28.02.2017

Politische Werbung

«Den Frauen zuliebe ein männliches Ja»

Seit Dienstagabend läuft die Vorpremiere des Films «Die göttliche Ordnung». Eine, die massgeblich zum Frauenstimmrecht beigetragen hatte, ist die Grande Dame der Schweizer Werbung Doris Gisler Truog. Ein Gespräch über die Wirkung persönlicher Postkarten und die heutige Frauengeneration.
Politische Werbung: «Den Frauen zuliebe ein männliches Ja»
Beim Gespräch in Meilen am Zürichsee: Doris Gisler Truog (89) stuft ihre Kampagne zum Frauenstimmrecht als ihre «beste» ein. (Bild: Tim Frei)
von Tim Frei

Frau Gisler Truog* demnächst kommt der Spielfilm «Die göttliche Ordnung»* über das Frauenstimmrecht in die Kinos. Was löst das bei Ihnen aus?
Das Thema des Films ist für mich gelaufen, ich habe da keine grossen Emotionen mehr. Natürlich werde ich ihn anschauen. Aber für mich ist das erledigt. Ich habe drei Kampagnen zum Frauenstimmrecht gemacht und bin als Frau auch nicht benachteiligt, sonst würde ich mich wehren.

Damals engagierten Sie sich aber als Werberin stark für die Einführung des Frauenstimmrechts. Wie kam es dazu?
Der Auslöser war, dass mir die Kampagne zur verlorenen Abstimmung von 1966 im Kanton Zürich überhaupt nicht gefiel. Zu später Stunde kritisierte ich diese an einer Veranstaltung, bei welcher der legendäre Zürcher Stadtpräsident «Stapi» Emil Landolt anwesend war. Ich sagte, dass man mehr hätte gewinnen können, wenn die Kampagne nicht so grässlich gewesen wäre. Das Bild der Frau in einer Frauenhilfsdienst-Uniform überzeugte nicht.

Was löste Ihr Statement aus?
Emil Landolt, der das Aktionskomitee für das Frauenstimmrecht präsidierte, merkte sich meine Kritik. Ein paar Jahre später forderte er mich auf, die Kampagne für die Abstimmung in der Stadt Zürich zu leiten und zu beweisen, dass ich es besser als die andern könne.

Was Sie nicht ablehnen konnten.
Nein, mir blieb nichts anders übrig. Ich mochte Emil Landolt sehr, verehrte ihn förmlich. Wenn man das grosse Wort führt, muss man konsequenterweise auch dazu stehen. Ich zögerte dann doch, aber mein damaliger Mann Kaspar Gisler bestärkte mich darin, das anzupacken.

Dann traten sie dem Aktionskomitee bei.
Ja. Das war ein interessantes Komitee mit Frauen, die ein Leben lang gekämpft hatten. Einige waren zwar etwas verbittert, weil sie gedemütigt und in der Presse lächerlich gemacht wurden. Glücklicherweise war da Hulda Autenrieth, die damalige Präsidentin der Frauenzentrale Zürich, die sehr offen blieb, obwohl sie von der Presse hart angegangen wurde. Obwohl ich sehr jung und in diesem Komitee eher ein Exot war, wurde ich gewählt. Vor diesen Frauen, die sich so stark einsetzten, hatte ich eine grosse Achtung.

Sie waren nicht als gestandene Frauenrechtlerin, sondern als Werberin im Komitee.
Genau. Ich bin das professionell angegangen und habe zuerst das Zielpublikum definiert. Die eingefleischten Gegner sollten nicht angesprochen werden. Denn die zu überzeugen, war schwierig. Viele Männer brachten aber wunderbare, oft auch seltsame Argumente dagegen vor.

Zum Beispiel?
Einer meiner Freunde sagte mir, wenn alle so wären wie ich, dann wäre er klar dafür. Aber ich sollte doch mal diese Frauenrechtlerinnen ansehen. Andere sagten zu uns, die Politik sei ein schmutziges Geschäft. Das sei nichts für Frauen, das würden sie schon für uns übernehmen. Diese Argumente nahm ich auf.

Diese Gruppe von Männern war also Ihre Zielgruppe.
Ja. Ich war überzeugt, dass sie mit ihren eigenen Argumenten überzeugt werden könnten. Es ging mir vor allem darum, die Gegner nicht zu reizen, indem ich nochmals etwas bringe, was zu einer ablehnenden Reaktion führen würde.

Deshalb setzten Sie auf eine emotionale Ansprache?
Genau. Ich hatte die Männer nicht als Feinde angesehen, sondern mochte sie immer. Deshalb fand ich es nicht richtig, zu sagen: «Ihr Dummköpfe macht endlich mal». Ich habe mir vorgestellt, ich würde einen Freund anschreiben: «Verlangen wir Frauen zu viel von euch?» (Anm. der Red.: vgl. zweites Bild unten). Ich bin überzeugt davon, dass die Kampagne den Durchbruch für eine liebenswürdige Ansprache des Stimmbürgers brachte. Denn anschliessend setzte sich in der politischen Werbung dieser Stil durch.

Aber ohne harte Fakten konnte auch Ihre Kampagne nicht auskommen.
Das stimmt. So habe ich das Argument vieler Männer aufgegriffen, dass die Frauen ja ihre Männer hätten, die an ihrer Stelle stimmen würden. Da über 40 Prozent der Frauen alleinstehend waren, traf dies für viele nicht zu.

Das Herzstück Ihrer Kampagne war das Plakat mit der männlichen Hand, die den Frauen einen Blumenstrauss anbietet und der Slogan «Den Frauen zuliebe ein männliches Ja».
Dieser Slogan war der Knüller. Er gab die Stimmung wieder, in der wir die Kampagne machten. Dabei hatte ich – ausser der Grafik – alles selber gemacht. Das ist bei Werbekampagnen selten der Fall. Zuerst dachte ich, man werde den Blumenstrauss verschämt hinter dem Rücken zeigen. Der Grafiker meinte allerdings, dass er ganz offen besser wäre. Ein lustiges Detail: Mein Vorschlag war ursprünglich ein «kräftiges Ja», mein Mann riet mir, daraus ein «männliches Ja» zu machen.

Nebst diesem Plakat haben Sie Postkarten verschickt.
Ja. Die Postkarte enthielt auf der Rückseite eine Gruss-Botschaft von Emil Landolt. Die Idee dabei war, dass ich den populären Stapi noch mehr einsetzen wollte. Ich dachte jedenfalls, dass eine persönliche Karte eine starke Wirkung hat. Wir waren übrigens die ersten, welche solche Postkarten in der Werbung einsetzten. Anschliessend haben es viele so gemacht. Zudem produzierten wir bedruckte Plastik-Taschen und gingen mit Flugblättern auf die Strasse.

Wie reagierten die Gegnerinnen auf Ihre Kampagne?
Sie nahmen unser Plakat auf und persiflierten es. Auf einem ihrer Plakate prangte der Slogan «Die Mutter geht in die Politik und hat keine Zeit mehr für ihr Kind». So war die Stimmung damals.

Wie ist die Kampagne bei den Frauen angekommen?
Unterschiedlich. Als ich die Kampagne im parteiübergreifenden Komitee vorstellte, stellten sich einige eingefleischte Frauenrechtlerinnen dagegen. Sie argumentierten mit dem Recht der Frauen und betonten, dass sie nicht darum bitten würden. Ich finde aber noch heute, dass es keine Schande ist, um ein Recht zu bitten.

Wie setzten Sie sich schliesslich durch?
Der Zürcher Regierungsrat Alfred Gilgen verteidigte die Kampagne in dieser Sitzung durch alle Böden und hat sie so gerettet. Es gibt aber heute noch Frauenrechtlerinnen, die keine Freude an der Kampagne haben, obwohl sie funktioniert hatte.

Was haben Sie damals von dieser Reaktion der Frauen gehalten?
Ich habe sie durchaus verstanden, da ich die Geschichte dieser Frauen gekannt habe. Wenn man ein Leben lang gekämpft hat und immer wieder derart enttäuscht wird – sie waren verbittert. Ich nahm es nicht persönlich. Der Schuss aus der eigenen Ecke war natürlich schon blöd. Aber in der Werbung ist man sich gewöhnt, dass immer mal wieder jemand dagegen ist (lacht).

Wie stufen Sie die Kampagne persönlich ein?
Ich finde, dass es meine beste war.

Was hatte die Einführung des Frauenstimmrechts ausgelöst?
Das hat uns Frauen ein völlig anderes Lebensgefühl gegeben, denn mit dem Stimmrecht haben wir ein ganz anderes Gewicht erhalten. Zuvor war ich in der absurden Situation, dass ich den Betrieb zusammen mit meinem Mann geleitet habe, aber nicht abstimmen durfte. In der Kaffeepause diskutierten wir jeweils über die Abstimmungsthemen, doch am Sonntag hatte ich dann nichts zu sagen. Sogar der jüngste Mitarbeiter durfte stimmen. Wir wurden anders behandelt – teilweise liebenswürdig, aber doch herablassend. Es herrschte ein Gefälle zwischen den Geschlechtern – wir waren Bürger zweiter Klasse.

Wie schätzen Sie die Lage der Frauen heute ein?
Wir Frauen sind zwar heute noch immer nicht überall gleichberechtigt. Aber die einzelne Frau hat gute Möglichkeiten.

Was halten Sie von der Frauenquote?
Nichts, ich bin komplett dagegen. Ich habe zwar Verständnis, dass Frauen vorwärtskommen wollen. Aber ich fände es unwürdig, wenn ich nur wegen der Quote befördert würde. Ich glaube auch, dass es kein Recht auf Karriere oder eine höhere Position gibt. Auch die meisten Männer machen keine Karriere. Es handelt sich immer um eine Elite. Man muss sich halt anstrengen – als Frau zugegebenermassen ein bisschen mehr.

Gibt es sonst etwas, das Ihnen an der heutigen Frauen-Generation missfällt?
Ja. Ich habe es gar nicht gerne, wenn eine Frau – nur weil sie eine Frau ist – denkt, dass sie ein besonderes Recht habe. Ich will nicht mehr Recht, ich will Gleichberechtigung. Und heute habe ich das Gefühl, dass es oft fast in die Richtung von mehr Recht geht. Hulda Autenrieth sagte, dass wir nicht die gleichen Rechte wollten, sondern vielmehr das Recht, als Frauen wahrgenommen zu werden.


Doris Gisler Truog* leitete die Kampagne zur Abstimmung über das Frauenstimmrecht der Stadt Zürich des Jahres 1969. Auch zur kantonalen (1970) und eidgenössischen Vorlage (1971) führte Sie je eine Kampagne durch. 1954 war die ehemalige Journalistin in die Werbung eingestiegen und leitete gemeinsam mit ihrem Ehemann Kaspar Gisler die Werbeagentur «Gisler & Gisler». Nachdem dieser 1971 bei einem Autounfall verstarb, übernahm sie die Führung der Agentur. Wegen ihren Verdiensten um die Einführung des Frauenstimmrechts ist sie seit 1971 Ehrenmitglied der Zürcher Frauenzentrale.

«Die göttliche Ordnung»*
Im Zentrum dieses Spielfims steht die junge Hausfrau Nora, die 1971 mit ihrem Mann und ihren Söhnen in einem beschaulichen Schweizer Dorf lebt. Als sie anfängt, sich für das Frauenstimmrecht einzusetzen, gerät das Familien- und Dorfleben gehörig ins Wanken. Der Film der Regisseurin Petra Volpe war Ende Januar bei den 52. Solothurner Filmtagen mit dem «Prix de Soleure» ausgezeichnet worden.

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Ab 9. März läuft der Film in den Kinos.



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Kommentare

  • Ursula Meier-Lips, 09.03.2017 09:39 Uhr
    Toll Doris, ich bin stolz darauf, dich zu kennen! Deine Aktion und dein Verständnis ist das, welches uns vorwärts bringt - auch zünftig!
  • Marianne Hepp Hügi, 06.03.2017 16:40 Uhr
    Super gab es und gibt es immer noch Frauen, wie Doris Gisler: Ganz im Sinne der Sache, objektiv, engagiert!
  • Susanane Zumbühl, 01.03.2017 12:42 Uhr
    Das Interview gefällt mir sehr gut und natürlich war die Kampagne einzigartig. Bravo! Ein anderes Leben für uns Frauen.
  • Ursula Jacques, 01.03.2017 09:26 Uhr
    Das Interview mit Doris Gisler Truog von Tim Frei hat mich sehr angesprochen. Habe die Zeit ohne Stimmrecht noch erlitten!! Verheiratet, berufstätig und keine Rechte (Bank etc.) ohne Unterschrift des Ehegatten...
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