29.04.2021

iOS-Update 14.5

«Alle Player müssen sich mehr ins Zeug legen»

Tracking für Werbezwecke wird auf Apple-Geräten schwieriger. In Deutschland fürchten Werbe- und Mediaagenturen sowie Verleger um ihr Geschäft. Sie haben eine Kartellbeschwerde eingereicht. Wie ist die Schweiz betroffen? Wir haben nachgefragt:
von Edith Hollenstein

Darf eine App meine Aktivitäten im Netz beobachten oder nicht? Das können Nutzerinnen von iPhone, iPad oder Apple TV künftig selbst entscheiden: Apple gibt seinen Kunden eine einfache Möglichkeit, das Tracking quer über verschiedene Apps und Websites zu stoppen (persoenlich.com berichtete).

Apple feiert das neue Betriebssystem als Sieg für den Datenschutz. Onlinekonzerne wie Facebook und Medienunternehmen, die von Onlinewerbung abhängig sind, sehen dagegen das freie Internet in Gefahr, denn Anbieter von iPhone-Apps müssen Nutzer künftig ausdrücklich um Erlaubnis für das übergreifende Tracking fragen. Da viele dies ablehnen dürften, bangen diverse Anbieter um ihr Werbegeschäft. In Deutschland reichten acht Verbände eine Missbrauchsbeschwerde beim Bundeskartellamt ein

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Wäre das auch in der Schweiz nötig? Was für Folgen zeichnen sich ab? Wir haben bei Schweizer Digitalmarketing-Experten nachgefragt:


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Sam Lutz

Gründer Drop8

«Ich begrüsse diesen Schritt von Apple und bin überzeugt davon, dass es der richtige Schritt ist, jedem Nutzer die Wahl zu geben, wie seine digitalen Daten eingesetzt und benutzt werden. Auch wenn davon ausgegangen werden muss, dass bis zu 90 Prozent der Nutzer dies ablehnen werden. Die Möglichkeiten in der digitalen Kommunikation und insbesondere der Einsatz von Programmatic Advertising sind so vielfältig, dass wir nicht mehr ausschliesslich auf personenbezogenes Targeting angewiesen sind. Dadurch dass wir bei Drop8 ohne jegliche Google-Technologien arbeiten, erreichen wir schon lange Kommunikations- und Kampagnenziele, ohne eine endlose Auswahl von Zielgruppen-Targetings zur Verfügung zu haben, wie sie Google, der Marktführer in diesem Bereich, anbietet. Dies hat uns fit gemacht, auch mit alternativen Strategien und Performance-Optimierungen zufriedenstellende Kampagnenresultate zu erzielen. In Zukunft werden wir noch stärker auf individuelle Alternativen ausweichen müssen. Dies hat aber auch einige Vorteile. Einen davon sehen wir darin, dass die Publisher und Medieneinkäufer wieder enger zusammenrücken müssen. Daraus erwarten wir eine Qualitätssteigerung im Bereich Programmatic Advertising in der Schweiz.

Die Klagen von Axel Springer und Facebook kann ich nicht nachvollziehen, da Apple ja kein Werbe-Konkurrenzprodukt lanciert, sondern sich mit dieser Strategie als Unternehmen positionieren möchte, das im Bereich des Datenschutzes führend ist. Dies kann natürlich in Zukunft dazu führen, dass der Konsument dazu bereit ist, einen höheren Preis für ein Apple-Produkt (zum Beispiel iPhone) zu bezahlen, weil er weiss, dass im Vergleich zu einem Android-Produkt seine Nutzerdaten geschützt sein werden, was sich für Apple natürlich finanziell lohnen wird. Ein Problem könnte dann entstehen, wenn Datenschutz eine Budgetfrage wird, beziehungsweise wenn sich nur noch gewisse Menschen auf der Welt Datenschutz, also etwa ein teures iOS-Gerät, leisten können.» 





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Beat Muttenzer

Managing Director Dept Agency Zürich

«Dass dieses Update kommt, war lange klar, schon vor Monaten konnten sich das App-Ökosystem und Werbetreibende darauf vorbereiten. Das Bewusstsein für Privacy und Digitale Ethik und die Regulierung durch Gesetzgeber haben sich in den letzten drei Jahren grundlegend verändert. Das ist eine notwendige und gute Entwicklung, die sich mit einer Beschwerde von grossen Playern nicht umkehren lässt. Es gilt sehr ähnlich wie beim Aussterben der 3rd-Party-Cookies: Nehmen wir die Veränderungen zum Anlass, bisherige Ansätze zu hinterfragen und kreative, innovative Kommunikationskampagnen zu machen, statt nur hochperformantes Targeting. Und: Alle Player müssen sich mehr ins Zeug legen, selbst und direkt relevante Nutzerdaten zu generieren. Ohne eine solche 1st-Party-Data-Strategie wird es nicht gehen.»





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Tobias Zehnder

Gründer von Webrepublic Zürich

«Die Argumentation beruht grundsätzlich auf zwei Pfeilern: Apple ermöglicht ihren Kunden einerseits, frei darüber zu entscheiden, ob der IFDA, eine spezielle Kennnummer für personalisierte Werbung, eingesetzt wird (zum Nachteil der Werbetreibenden und Publisher) – und andererseits nutzt das Unternehmen selbst personenbezogene Daten, ohne den User um Erlaubnis zu fragen. Der erste Teil dürfte gerade in Deutschland mit seiner strikten Datenschutzregelung vermutlich schwerlich angreifbar sein. Die naheliegende Erwartung ist, dass Remarketing-Listen und andere spezifische Audiences generell schrumpfen und Preise auf der Buy-Side sinken, da wieder mehr mit kontextuellem Targeting gearbeitet wird. Ausserdem dürften geschlossene Plattformen wie etwa Facebook profitieren, da die geplante Änderung das Tracking von Usern über Apps und Websites von anderen Anbietern betrifft. Der Einfluss auf das Schweizer Werbegeschäft ist schwierig abzuschätzen. Da die iOS-Gerätedichte hierzulande hoch ist, wäre ein relativ stärkerer Effekt anzunehmen.»



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Kommentare

  • Tek Berhe, 30.04.2021 01:02 Uhr
    Der Trend begann schon mit dem Fall Logistep und Google Streetview. Man kann nicht auf Verbotenes ein Geschäftsmodell aufbauen und sich auf ‚geschäftliche Interessen‘ als Rechtfertigungsgrund abstützen. Die digitale Selbstbestimmung wird immer mehr gestärkt. Data Analytics und Data Mining mit erlaubten und anonymisierten Daten wird immer wichtiger!
  • Sandro Feuillet, 29.04.2021 09:33 Uhr
    "[..]Facebook und Medienunternehmen [..] sehen dagegen das freie Internet in Gefahr..." Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals "Facebook" und "freies Internet" in einem Satz lesen würde. Aber zuum eigentlichen Thema. Vielleicht merken die Nutzer*innen ja irggendwann, dass sie nicht weniger, nur weniger relevante Werbung vorgesetzt kriegen und das ja auch nicht das gewünschte Ergebnis ist. Aber ob dann der Bogen noch zu dieser, doch sehr technischen, Abfrage der Apps geschlagen wird ist fragelich. Grundsätzlich sicher eine aus Nutzerperspektive wünschenswerte Entwicklung. Hier haben die Apps, auch die der Publisher, einfach übertrieben und damit das Vertrauen verspielt. Jetzt muss der Preis dafür bezahlt werden.
  • Agenturnetzwerk ASW, 28.04.2021 21:48 Uhr
    Es zeugt von wenig Respekt aber ausgeprägter Gier, wer andere ohne ausdrückliches Einverständnis zu Produkten macht (zB Facebook Gruppe) und wer die Wünsche seiner Kundinnen und Kunden nicht respektiert. Die beste «Werbung für die Werbung» sind nicht Awards, sondern Respekt, Anstand und Wertschätzung denjenigen gegenüber, die im Endeffekt unsere Arbeit erst ermöglichen und uns dafür – zumindest indirekt – auch noch bezahlen.
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