartfloskel für alle Ertappten. Hemingway hingegen hätte sich zu seiner Vorliebe für die Frauen- und Elefantenjagd bekannt. Doch jetzt mit nackten Fingern auf den spanischen König zu zeigen, wäre falsch, die neue Weinerlichkeit dominiert auch den Journalismus. Unser medialer Juan Carlos heisst Giovanni di Lorenzo, weltgewandter Chefredaktor der „Zeit.“ Vor einigen Monaten publizierte er ein Interviewbuch mit dem gestürzten deutschen Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor von Guttenberg. Zweifelsohne ein Scoop. Doch die Kollegen stempelten di Lorenzo zu Guttenbergs Erfüllungsgehilfen. Anstatt seine journalistische Arbeit zu verteidigen, malträtierte sich der „Zeit“-Chef zum humpelnden König. „Ich würde es nicht mehr tun,“ stammelte di Lorenzo in bester Juan-Carlos-Manier. Frage an den reuigen Chefredaktor: Dürfen Journalisten mittlerweile nur noch die Guten interviewen? Und was hat sich Giovanni di Lorenzo eigentlich vor dem Interview gedacht? Als die Weltwoche kürzlich einen Romajungen mit Pistole auf ihr Cover setzte, hagelte es  weltweit Proteste. Das Ganze kann man zweifelsohne diskutieren. Abstrus wird es nur, wenn sich Fotograf Livio Mancini – wie in diesem Fall – von der Interpretation seines eigenen Bildes distanziert. Nur stellt sich dann die Frage: Wieso fotografiert er überhaupt einen Roma-Jungen mit Pistole? Wollte er uns damit dessen Harmlosigkeit beweisen? Noch bizarrer wird es aber, wenn sich die Bildagentur – wie in diesem Fall geschehen – rückwirkend gegen die Veröffentlichung eines ihrer Bilder wehrt. Motto: „Wir würden es nicht mehr tun.“ Dummerweise gehört es zur Kernkompetenz von Bildagenturen, ihre Bilder an  ihre Kunden, nämlich die Medien, zu verkaufen. Oder verwechselte die Bildagentur das Köppelblatt mit der Caritas-Postille? Fazit: Dass wir Journalisten auch Weicheier sind, ist bekannt. Dass wir beim ersten Gegenwind unser Handwerk leugnen, ist neu. Tröstlich für Juan Carlos: Hemingway zu werden, ist auch anderswo schwierig.
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