28.07.2024

IAB Switzerland

Stimmen zu Googles Kehrtwende

In einer unerwarteten Wendung hat der Tech-Riese angekündigt, Third-Party-Cookies im Chrome-Browser beizubehalten. Diese Entscheidung stellt die jahrelangen Vorbereitungen der Werbeindustrie auf eine cookielose Zukunft infrage. IAB Switzerland hat Stimmen aus der Branche gesammelt.
IAB Switzerland: Stimmen zu Googles Kehrtwende
Googles ursprünglicher Plan, Third-Party-Cookies in seinem Webbrowser Chrome zu blockieren, ist abgesagt. (Bild: Keystone/AP Photo)

Google hat für Aufsehen gesorgt, als das Unternehmen ankündigte, dass der Chrome-Browser weiterhin Third-Party-Cookies unterstützen wird (persoenlich.com berichtete). Diese Entscheidung kam überraschend, nachdem Google jahrelang den Weg zu einer Zukunft ohne Cookies geebnet und neue, datenschutzfreundliche Konzepte vorgestellt hatte.

Martin Radelfinger, Präsident der IAB Switzerland, und René Plug, Leiter der Arbeitsgruppe Data & Identity Management, sehen die Werbewirtschaft nun vor vielen Fragen: Was bedeutet diese Kehrtwende für die Investitionen der letzten Jahre? Kehren wir tatsächlich in die alte Welt zurück, oder gibt es kein Zurück mehr?

Um Klarheit zu schaffen, hat die IAB Switzerland die Meinungen ihrer Mitglieder eingeholt. Die Reaktionen aus der Schweizer Werbewirtschaft – von Werbekunden, Agenturen, Technologieanbietern und Publishern – zeigen einen klaren Konsens: Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Radelfinger und Plug betonen in einem Schreiben an persoenlich.com, dass die IAB Switzerland das Thema weiterhin verfolgen und vorantreiben wird.

Eine umfassende Evaluation und Diskussion der Auswirkungen dieser Entscheidung wird spätestens im November auf der DEX24 stattfinden. Dort werden Experten und Branchenvertreter die Implikationen dieser überraschenden Entwicklung genauer unter die Lupe nehmen und mögliche Zukunftsszenarien erörtern.

Christian Hermle, Amag

«Surprise, Surprise – nachdem das Ende der Third-Party-Cookies im Halbjahrestakt nach hinten verschoben wurde, überrascht Google die werbetreibende Welt mit der Ankündigung, dass das Cookie-Aus nicht umgesetzt wird und auch zukünftig Third-Party-Cookies auf Google Chrome eingesetzt werden können. Die Gründe bleiben im Halbdunkeln – Privacy Sandbox ist noch nicht so richtig in Fahrt gekommen, das Produkt ist nur bedingt marktfähig, die Wettbewerbsbehörden haben eine dedizierte Meinung dazu. Als Werbetreibender beurteilen wir die Ankündigung mit verhaltenem Optimismus. Einerseits nimmt das etwas Druck aus der Pipeline und die bisherigen Möglichkeiten bleiben erhalten. Andererseits haben wir viel Zeit und Aufmerksamkeit in alternative Möglichkeiten wie 1st Party Data, Data-Cleanroom-Lösungen, kontextuelle Targetingmöglichkeiten und anderes mehr investiert. Und: Chrome ist nicht der einzige Browser, 50 Prozent der User nutzen andere Browser wie Safari, Firefox und weitere, die Third-Party-Cookies bereits unterbinden oder deren Laufzeit sehr beschränken. Heisst im Umkehrschluss: Es wird nicht einfacher, sondern komplexer. Wir werden wohl zukünftig beide Varianten – mit und ohne Cookies – technisch und prozessual abdecken. Das verursacht Kosten und Aufwand!»

Peter Schachtler, Publicis

«Die Kehrtwende von Google kommt nicht von ganz ungefähr, nachdem ihr Projekt ‹Privacy Sandbox› von Beginn an auf Widerstand in der Branche und den Aufsichtsbehörden stiess. Für Publisher und Werbetreibende ist es wichtig, die Entscheidung von Google nicht als  Signal für die Beibehaltung des aktuellen Istzustandes zu missverstehen. Stattdessen sollte der eingeschlagene Weg fortgesetzt werden und der Fokus auf der Identifizierung von Nutzern durch First Party Data und alternativen Trackingmethoden liegen, da wir uns längst in einem weitestgehend cookielosen Ökosystem befinden.»

Moritz Schneider, Mediaschneider

«Googles Ankündigung hörte sich erst wie ein verspäteter Aprilscherz an. Mediaschneider setzt auch nach dieser Kehrtwende auf datenschutzfreundliche und KI-gestützte Technologien sowie die Nutzung von First-Party Data.»

Alexandre Merk, Ringier Advertising

«Trotz des Kurswechsels von Google haben Third-Party-Cookies deutlich an Bedeutung verloren. Ringier Advertising investiert schon seit Jahren in zuverlässige Alternativen zur Zielgruppenerreichung bei Onlinewerbekampagnen und ist daher für die Zukunft bestens aufgestellt. Mit unserer selbstentwickelten Data-Management-Plattform Alloy bieten wir unseren Werbekunden und -kundinnen treffsichere Targetings basierend auf First-Party-Daten an. Gemeinsam mit weiteren Vermarktern haben wir zudem die Schweizer Lösung OneID geschaffen, die es Werbetreibenden erlaubt, Nutzerinnen und Nutzer effizient und ohne Überschneidungen über verschiedene digitale Publisher hinweg datenschutzkonform anzusprechen.»

Alex Horrolt, Goldbach neXT

«Trotz der Entscheidung von Google, die Abschaffung von Third-Party-Cookies in Chrome zu stoppen, ist Goldbach der Meinung, dass die Werbeindustrie weiterhin in Alternativen wie Login-Initiativen, Data Clean Rooms und kontextuelles Targeting investieren muss, da die hohe Nutzung von Safari und Firefox auf dem Schweizer Markt die Adressierbarkeit bereits einschränkt und die Bedeutung von datenschutzkonformen Lösungen unterstreicht. Dies stellt sicher, dass wir vorbereitet, unabhängig und wettbewerbsfähig bleiben, auch von Playern wie Google und deren Eigeninteresse und damit verbundenem wenig planbarem Verhalten.»

Niklas Kollat, The Trade Desk

«Wir sollten uns nicht von Googles ständigem Hin und Her ablenken lassen, denn Cookies geben Werbetreibenden nicht die kanalübergreifenden Einblicke und Kontrollmöglichkeiten, die sie brauchen. Es wäre ein Fehler, sich nur auf den Browser zu konzentrieren. Wir alle nutzen eine Reihe von Kanälen und Geräten, um Apps, Streaming TV und Audio zu geniessen. Daher sollten wir nach wie vor daran arbeiten, die Identitätslösungen voranzubringen, die das Verbrauchererlebnis verbessern, den Werbetreibenden ein viel tieferes und umfassenderes Verständnis des Kundenverhaltens vermitteln und die durch besseres Targeting und Measurement Publishern angemessene Finanzierung sichern.»

Sven Ruppert, Splicky 

«Das Ende vom Ende der Third-Party-Cookies sollte nicht als Signal verstanden werden, die Bemühungen um alternative Targeting-Konzepte und Identifier-basierte Lösungen hintenanzustellen. Die Learnings aus den Anpassungen von Apple im Bereich der Mobile Identifier sollten dem Markt eine Warnung sein. Ein ‹Weiter so› ist meiner Meinung nach keine valide Option.»

Rui de Freitas, CWire

«Die Änderung von Google ändert nichts an der Richtung, in die sich unser Ökosystem bewegt. Bereits jetzt sind mehr als 50 Prozent der Nutzer cookielos, und der neue Ansatz von Google wird diese Zahl weiter erhöhen. Wir wissen nur noch nicht, wie schnell und wie hoch.» (pd/cbe)


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