Herr Bliggensdorfer, wie fest hat die ganze Krise Ihren Alltag verändert?
Es gibt da zwei Ebenen. Privat ist die Situation sicherlich nicht leicht mit zwei Kindern. Der Ältere hat unlängst den Kindergarten angetreten und wurde nach einem halben Jahr wieder aus dem Unterricht gerissen, was dazu führte, dass er im Moment keinen Kontakt zu seinen Freunden hat. Soziale Kontakte sind ja bekanntlich sehr wichtig für Kinder. Aber die fehlen jetzt natürlich. Die Tochter hingegen ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Quarantäne-Baby. Sie kam kurz vor dem Lockdown zur Welt und hat bis heute ihre Grosseltern kaum gesehen, was sicherlich auch speziell ist.
Und wie sieht es im Geschäftlichen aus?
Dieses Jahr wird finanziell ein Disaster! Das Kernbusiness eines jeden CH-Musikers ist der Live-Auftritt. Diese fallen voraussichtlich für eine längere Zeit aus. Mich trifft der Lockdown aber auch deshalb, weil ich inmitten der Krise ein neues Album veröffentliche. Da gibt es auch global betrachtet nicht gerade viele, die das tun. Auch wenn wir im Streamingzeitalter leben, verkaufe ich nach wie vor einen grossen Teil meiner Alben im physischen Handel (CD). Und genau der ist zurzeit geschlossen. Es bleibt also nur noch der Online-Handel. Wir mussten uns also mitten im Spiel an neue Spielregeln gewöhnen. Aber am Schluss ist ein Verlust unumgänglich.
Ist die Beachtung Ihres neuen Albums in Corona-Zeiten grösser als in «normalen» Tagen?
Jein … Ich bin zwar einer der wenigen, welcher in der Krise ein neues Album veröffentlicht, jedoch ist das Thema Corona so gross, aktuell und allgegenwärtig, dass man auch unter diesen Umständen der Gefahr des Untergehens ausgesetzt ist.
Wollten Sie die Veröffentlichung des Albums nie auf einen späteren Zeitpunkt verschieben?
Das stand ganz kurz zur Debatte. Mein Label und ich haben uns aber relativ schnell dazu entschieden, das Album nach Plan zu veröffentlichen. Aus verschiedenen Gründen. Der Hauptgrund sind meine Fans. Eine Verschiebung hätte sich für mich angefühlt, als würde ich sie im Stich lassen. Wenn mein Album ihnen ein wenig helfen kann, sich in den Krisenzeiten abzulenken, dann will ich diesen Beitrag auch leisten. Kommt hinzu, dass weltweit unzählige Künstlerinnen und Künstler ihre Releases verschieben. Das wird zur Folge haben, dass uns ein Tsunami an Veröffentlichungen erwartet und dort ebenfalls die Gefahr droht, in der Masse unterzugehen.
Wie ist die ganze Lancierung abgelaufen? Haben Sie Radiostudios besucht?
Nein, habe ich nicht. Wie gesagt, die Spielregeln wurden während des Spieles geändert. Dies war für alle Beteiligten zwar herausfordernd, aber auch erfrischend. Als Beispiel: Wenn ich früher drei Radiotermine gemacht habe und dafür 6 Stunden quer durch die Schweiz gefahren bin, konnte ich jetzt 10 Interviews in der gleichen Zeit ohne Autofahrt via Videokonferenz, Telefon, Whats app etc. machen für Radio, TV, Online sowie auch Print.
Wie viele Konzerte müssen Sie momentan wegen der ganzen Geschichte streichen?
Mindestens 10 werden bis Ende des Jahres voraussichtlich gecancelt. Dies beinhaltet öffentliche sowie nicht öffentliche Auftritte. Meine grösste Herzensangelenheit war die auf den 16. Mai angedachte Okey Dokey Show (im Rahmen der Albumveröffentlichung) in der Samsung Hall Zürich, welche wir aber glücklicherweise auf den 16. Januar 2021 schieben konnten. Ich will ehrlich sein. In den letzten Jahren war ich privilegiert und komme damit vermutlich durch die Krise und bin dankbar dafür. Es gibt viele kleine KMUs, denen geht es vermutlich weniger gut als mir und ich hoffe, dass die Sonne für uns alle bald wieder scheint.
Auf Ihrem neuen Album «Okey Dokey II» kehren Sie zu Ihren Anfängen als Rapper zurück. Was gab den Ausschlag für diese «nostalgische» Anwandlung?
Zum einen habe ich es meine Fans damals bei Okey Dokey 1 versprochen, dass ein zweiter Teil erscheinen wird, es hat nun einfach 15 Jahre gedauert, zum anderen hatte ich einfach richtig Bock drauf. Ein Spassprojekt mit vielen Gästen.
Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Tage?
Zurzeit führe ich zum ersten Mal bei einem Videoclip («Sorry Mama» – nächste Single mit Marc Sway) von mir selbst Regie. Der Clip wurde just nach dem Lockdown gedreht, was diverse Herausforderungen mit sich brachte. Einen Dreh in solcher Form habe ich selbst noch nicht erlebt. Ihr könnt euch darauf freuen.
Der Schweizer Musiker Bligg heisst mit bürgerlichem Namen Marco Bliggensdorfer.
Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.