23.05.2022

Aufstieg des FC Winterthur

«Der Verein muss ‹Underdogs› ausstrahlen»

Nach knapp 40 Jahren spielt Winterthur wieder in der höchsten Liga. Zum Aufstiegsteam von 1968 zählte Rolf Bollmann. Ein Gespräch mit dem Weltwoche-VR über den Abgang von Trainer Alex Frei, die Zukunft des FC Winterthur in der Super League – und den Fussball von damals und heute.
Aufstieg des FC Winterthur: «Der Verein muss ‹Underdogs› ausstrahlen»
«Mein Rekord wird bestimmt nicht mehr gebrochen»: Rolf Bollmann, mit 199 Nationalliga-A-Partien Rekordspieler des FC Winterthur. (Bild: zVg)
von Matthias Ackeret

Herr Bollmann*, Sie sind eine lebende FC-Winterthur-Legende. Nach 37 Jahren ist Ihr Club wieder in die Super League aufgestiegen. Wie haben Sie den Abend erlebt?
Ich sass zu Hause und habe am TV hin und her geschaltet. Der Sieg vom FC Winterthur gegen Kriens war ja schnell eine klare Sache. So habe ich mich vor allem auf das Spiel Aarau gegen Vaduz konzentriert. Und weil Aarau etwas überraschend verloren hat, war der Direktaufstieg vom FCW perfekt.

Was bedeutet dies für den FC Winterthur und die Region?
Der Aufstieg bedeutet für den FCW sehr viel. In der Stadt und Region hat es ein riesiges Zuschauerpotenzial, das treu zum FCW steht. Aber auch die wollen lieber Super-League-Spiele gegen den FCZ, GC, St. Gallen oder YB sehen als Spiele gegen Kriens, Yverdon oder Stade LS. In den «goldenen 70er Jahren», in denen der FCW sieben Saisons in der Nationalliga A, der heutigen Super League, gespielt hat, und einige Saisons sogar in der ersten Ranglistenhälfte klassiert war, wurde sichtbar, welche Bedeutung der FCW in der Stadt und Region bekommen hat. Endlich war der Verein auf Augenhöhe mit den Kantonsrivalen FC Zürich und GC, aber vor allem waren wir in der Ostschweiz die Nummer 1, der FC St.Gallen war für uns nur Kanonenfutter. 

Der FC Winterthur hat das Image des Underdogs kultiviert. Kann man damit in der höchsten Spielklasse bestehen?
Das könnte man schon. Es gibt einige Beispiele, wo das funktioniert. Zum Beispiel Union Berlin, mit dem grandiosen Trainer Urs Fischer. Wenn die Startrainer in der Bundesliga vor dem Computer sitzen und Strategien austüfteln, sitzt Fischer beim Fliegenfischen und macht sich Gedanken darüber, wie er den nächsten Gegner austricksen kann. Aber der ganze Verein muss «Underdogs» ausstrahlen, vor allem die Spieler. So etwas geht nur mit Herzblut und Treue für den Verein. Leidenschaft, Kämpfertum, Bescheidenheit und Kameradschaft unter den Spielern, keine Ich-AGs. Ob das alles mit den Charakteren der heutigen Profispieler noch möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Aber wenn es den Verantwortlichen beim FCW gelingt, das erwähnte Umfeld im Ansatz so zu gestalten, dann können sie bestimmt zu einer festen Grösse in der obersten Liga werden. 

«Für den FCW ist Freis Abgang kein Verlust, es gibt bessere Trainer für weniger Geld» 

Was bedeutet es, dass Alex Frei den Club verlässt? Kann man ihm einen Vorwurf machen?
«Take the Money and Run»: Das ist doch heute die Sprache der Spieler und Trainer. Alex Frei hat null Interesse am FCW. In Basel wird er vermutlich zehnmal mehr verdienen als in Winterthur – und nur das zählt für ihn. Und dort wird er dann in einem halben Jahr wegen Misserfolg wieder entlassen. Für den FCW ist das kein Verlust, es gibt bessere Trainer für weniger Geld. 

Sie hatten den Übernamen «Eisenfuss» ... 
... ich weiss, ich werde immer auf meinen Übernamen «Eisenfuss» reduziert. Aber mit diesem Eisenfuss bin ich immerhin der Rekordspieler in der 125-jährigen FCW-Geschichte geworden, was die Anzahl Spiele und Spielminuten in der Nationalliga A beziehungsweise der Super League betrifft. Und dieser Rekord wird bestimmt nicht mehr gebrochen, denn sieben Saisons lang wird der FCW vermutlich nicht mehr in der Super League spielen und schon gar nicht mehr einen Spieler wie mich haben, der dem Verein seit der Juniorenzeit treu geblieben ist – und viele Angebote ausgeschlagen hat.

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Was waren Ihre persönlichen Höhepunkte mit Winterthur?
Natürlich der Cupfinal 1975 Winterthur gegen Basel und dass ich als Spieler beim FC Winterthur in die Nationalmannschaft aufgeboten wurde. Damals bestand die Nationalmannschaft praktisch nur aus Spielern von FC Basel, FC Zürich, GC und Servette-Genf – und einer mal vom FCW. 

Und Ihr Tiefpunkt?
Der Abstieg 1977 mit dem FCW in die Nationalliga B. Und als Folge davon mein einziger Wechsel in meiner Nationalliga-A-Karriere zum FC St.Gallen. Ohne Abstieg hätte ich den FCW nie verlassen. Aber in einer Nationalliga-B-Mannschaft wollte ich nicht spielen. 

«Die heutigen Spieler, auch in der Schweizer Liga, sind fürchterliche Weicheier»

Kann man den Fussball von damals noch mit heute vergleichen?
Nein, das kann man nicht mehr. Nicht auf dem Platz und auch nicht neben dem Platz. Auf dem Platz wird heute viel schneller gespielt. Heute müssen die Spieler vor allem schnell und technisch gut sein, sonst hat man keine Chance mehr, in einer Topmannschaft zu spielen. Und heute rennt praktisch die ganze Mannschaft nach vorne und wieder zurück. Alle sind zugleich Stürmer und Verteidiger – und der Torhüter spielt den Libero, der früher noch ein Feldspieler war. Ich schaue mir jeweils die Champions League Spiele am TV an. Dieses Tempo und die Intensität der Spiele sind schon eindrücklich. Dafür sind die heutigen Spieler, auch in der Schweizer Liga, «fürchterliche Weicheier».

Harte Worte. Was meinen Sie damit?
Bei jeder kleinen Berührung lassen sie sich fallen, liegen auf dem Boden, schlagen mit den Händen auf den Rasen und schreien wie die Wilden in der Gegend rum. Am TV sieht man dann, dass sehr oft nicht mal eine Berührung stattfand. Das ganze Getue finde ich kindisch und eines Profifussballers, der sehr viel Geld verdient, unwürdig. Zu meiner Zeit, als noch nicht 20 Kameras jede Bewegung von jedem eingefangen haben, konnte man noch ungestraft dem Gegner die Socken polieren, mit Lederstollen und Nägeln drin dem Gegner auf die Füsse treten, ihm mit den Ellbogen das Nasenbein zertrümmern und so weiter – was einem natürlich auch selber passieren konnte. Aber jeder ist wieder aufgestanden, hat geflucht, den Gegner als «Sauhund» angeschrien – und hat weitergekämpft. 

Und neben dem Platz?
Dort sind wir nach dem Match oder dem Training praktisch täglich zusammengesessen und haben das Spiel analysiert, Fehler kritisiert und ein Bier getrunken. Heute kommen die Spieler mit ihren 250'000 Franken teuren Boliden zum Training, im Schlepptau mit ihren Spielerberatern, Modeberatern und der Freundin, die natürlich Topmodel oder Influencerin ist, und beschäftigen sich vor allem mit ihren «Nebentätigkeiten».

«In den 70er Jahren war der FCW dort, wo heute der FC St.Gallen steht»

Wer hat mit Ihnen gespielt damals?
Ich hatte das Glück, dass in den 70er Jahren viele gute Spieler zum FCW kamen. Zum Beispiel Timo Konietzka, der erste Bundesligastar, der in der Schweiz gespielt hat. Fritz Künzli, Eigil Nielsen, Klaus Stürmer, Kurt Grünig, Pius Fischbach, Peter Risi und so weiter waren sehr, sehr gute Spieler. 

Mit welchen Spielern haben Sie heute noch Kontakt?
Vor allem mit Pius Fischbach. An einigen Fifa-Anlässen treffe ich natürlich immer wieder mal auf alte Gegner wie Claudio Sulser, Marcel Cornioley, Adi Noventa und so weiter. Andere sind gestorben wie Köbi Kuhn, Fritz Künzli. 

Welche Chancen geben Sie Winterthur in der Super League?
Der FC Winterthur beziehungsweise der Vorstand sollten nun die Chance nutzen, ähnliche Strukturen aufzubauen, wie der FC St. Gallen sie hat. Das Spielerpotenzial ist in Winterthur viel grösser als in der Ostschweiz. Es ist deshalb nicht einzusehen, warum der FCW nicht die Stufe vom FC St.Gallen erreichen kann. In den 70er Jahren war der FCW dort, wo heute der FC St.Gallen steht. Ich glaube in keinem anderen Verein in der Schweiz sind so viele erstklassige Spieler herangewachsen wie beim FCW, die selbst in den europäischen Topligen heute gefragte Spieler sind. Nur muss der Verein dann bei einem Transfer einer seiner Talente ins Ausland oder zu einem Schweizer Spitzenklub auch Ablösesummen festsetzen und nicht das grosse Geld den Spielerberatern überlassen. Ich habe zu wenig Einblick in den Verein, aber Insider haben mir gesagt, dass hier noch zu wenig Professionalität vorhanden ist.

Welche Strategie könnte Erfolg versprechend sein?
Der FCW kann nur diesen Weg gehen: Junge, talentierte in- und ausländische Spieler verpflichten, taktisch schulen, weiterbringen und sie dann für das grosse Geld weiterverkaufen. Dazu brauchen sie aber einen Trainer im Stil von Favre, der Talente erkennt und sie fördert. So kann sich der FCW bestimmt in der Super League halten. Die Unterstützung von den Fans ist dem Verein gewiss. 


*Rolf Bollmann gründete mit 1999 Schibsted die Pendlerzeitung von 20 Minuten. Von 2005 bis 2012 gehörte er der Unternehmensleitung von Tamedia an. Danach wurde er CEO und Mitinhaber der Basler Zeitung Medien, heute ist er im Verwaltungsrat der Weltwoche.



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