Tanja Herrmann ist Studiengangsleiterin für Marketingstrategie an der HWZ sowie Geschäftsführerin und Gründerin der Agentur House of Influence. In ihrem Referat an der Jubiläumsveranstaltung «Kaufleuten – persönlich» wird sie von ihren konkreten Erfahrungen mit KI berichten. Anmeldung hier.
Frau Herrmann, Sie treten an der «Kaufleuten-persönlich»-Veranstaltung vom 8. Juli auf. Wie weit hat KI bereits unsere Welt verändert?
Der grösste ganz konkrete Unterschied, den ich im Alltag in meinem Umfeld beobachte, ist das veränderte Suchverhalten. Statt dass ich recherchiere, frage ich kurz ChatGPT und gebe mich dann mit dieser einen, nicht nachvollziehbaren Antwort zufrieden. Als jemand, die mit der grösstmöglichen Neugier durchs Leben geht und verstehen will, warum Dinge so sind und funktionieren, wie sie es tun, macht mich diese unkritische Akzeptanz wahnsinnig.
In welchen Bereichen zeigt sich dies besonders deutlich?
Überall, wo es viele Daten gibt oder Dinge automatisiert werden können, bietet sich der Einsatz von KI an. Als Gründerin einer Marketingagentur und Studiengangsleiterin für Marketingstrategie ist aber vor allem die generative KI omnipräsent. Bewerbungen, LinkedIn-Posts, Abschlussarbeiten – alles kann und wird immer mehr mit sogenannten LLMs geschrieben. Das Ergebnis: Alles klingt irgendwie gleich und ist meist auch sehr unkonkret. Noch deutlicher wird die Veränderung aber in der Generierung von Bildern und ganzen Videos. Vor ein paar Jahren waren die Ergebnisse noch leicht als «künstlich» erkennbar – spätestens die sechs Finger pro Hand waren ein guter Anhaltspunkt. Bei der neuesten Generation ist es aber selbst als Profi nicht mehr möglich zu erkennen, was echt ist und was nicht. Im kreativen Kontext kein Problem – wenn es um Information und Vertrauen geht – ein riesiges Problem.
Gab es schon Entlassungen wegen KI?
Die Arbeitslosenquote in der Schweiz lag im April bei 2,8 Prozent, über die letzten zwei Jahre betrachtet ist die Zahl mit Schwankungen relativ stabil in der Tendenz jedoch steigend. Spricht man aber mit den Leuten in der Branche, zeichnet sich ein viel negativeres Bild als die 2,8 Prozent vermuten lassen. In vielen Agenturen, bei Zeitschriften sowie in Marketing- und Kommunikationsabteilungen wird fleissig abgebaut. Ein Trend, den auch die Behörden sehen – denn selten hatten sie so viele gut qualifizierte Leute aus diesen Berufsfeldern gemeldet. Wie viel davon jedoch der KI zuzuschreiben ist und wie viel der aktuellen Wirtschaftssituation, kann ich nicht einschätzen. Klar ist, es herrscht viel Verunsicherung: Zölle, Klima, Kriege – und dann noch die digitale Disruption vorangetrieben durch KI. Und Ungewissheit wirkt sich selten gut auf eine Wirtschaft, deren Wachstum und damit auch die Stellen aus.
Gibt es Anzeichen, dass der Staat KI einschränken wird oder ist dies gar nicht mehr möglich?
Der EU AI Act ist bereits im August 2024 in Kraft getreten, dieser betrifft in gewissen Fällen auch die Schweiz. Im März hat die Schweiz zudem die Konvention des Europarates über künstliche Intelligenz und Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterzeichnet. Des Weiteren hat der Bundesrat im Februar eine Auslegeordnung zur möglichen Regulierung künstlicher Intelligenz veröffentlicht.
Grundsätzlich kann man aber sagen, dass die Debatte zur Regulierung auf zwei emotionalen Ebenen geführt wird: Aus wirtschaftlicher Sicht möchte man sich nicht zu sehr einschränken lassen und damit Wettbewerbsnachteile erfahren. Auf der anderen Seite gilt es die Bevölkerung vor möglichen Risiken, die durch den Einsatz künstlicher Intelligenz entstehen, zu schützen. Bis jetzt waren so «mächtige» Tools nicht einfach für alle zugänglich. Es brauchte dafür eine Ausbildung, eine Lizenz oder eine Registrierung. Dadurch konnte der Staat dann auch einfacher regulieren – so kann ein Kind auch nicht einfach eine Schusswaffe kaufen oder Zugang zu einem medizinischen Labor bekommen. KI ist aber für alle – ohne vorhergehende Ausbildung oder Zulassungsprüfung – uneingeschränkt zugänglich. Und genau hier liegt meiner Meinung nach das Problem.
Wo sehen Sie für «Normalverbraucher» und KMUs den grössten Nutzen und die grössten Gefahren von KI?
Der grösste Nutzen ist für mich der Effizienzgewinn bei reinen Fleissaufgaben. Das bedeutet aber auch, dass viele Berufseinsteiger:innen, die zu Beginn ihrer Karriere erst mal die Fleissarbeiten erledigt hatten und so langsam in das Thema reinkamen, nun diesen Einstieg verlieren.
Visualisierungen und Content, der früher aufwendig erstellt werden musste, kann man nun mit etwas Geschick und der richtigen KI sehr schnell selbst erstellen. Man gewinnt damit an Unabhängigkeit und Geschwindigkeit.
Damit ich aber weiss, was ich der KI sagen soll, braucht es Erfahrung. Und auch nur dank dieser Erfahrung kann ich dann beurteilen, ob das, was die KI da erstellt, so überhaupt stimmt. Wenn ich es nicht besser weiss als die KI, dann bin ich ihr ausgeliefert.
Zu den grössten Gefahren gehören für mich gesellschaftliche Themen wie Datenschutz und Vertrauen. Denn wenn ich die ganzen teils sehr sensiblen Daten gewinnorientierten Unternehmen im Ausland zur Verfügung stelle, die sich nicht an unsere Gesetze halten und deren Absichten nicht immer ganz klar sind, schafft das nicht nur Gefahren, sondern auch eine grosse Abhängigkeit. Wenn ich zudem nicht mehr weiss, was echt ist und was nicht, weil die Fakes so gut sind, dass sie nicht mehr von echten Aufnahmen unterschieden werden können, dann haben wir als Gesellschaft ein Vertrauensproblem.
Auf KMUs bezogen beschäftigt mich die Erfahrungslücke, die wir nun schaffen, am meisten. Wie sollen die Leute ihre Erfahrungen sammeln und damit lernen, was sie überhaupt prompten müssen. Wie sollen sie ohne Erfahrung erkennen, wenn die Antworten, die die KI gibt, so gar nicht stimmen können, wenn wir ihre Stellen jetzt direkt mit KI ersetzen?
Welches sind für Sie momentan die führenden Tools?
Persönlich bin ich ein grosser Fan von Mistral – der französischen und vor allem DSGVO-konformen Alternative zu ChatGPT. Sie kann in den allermeisten Anwendungsfällen sehr gut mithalten – oder ChatGTP sogar übertreffen. Für Texte trifft Claude meinen Geschmack am besten – ChatGPT labert mir zu viel. Bei Bildern fühle ich mich bei MidJourney zu Hause, obwohl es hier täglich neue – teilweise leistungsfähigere Modelle gibt. Aber auch mein Tag hat nur 24 Stunden und bei der extremen Dynamik an neuen Tools ist es nicht möglich, immer alle direkt auszuprobieren. Für Bildanimationen arbeite ich gerne mit Runway. Aber mit den neuen Funktionen von Googles VEO3 – die aktuell in der Schweiz noch nicht verfügbar sind – könnte sich meine Antwort ganz schnell ändern.