Herr Prinz, was ist "Real Time Bidding"?
Real Time Bidding, kurz RTB, steht für den auktionsbasierten Einkauf von Online-Werbeplätzen in Echtzeit. Dabei findet der Austausch zwischen Nachfrage- und Angebotsseite also Advertisern und Publishern elektronisch statt. Damit das funktioniert, kommen auf beiden Seiten Software-Systeme zum Einsatz. Auf der Nachfrageseite die so genannte "Demand Side Platform", kurz DSP, auf der Angebotsseite die "Supply Side Platform", kurz SSP. Beide Systeme sind so vorkonfiguriert, dass die Auktion und der Buchgungsprozess also Anfrage, Überprüfung der Verfügbarkeit, Gebot, Zugschlag, Auslieferung des Werbemittels in wenigen Millisekunden abgewickelt werden. Das ist so schnell, dass die Werbung aus Sicht des angesprochenen Konsumenten in Real-Time ankommt.

Kann man RTB in der Werbung mit der Börse an den Finanzmärkten vergleichen?
Absolut. Der Handel zwischen Nachfragern und Anbietern von elektronischem Werbeplatz läuft ohne RTB dezentral und nach nicht standardisierten Mustern ab. Advertiser und Publisher müssen sich selbst ausfindig machen, miteinander in Kontakt treten und über die einzelnen Werbeplätze direkt verhandeln. Im Gegensatz dazu wickeln die Marktteilnehmer mit RTB die Transaktionen über einen zentralen Marktplatz ab, also einer Börse für elektronische Werbeplätze. Die Bedingungen werden vorher von den Käufern und Verkäufern festgelegt. Und die Ausführung übernimmt ein elektronisches Handelssystem mittels verschiedener Algorithmen, analog zur Börse an den Finanzmärkten. Daraus resultiert eine enorme Effizienzsteigerung. Was heute mit manuellen Buchungsprozessen Wochen in Anspruch nimmt, dauert mit RTB wenige Millisekunden.
Ein grosser Teil des Prozesses übernimmt ein ausgeklügeltes Computerprogramm. Was für Gefahren birgt dies?
Die Hauptgefahr geht weniger von den Computerprogrammen selber aus, als von den Menschen, die diese bedienen. Das Worst-Case-Szenario aus unserer Sicht wäre folgendes: Der Ad-Trader platziert eine Buchung versehentlich global, anstatt diese auf die Schweiz einzuschränken. Die Schleuse für die Auslieferung von Werbung wäre hiermit weit offen. Innerhalb von wenigen Minuten könnten Mediakosten von mehreren hunderttausend Dollar anfallen. Dieses nicht versicherbare Einkaufsrisiko trägt die Agentur, z.B. wir, Serranetga. Aus diesem Grund investierten wir zuerst mehrere Monate in das Testen der Technologien und die interne Schulung unserer Spezialisten, bevor wir überhaupt die erste RTB-Kampagne live geschaltet haben.

Es gibt verschiedene Hersteller von RTB-Technologien. Kann man sagen: Wer das beste Programm besitzt, hat das beste Angebot?
Es gibt Unterschiede bei den Funktionen, die ein Programm bietet. Wesentlich entscheidender für das Angebot eines RTB-Systems ist jedoch der Zugang zu einem möglichst umfassenden Pool an Werbeinventar aus diversen internationalen Märkten. Die lokalen und spezialisierten Anbieter von RTB nutzen ihre Systeme um Zugriff auf das weltweite Werbeinventar zu erhalten und ergänzen sie mit hauseigenen Technologien, Daten und Targeting-Strategien. Damit werden die Kampagnen auf die lokalen Bedürfnisse der angepeilten Märkte abgestimmt. Schon heute nimmt Serranetga mit ihren RTB-Kampagnen an einem einzigen Tag an mehreren Millionen Auktionen teil. Sobald der Werbeplatz unseren Targeting-Kriterien entspricht, wird das Display Ad eingeblendet. Das war bisher undenkbar.
Wie sieht der Schweizer RTB-Markt aus? Hinkt man noch hinter den USA her?
Nicht nur als Anbieter von Technologien sind die Amerikaner führend. Auch die abgewickelten RTB-Budgets machen in den USA prozentual einen viel grösseren Anteil aus als hierzulande und werden dieses Jahr erstmals die Milliarde Dollar Grenze erreichen. Doch auch im deutschsprachigen Raum gibt es einige Player, die voll funktionierende RTB-Trading-Desks betreiben.
Sie haben bei Serranetga Spezialisten, die sich nur mit Real-Time-Bidding befassen. Was ist genau deren Aufgabe?
Das operative Kernteam eines Trading-Desks besteht aus drei Spezialisten: Je einem Ad Trader, Campaign Engineer und Manager Automated Buying. Der Ad Trader bedient die DSP und gibt die Bestellungen im System ein. Zudem überwacht er den automatisierten Einkauf, welcher während 24 Stunden läuft. Der Campaign Engineer entwirft komplexe Tracking-Konzepte, mit denen über den laufenden RTB-Handel Datensätze generiert werden. Er sorgt auch dafür, dass die Schnittstellen zwischen AdServer, DSP und Kundendaten funktionieren. Schliesslich programmiert er spezifische Applikationen, welche die Kampagnenziele unterstützen und die Ergebnisse in Form von Grafiken und Diagrammen für den Kunden sichtbar machen. Der Manager Automated Buying ist der Handwerker im Team. Er setzt die Kampagnen im Adserver auf, ist verantwortlich für die Werbemittel und setzt die Optimierungsmassnahmen um. Neben den drei Vollzeitspezialisten beschäftigt Serranetga fünf weitere Personen, die direkt oder indirekt mit den RTB-Technologien zu tun haben.

Wer kann alles Publisher sein?
Grundsätzlich kann jeder Webseiten-Betreiber als Publisher Zugang zu einem RTB-System erhalten. Er muss lediglich sicherstellen, dass die Werbemittel angezeigt werden können. Danach schliesst er sich entweder einem bestehenden Display-Netzwerk an, dessen Werbeeinblendungen an der RTB-Börse gehandelt werden. Oder der Publisher arbeitet direkt mit einem Trading Desk zusammen. So kann ihn Serranetga direkt an ihre DSP anbinden.
Kann ein Publisher bei mehreren DSPs angeschlossen sein?
Ja. Bei einem Publisher können Auktionen von unterschiedlichen DSPs um ein und dieselbe Werbeeinblendung durchgeführt werden. Den Zuschlag erhält jener Trading Desk, der bei seiner DSP das höchste Gebot hinterlegt hat. Die Höhe dieses Gebots definiert sich wiederum über den Wert desjenigen Userprofils, welches die Werbeeinblendung empfängt. Für ein Userprofil, das zur Zielgruppe des Advertisers passt, wird deutlich mehr geboten als für einen unbekannten Erstkontakt.
Angenommen eine Schmuddelsite erhält im RTB den Zuschlag und es landet deshalb eine Werbung einer Luxusmarke darauf. Wie erklären Sie dies dem Kunden?
Das passiert nicht. Jede an einer DSP angeschlossene Webseite wird vorher geprüft. Dabei gibt es zwei Arten von Audits: Im ersten Fall sehen sich Menschen die Website an. Im zweiten Fall werden der Kontext und die Stichworte innerhalb der Seite automatisch gescannt und mit einer Blacklist abgeglichen. Finden sich Stichworte zu Gewalt, Pornografie oder sonstigem illegalen Content, wird die Seite verbannt. Der Advertiser wählt aus verschiedenen Sicherheitsklassen aus: Je sicherer die Klasse, desto höher das Mindestgebot. Zu den bestehenden Sicherheitsmassnahmen führt Serranetga zusätzlich eine eigene Blacklist mit Seiten, die für ihre Schweizer Kunden ungeeignet sind und entsprechend ausgeschlossen werden.
Was bedeutet das Aufkommen von RTB für die Schweizer Verlage?
Bis jetzt ist noch kein Schweizer Verlag an eine Sell Side Plattform angeschlossen. Somit liegen die unverkauften Werbeplätze also der Löwenanteil ihres potentiellen Werbeinventars momentan in den Händen von manuell agierenden Yield Managern oder sogar komplett brach. Die unverkauften Restplätze über ein elektronisches RTB-System zu monetarisieren, wäre der erste logische Schritt für die Verlage. Denn die Effizienzsteigerung, die mit dem elektronischen Handelssystem einhergeht, gilt genau so für die Angebotsseite. Dabei werden die Schweizer Qualitätstitel aber darauf achten müssen, dass sie mit dem Einsatz von RTB nicht ihre Premium Produkte kannibalisieren. Dem könnte entgegengewirkt werden, indem Mindestpreise festgelegt werden, die der Qualität des Inventars Rechnung tragen. Da der Markt aber insgesamt noch nicht sehr weit entwickelt ist, tut sich noch wenig in diese Richtung. Der Druck auf die Verlage, am elektronischen Handelssystem zu partizipieren, wird parallel zu den wachsenden RTB-Budgets der Advertiser zunehmen. Im Moment fliessen die RTB-Budgets vollumfänglich zu ausländischen Marktplayern. Das ist aus Sicht der Schweizer Medienindustrie bedauerlich.
Ist RTB ein Trend?
RTB ist mehr als ein Trend. Es ist die Zukunft des Media-Einkaufs und wird sich früher oder später auf sämtliche elektronische Medien ausweiten inklusive das digitale Fernsehen.
Ihre Prognose: Was wird sich in diesem Bereich bis in einem Jahr verändern?
In den USA und den grossen europäischen Märkten wird der Markt für RTB weiterhin stark wachsen. Auch in der Schweiz wird es erste Anbieter geben. Allerdings ist der radikale Umschwung nicht innert Jahresfrist zu erwarten. Es braucht viel Know-how, um einen Trading Desk zu etablieren und es gibt hierzulande schlicht zu wenige Spezialisten, um die Entwicklung von RTB radikal zu beschleunigen. Es ist deshalb zu erwarten, dass vermehrt ausländische Anbieter versuchen werden, den Schweizer Markt von Deutschland her abzudecken. Ohne Schweizer Marktkenntnisse bringt das den Kunden aber wenig. Umso wichtiger ist es, dass hier in der Schweiz das Potential von RTB rechtzeitig erkannt wird und Know-how in diesem zukunftsträchtigen Bereich aufgebaut wird.

Neben Serranetga will auch die Publigroupe mit der eigens gegründeten Firma Spree7 Real Time Bidding anbieten (persoenlich.com berichtete). Weiter hat zum Beispiel auch Frank Colmsee, ehemaliger Sales Manager bei Publicitas, für CoAdvertise, ein deutscher Anbieter Performance-orientierter Online-Ad-Kampagnen, in Pfäffikon einen Schweizer Ableger eröffnet, der im RTB-Business mitwirken soll.
Interview: Corinne Bauer.