Matthias, dein Roman «SMS an Augusto Venzini» ist ein Geschenk an einen Freund.
Ja, das stimmt. Die Figur von Augusto Venzini orientiert sich an meinem alten Freund Alberto Venzago. Er ist es – und auch nicht. Während des Schreibens bekam ich die Einladung zu seinem runden Geburtstag. Da ich kein adäquates Geschenk hatte, beschloss ich, den Roman fertig zu schreiben, in einer Kleinstauflage zu drucken und Alberto zu überreichen. Martin Walser und Jean Ziegler haben zuvor das Manuskript gelesen und ein äusserst positives Feedback gegeben. Man will sich ja nicht blamieren …
Wie lange hast du daran gearbeitet?
Ein halbes Jahr. Und immer in der Nacht. Ich war im Sommer 2019 an der Bienale in Venedig und fuhr mit dem Wassertaxi von Mestre nach Venedig. Ein grossartiges Feeling – und eine gute Szenerie für den Beginn eines Romans. Kaum war ich zu Hause, habe ich mit dem Schreiben begonnen. Als Protagonist wählte ich den Starfotografen Augusto Venzini, der eine anonyme SMS bekommt, mit der Bitte, unverzüglich nach Venedig zu kommen. Venzini, welt- und kampferprobt, wittert sofort die Gefahr und gerät in ein tödliches Duell, zumal auch der amerikanische Präsident und seine Gattin ihren Besuch angekündigt haben. Doch am Ende geht es im Buch um eine Frau. Oder sogar deren zwei. In diesem Sinne ist das Buch sogar sehr realitätsnah.
Wie hat Alberto Venzago auf das Buch reagiert?
Er war sehr gerührt. Ich glaube, einen Roman zu seinem eigenen Geburtstag zu erhalten, ist schon etwas Spezielles. Jetzt – anderthalb Jahre später – habe ich den Text nochmals überarbeitet und in diesen Tagen kommt das Buch in den Handel. Erstmals durfte ich es in der Bernhard Matinée bei Moritz Leuenberger vorstellen. Nun ist es also ein Roman mit bundesrätlichem Segen. Ein bisschen stolz bin ich auf die Reaktion von Martin Walser, dem ich das fertige Buch sofort gesandt habe. Er schrieb diesen Montag: «Dein Roman ist grandios.» Dies erlebt man nicht jeden Tag.
Parallelen zu Alberto Venzago sind also beabsichtigt. Wo gleichen sich die beiden am meisten?
Zum einen sind sowohl Venzago wie Venzini sehr gute Fotografen und haben viel erlebt, zum anderen haben sie ein Faible für das weibliche Geschlecht. Alberto als Romanfigur zu verwenden, ist gar nicht so einfach, weil er in Realität schon den Anspruch einer literarischen Figur erfüllt. Venzini ist also potenzierte Literatur, meine Story hat mit Albertos Alltag nichts zu tun. Dass jetzt im Juli seine grosse Werkschau im Museum für Gestaltung stattfindet und ihm das Magazin «Du» noch eine ganze Ausgabe widmet, ist vielleicht Zufall, vielleicht auch nicht. Möglicherweise ist es einfach perfektes Timing. 2021 ist ein Venzago-Jahr (lacht).
Und wo unterscheiden sich Venzago und Venzini?
Venzagos Lebenspartnerin heisst Julia, diejenige von Augusto Venzini Juliana. Venzago hat Voodoo und die japanische Mafia fotografiert, Venzini hingegen – als einziger – den Brand der Pariser Notre-Dame. Und er erhält dafür von Monsieur Le Président den höchsten Orden Frankreichs. So en passant beantwortet das Buch auch noch die Frage, wer Notre-Dame angezündet hat. Mein Roman handelt also 2019 und 2025, also vor und nach der grossen Pandemie, wobei diese gar nie erwähnt wird.
«Mein Alter Ego ist bei mir nicht so nett»
Dein letzter Roman «Eden Roc» war Helmut-Maria Glogger gewidmet. Ist die Widmung eines eigenen Buches das grösste Geschenk, das jemand von dir erhalten kann?
Leider hat Helmut-Maria das Erscheinen von «Eden Roc» nicht mehr erlebt. Ich selber finde ein Buch, in welchem man selbst oder sein Alter Ego die Hauptrolle spielt, etwas Geniales. Leider habe ich noch nie ein solches Buch erhalten, vielleicht sind meine Romane ein versteckter Hilfeschrei danach (lacht).
Kommst du selber in deinem Roman vor?
Doch, als Bösewicht und als Venzinis Gegenpart. Sein Name: Dr. Beat Pestalozzi, ein verklemmter und hinterhältiger Zürcher Anwalt. Martin Walser hat mich 2006 unter diesem Namen in seinem Roman «Angstblüte» verewigt. Als Nebenrolle, aber positiv. Walsers Credo: «Einer Welt, in der ein Beat Pestalozzi möglich ist, kann nichts passieren.» Mein Alter Ego ist bei mir nicht so nett. Zum Zweiten habe ich, da ich immer noch unverheiratet bin, in SMS meinen eigenen Polterabend im Kaufleuten beschrieben. Als virtuelles Gedankenexperiment sozusagen.
Das Kaufleuten ist in diesem Roman ein wichtiger Schauplatz.
Ja, eine Schlüsselrolle. Hier lernt Augusto Juliana kennen. Aber auch das Café Plüsch in Wiedikon, unsere «persönlich»-Kantine sozusagen, kommt vor. Als soziologische Alternative eigentlich … Jeder meiner Romane handelt in einem Zürcher Restaurant: «Der Hammermann» in der Kronenhalle, «Elvis» in der Casa Aurelio, «Eden Roc» im Totò. Und jetzt das Kaufleuten.
Die Boulevard-Ikone Marcel du Chèvre alias Helmut-Maria Glogger taucht auch wieder auf, wie schon in «Elvis» und «Eden Roc». Was für eine Rolle hat er diesmal?
Eine kleine. Beat Pestalozzi trifft Marcel in Südfrankreich. Sozusagen by the way. Ich wollte Marcel einfach reinbringen, weil er Teil meines Personals, meiner Familie ist. So wie Verleger Manni M. oder der Playboy Mike Baum, die bereits in früheren Büchern auftauchen und mich seit «Die ganze Welt ist Ballermann», das 1998 erschien, begleiten. Aktuell habe ich auch noch real existierende Personen wie Zucco, Michèle Binswanger, Hildegard Schwaninger, Peter Lesch und einige andere eingebaut, marketingtechnisch sage ich aber nicht genau wo. Zwei Damen aus Schaffhausen haben an einer Charity-Veranstaltung vor drei Jahren je 2000 Franken für Indien bezahlt, dass sie in meinem nächsten Roman auftauchen. Ich habe davon erst nach der Versteigerung erfahren und bin ihrem Wunsch nachgekommen. Als Autor muss man kundengerecht agieren (lacht).
«Das Schöne am Roman-Schreiben: Man kann die erfundene Realität selber beeinflussen»
Was war das Leitmotiv für dieses Buch?
Dass Männerfreundschaften nicht besser sind als diejenigen der Frauen. Und Venedig wirklich die schönste Stadt der Welt ist. Das Cover von Corinne Lüthi soll dies ausdrücken. Noch schöner als Paris und - ich sage es ungern - Zürich.
Dein letztes Werk «Die Glückssucherin – warum Margrit Schäppi einen Lebensratgeber schrieb und trotzdem Exit wählte» handelte von Sterbehilfe. Im Vergleich zu «SMS an Augusto Venzini»: Welches der beiden Bücher war einfacher zu schreiben?
Das eine ist ein Sachbuch, das andere ein Roman. «Die Glückssucherin» war eine Kritik an der Schweizerischen Sterbehilfepraxis, die sich auch als Thriller eignen würde, leider aber Realität ist. «SMS an Augusto Venzini» ist eine erfundene Realität. Das ist ja das Schöne am Roman-Schreiben: Man kann diese selber beeinflussen.
Hattest du vor dem Schreiben die ganze Geschichte im Kopf oder skizziert auf Papier?
Ich hatte die Anfangsszene – Einfahrt mit Taxiboot in Venedig – und den Schluss – Ankunft von Augusto auf der Alp Tambo bei Splügen – im Kopf. Dazwischen lief es von selbst. Aber nur nachts.
Konntest du vor Ort recherchieren oder via Internet?
In Venedig war ich einige Male, auch in Paris und Washington. Und Zürich kenne ich als ehemaliger VJ und heutiger 13'000-Schritte-täglich-Läufer eh sehr gut.
Und die Alp Tambo?
Kenne ich nur vom Internet. Liegt oberhalb von Splügen, meinem Sehnsuchtsort in der Schweiz. Von der Alp Tambo kann man höchstwahrscheinlich den Pizzo Groppera sehen. Oder zumindest erahnen. Im Sommer wollen der Original-Alberto und ich einmal hochgehen.
«SMS an Augusto Venzini», 978-3-907301-27-2, Münsterverlag, 21.90 Franken.
Matthias Ackeret und Alberto Venzago sprechen am Sonntag, 4. Juli, 11 Uhr, an der Photo21 in der Halle 550 in Zürich-Oerlikon über das Buch, das Schreiben, die Fotografie und ihre Gemeinsamkeiten.