16.06.2021

Covid auf Twitter

«Die Pandemie war ein Killer-Issue»

Drei Forscher des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) haben den Diskurs auf Twitter in der Anfangsphase der Pandemie untersucht. Ihre Resultate zeigen: Die Pandemie verdrängte auf einen Schlag zahlreiche Themen.
Covid auf Twitter: «Die Pandemie war ein Killer-Issue»
Daniel Vogler ist Forschungsleiter und stv. Direktor des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich. (Collage: persoenlich.com, Hintergrund: Pixabay, Bild: zVg)

Herr Vogler, Sie haben kürzlich zusammen mit Adrian Rauchfleisch und Mark Eisenegger eine Studie zum öffentlichen Diskurs auf Twitter von Schweizer Accounts während des Anfangs der Covid-19-Pandemie veröffentlicht. Eines der Hauptresultate war, dass die Ausbreitung des Virus sowie die Massnahmen dagegen viele Themen, die bis anhin zentral diskutiert wurden, verdrängt hatten. Welche waren das?
Unsere Studie zeigt, wie die Covid-19-Pandemie als Thema die öffentliche Debatte in der Schweizer Twitter-Sphäre dominierte. Während im Januar und Februar 2020 Ereignisse wie das World Economic Forum oder die Crypto-Leaks-Affäre stark sichtbar waren, dominierte spätestens ab Ende Februar nur noch das Coronavirus. In einer bisher unveröffentlichten Folgestudie können wir zusätzlich aufzeigen, dass Themen wie der Klimawandel oder auch der Brexit auf Twitter sowie in den Medien durch die Pandemie verdrängt wurden. Covid-19 hat als sogenanntes Killer-Issue selbst langfristig etablierte Themen an den Rand gedrängt.

Killer-Issues? Können Sie dies noch ausführen?
Medienaufmerksamkeit ist immer ein Nullsummenspiel. Wenn ein Thema an Beachtung gewinnt, verlieren andere an Bedeutung. Als Killer-Issues werden in der Forschung Ereignisse bezeichnet, die andere Themen verdrängen. Normalerweise verdrängen solche Killer-Issues aber nur einzelne Themen. Das Bemerkenswerte an Covid-19 ist, dass die Pandemie praktisch alle anderen Themen verdrängt hat. Die Pandemie war somit ein besonders starkes Killer-Issue.

«Im Laufe der Zeit stützten sich Nutzerinnen stärker auf nationale Informationsquellen»

Welche Facetten innerhalb des Diskurses zu Covid-19 wurden am stärksten thematisiert?
In der frühen Phase wurden in der Twitter-Sphäre vor allem medizinische Aspekte diskutiert. Das Virus und die unmittelbare gesundheitliche Bedrohung waren die dominierenden Themen. Mit dem Lockdown gab es eine Verschiebung zu sozialen und gesellschaftspolitischen Themen. Insbesondere die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie wurden kontrovers diskutiert. Das zeigt sich in der Verwendung von Hashtags wie #flattenthecurve, #stayathome oder #coronalockdown.

Weiter fanden Sie heraus, dass man sich in der Diskussion vor allem auf die Auswirkungen für die Schweiz fokussierte. Hat Sie dies überrascht?
Die Krise hat die Menschen in der Schweiz unmittelbar betroffen. Was «vor der eigenen Haustür» passierte, gewann deshalb an Bedeutung. Spätestens als der Bundesrat und das Bundesamt für Gesundheit anfingen, regelmässig über Covid-19 zu informieren, und Schweizer Bürgerinnen und Bürger direkt in ihrem Alltag von der Krise betroffen waren, hatten die Diskussionen einen klaren nationalen Fokus. Dass die Schweiz ein zentraler Bezugspunkt war, hat aber auch damit zu tun, dass viele international vernetzte Akteure einen Bezug zur Schweiz haben. Ein Beispiel ist die WHO, die ihren Sitz in Genf hat und somit auch zur Schweizer Twitter-Sphäre gehört.

Im Zeitalter der Globalisierung wäre es doch konstruktiver gewesen, die Twitter-User hätten die Erfahrungen und Massnahmen von anderen Ländern mit jenen hierzulande verglichen. Warum ist dies nicht geschehen?
Unsere Ergebnisse zeigen nicht, dass es diese Diskussionen nicht gegeben hat, sondern dass im Laufe der Zeit sich Nutzerinnern und Nutzer stärker auf nationale Informationsquellen stützten. Diese Quellen haben natürlich eine Schweizer Perspektive, besprechen aber teilweise auch internationale Entwicklungen.

«Virologinnen und Epidemiologen waren während der Krise überdurchschnittlich präsent»

Die Studie hat auch gezeigt, dass Virologinnen und Epidemiologen während des untersuchten Zeitraums auf Twitter besonders präsent waren.
Dies ist einer der Hauptbefunde unserer Studie. Spezialisierte Gruppen von Usern waren aktiver als durchschnittliche Schweizer Twitter-Nutzerinnen. Da ein Grossteil der Schweizer User nur sehr selten Tweets absendet, ist dieser Vergleich aber wenig aussagekräftig. Wir haben daher die Gruppe von Virologen und Epidemiologinnen mit ähnlichen Accounts verglichen, sprich Nutzerinnen, die vor der Krise ein ähnliches Aktivitätslevel aufwiesen, über die gleiche Anzahl Follower verfügten und schon gleich lange auf Twitter aktiv sind. Selbst bei diesem Vergleich zeigt sich, dass Virologinnen und Epidemiologen während der Krise überdurchschnittlich aktiv waren.

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Heisst das, Personen aus der Wissenschaft haben den Diskurs zu Covid-19 auf Twitter dominiert?
Nein, unsere Analyse zeigt lediglich, dass Virologen und Epidemiologinnen sehr aktiv waren. Es handelt sich um eine sehr kleine Gruppe von rund 80 Userinnen, die wir anhand der Selbstbeschreibung im Twitter-Profil identifiziert und validiert haben.

Welche Akteurinnen und Akteure prägten den Diskurs sonst noch aktiv?
Accounts von Behörden und journalistischen Medien waren in der Krise zentrale Bezugspunkte in der Schweizer Twitter-Sphäre. Ihre Inhalte wurden entsprechend von vielen Nutzern geteilt. Dabei kam den Accounts des Bundesamts für Gesundheit, der Bundesrätinnen und des öffentlichen Rundfunks eine besondere Bedeutung zu. Weil sie oftmals in unterschiedlichen Sprachen aktiv waren, erreichten sie mit ihren Tweets viele Nutzerinnen.

«Social Media sind Seismografen für die Stimmung in der Bevölkerung»

Können Sie Aussagen machen zur Verbreitung von Falschinformationen oder einer hohen Popularität von umstrittenen Personen, sogenannten Verschwörungstheoretikern, innerhalb des Zeitraums?
Wir haben in einer weiteren Studie gezeigt, dass in der Schweizer Twitter-Sphäre Verschwörungstheorien zu 5G und Covid-19 oder zu Covid-19 als Biowaffe aus dem Labor in Wuhan nur von ganz wenigen Nutzerinnen erwähnt wurden. Das heisst aber nicht, dass das Problem der Fehlinformation nicht besteht. Solche Diskussionen um Verschwörungstheorien finden eher auf privaten Messenger-Plattformen wie Telegram oder WhatsApp statt. Insofern ist Twitter als Massstab für den Stellenwert von Fehlinformation in der Schweiz nur bedingt geeignet.

Wenn Sie die Studie in anderen Ländern gemacht hätten, wären die Resultate ähnlich gewesen?
Obwohl wir das nicht untersucht haben, lassen sich einige grundlegende Befunde vermutlich auf andere Länder übertragen. Allerdings bestehen auch grosse Unterschiede. In Ländern mit einer starken Polarisierung und einer weniger konsensorientierten politischen Kultur als die Schweiz – wir denken hier an die USA, aber auch an Deutschland – ist der Ton oftmals rauer. Social Media wie Twitter sind auch Seismografen für die Stimmung in der Bevölkerung. Welche Massnahmen ein Land ergreift und welche länderspezifischen Ereignisse auftreten, beeinflussen deshalb, wie die Pandemie in den sozialen Medien diskutiert wird. Daher wird, trotz Gemeinsamkeiten, in jedem Land eine sehr eigene Debatte zu Covid-19 geführt.


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