19.05.2021

Ferien 2.0

Wo die Digitalisierung im Tourismus steht

Die Wintersaison in den Schweizer Feriendestinationen ist definitiv vorbei. Zeit, um Bilanz zu ziehen, nach einer Saison voller Ungewissheiten, Regeln, die es einzuhalten galt, und kaum ausländischen Gästen. Konnte auch der Tourismus von der Digitalisierungswelle profitieren?
Ferien 2.0: Wo die Digitalisierung im Tourismus steht
Der Blick auf das Matterhorn ist etwas verhangen. Die Digitalisierung im Tourismus auch? (Bild: Pixabay)
von Loric Lehmann

Diesen Winter ist man noch glimpflich davongekommen, heisst es bei Zermatt Tourismus. In der Saison 20/21 hätte es viel schlimmer kommen können. Content- und Medien-Managerin Simona Altwegg geht von 30 Prozent weniger Logiernächten aus: «In normalen Zeiten wäre das eine katastrophale Saison gewesen.»

Denn für Zermatt ist gerade internationaler Tourismus sehr wichtig. In normalen Jahren kommt die Hälfte der Gäste aus dem Ausland. Bei den ausländischen Touristinnen und Touristen musste Zermatt einen deutlichen Einbruch verzeichnen. So ist Altwegg froh, dass viele Schweizer den Weg ans Ende des Mattertals fanden.

Tourismus digital abgeschlagen

In vielen Teilen der Gesellschaft stützte man sich während der Covid-19-Pandemie auf digitale Hilfsmittel, um in Zeiten von Homeoffice-Pflicht und Reisebeschränkungen etwas Normalität aufrechtzuerhalten. Wie steht es dabei im Tourismus? Diese Branche hinkt im Direktvergleich deutlich hinterher: In Digitalisierungsrankings liegt die Branche auf den hintersten Plätzen.

Dies kommt natürlich daher, dass der Grossteil der Leute in den Ferien verreisen möchte und dort die Natur oder Kultur an einem anderen Ort kennenlernen will. Versuche wie digitale Besuche eines Museums oder einer Messe (persoenlich.com berichtete) erwiesen sich in den wenigsten Fällen als rentabel.

Digitale Instrumente sind also vor allem als Unterstützung im Tourismus wichtig. Ein Beispiel hierzu aus Zermatt: Die Walliser Feriendestination lancierte im Dezember 2018 die «Matterhorn-App». Damit können Besucherinnen und Besucher in einer Smartphone-App die Pistenqualität abrufen, Veranstaltungen suchen oder gleich Unterkünfte buchen. So verspricht man sich bei den Touristikern mehr Unabhängigkeit. Die Destination will, wo möglich, Datenflüsse selbst erfassen und steuern können, ohne Kompromisse bei der Datensicherheit und Wirtschaftlichkeit.

Und die App ist ein Erfolg. Laut den Entwicklern wurde sie Stand Mitte Mai 2021 fast 180'000 Mal heruntergeladen. Im Durchschnitt verwendeten von letztem November bis April mehr als 1600 Menschen pro Tag die App aktiv, bei einer durchschnittlichen Sitzungsdauer von fast dreieinhalb Minuten.

Start-up will Digitalisierung in Zermatt vorantreiben

Hinter dem Projekt steht die Agentur Bonfire. 2018 gegründet, gehört sie zu 50 Prozent den Zermatt Bergbahnen und zu 50 Prozent Zermatt Tourismus. 2019 gewann das Start-up den ersten Preis in der Kategorie «Innovation» des Milestone Awards. «Der Grund für dieses neue Gefäss war es, agil und disruptiv zu sein, um so schnelle Entscheidungen treffen zu können. Und neuen Bedürfnissen, die sich durch den Fortschritt der Digitalisierung ergeben, gerecht werden zu können», sagt Andreas Mazzone. Er ist seit 2019 Geschäftsführer von Bonfire. «Wenn ich heute einen Laptop kaufe, ist der in drei Jahren alt. Mit dem Team von Bonfire können wir sicherstellen, dass die neuen digitalen Strukturen in Zermatt nicht nach drei Jahren veraltet sind, sondern langfristig den modernen Standards entsprechen.»

Mittlerweile sind beim Start-up etwa 22 verschiedene Projekte im Einsatz, die auch alle miteinander verknüpft sind. Mazzone bezeichnet Bonfire als die Forschungs- und Entwicklungsabteilung im Bereich Digitalisierung für die Destination Zermatt Matterhorn. «Wir entwickeln Projekte anhand von den Bedürfnissen, die die Destination hat, und übergeben die Tools dann den Betrieben oder den Gästen», so Mazzone.

Doch wie kommt dies bei den Gästen an? Mazzone sagt, die Besucherinnen und Besucher müssen die Wahl haben, ob sie diese digitalen Tools verwenden möchten. «Wenn ein älterer Gast nach Zermatt kommt, oder jemand, der ‹Digital Detox› machen möchte, sollen sie ebenfalls Möglichkeiten haben, sich zu informieren.»

«Mehrwert bei Leistungspartnern aufzeigen»

Und bei den Hoteliers? Sind die Betreiber von Bergrestaurants und Skihütten auch motiviert, auf neue Technologien zu setzen? Mazzone gibt zu, dass auf dieser Seite anfangs eine gewisse Skepsis da war, was neue Themen angeht. «Sobald man aber den Mehrwert aufzeigen kann, beispielsweise wenn der Gast den Tisch online reservieren kann und der Wirt nicht den ganzen Vormittag telefonieren muss, holt man die Partner schnell ins Boot. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Leistungspartnern den Mehrwert aufzeigen, sodass die Akzeptanz der Einführung von digitalen Tools steigt.»

Zurück zur «Matterhorn»-App: Gerade in Covid-Zeiten bietet diese Vorteile. Zum Beispiel, dass man das Skiticket in der App kaufen und auf den SwissPass laden kann. So können auch Anstehzeiten vermieden werden. Dies ist laut dem Bonfire-Geschäftsführer auf gute Resonanz gestossen.

Mazzone spricht schon über das nächste Projekt. Nun will man einen digitalen Marktplatz lancieren. Heisst: Alle Angebote in Zermatt sollen über eine Plattform gebucht werden können. Egal, ob Bergbahnticket, Unterkunft, Skilehrer oder -ausrüstung. Dies soll auch in die Matterhorn-App integriert werden. «Das ist ein grosses Ziel, das wir haben, das aber auch grosse Komplexität mit sich bringt, um dies entsprechend umsetzen zu können», so Mazzone.

Weniger Geldflüsse ins Ausland

Damit will man die Abhängigkeit von internationalen Buchungsplattformen verhindern. Denn aus den Schweizer Tourismus-Destinationen fliesst viel Geld an Provisionen ins Ausland an verschiedene Online-Reisebüros wie Booking.com oder Expedia.de. Bonfire will dem entgegenwirken und dieses Geld möglichst in der Destination behalten, um damit wiederum in die Digitalisierung zu investieren oder für den Gast einen Mehrwert zu schaffen.

Ein etwas utopischer Ansatz, denn die Abhängigkeit von booking.com wird wohl bestehen bleiben. Mazzone gibt sich aber optimistisch: «Wenn wir ein, zwei Marktanteile wieder zurückbekommen, ist das auch schon etwas. Das Ziel ist, dass ein Gast zumindest beim zweiten Besuch in Zermatt über den Marktplatz bucht. Aber die Konkurrenz ist natürlich riesig.»

Zermatt sieht optimistisch in die Zukunft

Angesprochen auf die beginnende Sommersaison zeigt sich Altwegg von Zermatt Tourismus zuversichtlich. Es sei wichtig zu wissen, dass dies keine Krise wegen eines Produktproblems sei. «Das Angebot stimmt und der Einbruch geschah aufgrund von externen Faktoren», so Altwegg. Klar sei aber auch, dass die Krise im Tourismus noch etwas andauern werde.

Zermatt Tourismus rechnet nicht damit, dass in den nächsten Monaten alles vorbei sein werde und alles wieder wie vorher sei. Altwegg: «Die Impfungen und öffnende Massnahmen machen Hoffnung und geben eine Perspektive, dass man im Sommer wieder mit internationalem Tourismus rechnen kann. Gerade das nahe Ausland kommt dafür in Frage. Optimistisch hoffen wir, dass uns Ende Jahr auch wieder Übersee-Gäste besuchen werden – andernfalls nächstes Jahr.»



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