13.01.2021

Solothurner Filmtage

«Filmkritiker sind keine Personal Shopper»

Die Medienbranche steht unter Druck – und mit ihr die Kulturkritik. Die Solothurner Filmtage legen deshalb einen Fokus auf die Filmkritik. Warum die kritische Besprechung des Schweizer Films für die Szene essenziell ist, erklärt Filmtage-Direktorin Anita Hugi.
Solothurner Filmtage: «Filmkritiker sind keine Personal Shopper»
«Kritik erschliesst neue Zugänge und relevante Zusammenhänge», sagt Anita Hugi, Direktorin der Solothurner Filmtage. (Bild: Keystone/Christian Beutler)

Seit Klicks gezählt werden, weiss jede Chefredaktorin, jeder Chefredaktor: Rezensionen rechnen sich nicht im Online-Journalismus. Immer wieder wird deshalb von den Chefetagen die Abschaffung der klassischen Kulturkritik gefordert. Doch für Kulturschaffende ist die professionelle und differenzierte Auseinandersetzung in der medialen Öffentlichkeit mit ihrem Werk unabdingbar. Warum?

Die Kritik spiegle und stimuliere das künstlerische Schaffen, sagt Anita Hugi, seit 2019 Direktorin der Solothurner Filmtage. «Kritik erschliesst neue Zugänge und relevante Zusammenhänge. Für die Filmschaffenden selbst tun sich durch die Kritik auch neue Blicke auf das eigene Werk auf.» Neue Blicke, die wichtig sind, um sich zu reflektieren und zu situieren in einem sich schnell wandelnden Umfeld. Hugi bezeichnet Kulturkritik im Gespräch mit Keystone-SDA als Kulturgut, als «eine andere Kunstform, die in einem Echoraum steht zu einem künstlerischen Werk».

In der Programmreihe «Fokus» zeigen die Filmtage ein Panoptikum an Arten der Filmkritik. Master Classes, Podien, Filmvorführungen – die Veranstaltungen sollen veranschaulichen, welche Bandbreite an kritischen Auseinandersetzungen mit dem Medium Film heute existieren.

So diskutieren Experten über Filmkritik in Form des Videoessays oder fragen im Podium «Post-pandemische Filmkritik», wie Filmkritik in Zukunft auszusehen habe. Kuratiert hat das Film- und Gesprächsprogramm, das wie das ganze Festival komplett digital stattfindet, Hannes Brühwiler.

Kritik heisst nicht, Sterne zu verteilen

Initiativen wie jene der Filmtage hat die Kulturkritik bitter nötig. Nicht erst seit Klicks zählen, wird der kritischen Auseinandersetzung mit der Kultur in den Massenmedien immer weniger Platz eingeräumt. «Der Abbau begann mit der Tanzkritik, dann folgte die Literaturkritik und so weiter. Die Filmkritik hielt sich relativ lang», sagt die ehemalige Journalistin Hugi.

Jammern liegt der Direktorin allerdings fern, denn für sie ist nicht per se die Verlagerung ins Digitale ein Problem. Es gebe sehr viele verschiedene Möglichkeiten, sich auch online fundiert mit einem Film auseinander zu setzen. Denn gute Filmkritik ist für Anita Hugi unabhängig von der Art des Mediums «eine Frage von Zeit, Sorgfalt, Kenntnissen und der kontinuierlichen Beschäftigung mit einer Kunstform».

Filmkritikerinnen und -kritiker seien nicht einfach «Personal Shopper», die Sterne verteilten. «Vielmehr stellen sie Werke in einen Kontext, einen gesellschaftlichen wie filmischen.» Das könne ebenso über ein gut geschriebenes Porträt passieren, es müsse nicht zwingend die klassische Form der Rezension sein.

Die Muskeln stählen

Die Filmtage sehen sich mit ihrem Fokus «Éloge de la critique – Lob der Kritik» als Impulsgeber. «Wir bestärken die Kritikerinnen und Kritiker in ihrer Arbeit, fordern sie auf, dranzubleiben, die Muskeln zu stählen.»

Denn die fundierte Auseinandersetzung mit dem Schweizer Film gibt es weiterhin, auch wenn in den Medien der Platz für eine vielseitige Filmkritik geschwunden ist. Hugi erwähnt etwa «Sennhausers Filmblog» des SRF-Radiojournalisten Michael Sennhauser, oder die Videoessays des Filmwissenschaftlers Johannes Binotto. Trotz Kritikern wie diesen, attestiert die Direktorin neueren Formen hierzulande Luft nach oben, gerade etwa bei Filmkritik in den Sozialen Medien.

Und natürlich kann auch die wirtschaftliche Realität nicht ausgeklammert werden: Kulturkritik rechnet sich oft nicht. Hier sieht Anita Hugi etwa Stiftungen oder die Politik in der Pflicht, aktiv zu werden. Denn: «Kulturkritik gehört zum künstlerischen Schaffen essenziell dazu. Ohne Kritik keine Entwicklung.»

Zum Schluss kommt sie auf die Relevanz der einheimischen Filmkritik für die Zukunft zu sprechen. Sie habe vor Kurzem eine junge Frau gefragt, warum sie nicht ins Kino gehe. «Sie hat geantwortet, es spreche halt niemand drüber.» Im Gegensatz zum Streamingdienst Netflix etwa, dessen Produktionen in aller Munde (und in allen Medien) sind.

Um einer «Verengung» vorzubeugen – damit eben nicht alle über die gleichen Filme und Serien sprechen – brauche es facettenreiche Filmkritik unbedingt, sagt Hugi. Denn, und davon zeigt sich die Filmtage-Direktorin überzeugt, das Publikum zwischen 15 und 30 sei «extrem filmaffin». Und dieses gilt es bei Stange zu halten – ein erster Impuls ist gegeben. (sda/cbe)



Dieser Text von Annina Hasler, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt- Stiftung realisiert.

Die 56. Solothurner Filmtage dauern vom 20. bis 27. Januar 2021. Alle Informationen zur Sektion «Fokus» sowie zum gesamten Programm finden Sie unter solothurnerfilmtage.ch.



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