Matthias Kiess, die «Prestigebranche» hat an «Glanz» verloren, hiess es kürzlich in der SonntagsZeitung. Werbung komme häufig durchschnittlich daher. Was sagen Sie als langjähriger Werber zu dieser scharfen Kritik?
Leider muss ich dieser Kritik zu einem gewissen Mass recht geben. Ich habe auch das Gefühl, dass der Standout in der Werbung ein bisschen verloren gegangen ist in den letzten Jahren. Die grossen Werke, die den Markt bewegen, bei denen man neidisch auf die anderen Agenturen schaut und die auch einen entsprechenden Impact haben, sind selten geworden.
Warum ist das so?
Die Gründe sind vielschichtig. Ich finde, das Niveau hat seit Covid-19 generell tendenziell abgenommen. Das hängt wohl stark mit der Art zusammen, wie wir seither zusammenarbeiten. Bei hybriden Modellen entsteht meiner Meinung nach nicht die nötige Energie. Auch hinein spielt der Trend hin zur Inhouse-Kreation. Die Werbeauftraggeber sparen und vergeben so die nötige Kreativpower. Was zudem immer mehr spürbar wird, sind die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz (KI). Ein gutes Beispiel dafür lieferte Coca-Cola mit dem komplett KI-generierten Weihnachtsspot, der danach von vielen als seelenlos kritisiert wurde. Aus kreativer Sicht ist das Resultat schon diskussionswürdig, doch der Mut zu einem rein KI-generierten Ansatz natürlich auch spannend. Und zu guter Letzt liegt der fehlende «Glanz» in der Werbung auch häufig am mangelnden Willen der Werbeauftraggeber, in gute Kreativität, in unser Handwerk, zu investieren. Das Bewusstsein, dass Kreativität auch zu Erfolg führen kann, ist häufig nicht mehr da. Was zählt, ist die Messbarkeit im digitalen Umfeld. Und dieses bietet nicht immer die idealen Bedingungen, um Kreativität voll zu entfalten.
ADC-Präsident Thomas Wildberger hielt der oben genannten Kritik entgegen. Im persoenlich.com-Blog schrieb er kürzlich, es sei vermessen zu glauben, dass 90 Prozent der Werbung gut sein soll – es gebe ja auch nur einen Sommerhit.
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Ich glaube, die Wertschätzung für das, was Agenturen und somit ein kreatives Produkt zu leisten vermögen, wird nicht mehr ausreichend anerkannt. Es muss unser Anspruch sein, wieder mehr Standout für die Marken zu generieren. Da sind wir alle gefordert, Kunden sowie Agenturen, hier kontinuierlich mehr zu investieren.
Können Sie konkrete Kampagnen nennen, wo Kreativität aktuell zu kurz kommt?
Konkrete Kampagnen nicht, aber schauen Sie sich zum Beispiel die Bierwerbung an. Oder die Autowerbung. Das waren früher die Kategorien, nach welchen sich die Agenturen gesehnt haben. Die heutigen Werbungen sind grösstenteils austauschbar und Performance-getrieben. In diesen Sektoren muss man über die Marke gewinnen. Es braucht also die Bereitschaft, von der Innensicht, wie sie häufig da ist, sich auch auf die Aussensicht einzulassen. Was bewegt den Konsumenten? Wie kann ich den Konsumenten adressieren, wie kann ich ihn engagieren und packen? Mit Sponsoring oder lahmen Liveaktivitäten funktioniert das nicht.
«Es besteht ein gewisses Risiko einer Homogenisierung»
Sie haben zuvor den Trend zum Inhousing angesprochen. Gerade neue KI-Tools befähigen viele Marketingleute dazu, Kampagnen selber in die Hand zu nehmen.
Natürlich können Marken immer mehr selber in die Hand nehmen. De facto ist ein gewisser Prozentteil von dem, was draussen gestreut wird, über relativ einfache Prozesse oder Tools zu bewerkstelligen. Gerade KI-Tools funktionieren allerdings stark nach statistischen Mustern. Es besteht ein gewisses Risiko einer Homogenisierung. Klar ist auch, dass diese Inhouse-Abteilungen nicht die Mitarbeitenden anziehen und halten können, die für ausserordentliche Kreativität stehen. Aber ich muss Thomas Wildberger – um nochmals auf den oben angesprochenen Blogpost zurückzukommen – dahingehend recht geben, dass ein Grossteil der Arbeiten einen primär informativen Charakter hat. Auch bei TBWA machen diese Arbeiten einen überwiegenden Anteil vom Auftragsvolumen aus. Es ist natürlich eine Frage des Anspruchs, den eine Marke letztlich hat. Wir als Agentur haben den Anspruch, auch solche Arbeiten besser zu machen. Aber wenn ich dann sehe, welche Ideen bei uns in eine Erstpräsentation einfliessen und welche Kampagne schliesslich das Licht der Welt erblickt, dann ist das häufig schon ernüchternd.
Das heisst, Werbeauftraggeber wollen entweder einfach sparen oder sind nicht mutig genug. Das wird ja schon länger kritisiert.
Dem kann ich nicht ganz absprechen und diese Kritik hat wohl eine gewisse Legitimität. Denn diese Zurückhaltung hilft nicht, die generelle Begeisterung für Werbung wieder zu entfachen. Es muss auch bewusst sein, dass das aktuelle politische Umfeld die Werbung belastet, wie sich etwa an neuerlichen Werbeverboten im öffentlichen Raum zeigt, die einer breiteren Akzeptanz für gute Werbung im Weg stehen. Dies ist einerseits das Ergebnis unseres Wohlstands, andererseits auch der Übersättigung und Reizüberflutung unserer Gesellschaft. Dieser Wohlstand führt auch zu einem Stillstand. Und so fehlen Impuls und Anreize, um die Extrameile zu gehen.
«Das Gesamtvolumen an potenziellen Talenten nimmt tendenziell ab. Die Werbebranche ist zu einem Halbfach verkommen»
Wie schwierig ist es für TBWA in diesen Zeiten gutes Personal zu finden?
Das Gesamtvolumen an potenziellen Talenten nimmt tendenziell ab. Die Werbebranche ist zu einem Halbfach verkommen. Es gibt immer weniger Ausbildungsmöglichkeiten ausserhalb von Agenturen. Fachinstitute wie die Spok sind eingegangen, die Swiss Academy leidet teils an zu wenigen Anmeldungen, genauso wie das Sawi. Wenn das so weitergeht, stirbt die Branche langsam aus. Und unter diesen Umständen die Fahne für gute Werbung hochzuhalten, ist schwierig. Deswegen ist es mir auch ein sehr wichtiges Anliegen, die Attraktivität unseres Berufsumfelds hochzuhalten und gute Einstiegsmöglichkeiten für junge Leute zu entwickeln. Der klare Schwerpunkt liegt hierbei sowohl auf der Erstausbildung als auch auf der Weiterbildung. Da müssen wir wieder besser werden.
Man muss auch sagen, gute Werbung zu machen, ist heute wohl auch schwieriger als früher.
Da gebe ich Ihnen recht. Eine Marke muss heute so viele verschiedene Kanäle bewirtschaften. Das ist eine riesige Komplexität – organisatorisch wie prozessual. Dazu kommen die Kostenrestriktionen, die diese Aufgabe auch nicht leichter machen. Den einen grossen Medienkanal gibt es nicht mehr. Können Sie sich noch an die Whiskas-Werbung erinnern? Diese Marke kannte vor 15 Jahren noch jeder, auch jene, die keine Katzen zu Hause hatten. Das gibt es heute nicht mehr. Marken verschwinden aus der öffentlichen Wahrnehmung, weil die Budgets viel segmentierter und personalisierter eingesetzt werden und es so automatisch zur Selektion kommt, was gesehen werden kann und was nicht.
Marken schaffen heute Aufmerksamkeit auf anderen Wegen – wie zum Beispiel Lindt und Sprüngli erfolgreich auf den Trend der Dubai-Schokolade aufgesprungen ist.
Ich fand diese Aktion von Lindt sehr überraschend und cool. Es ist beeindruckend, wie rasch die Marke hier reagieren konnte. Ich meine, diese Schokolade musste zuerst entwickelt und dann produziert werden. So wie ich das verstanden habe, wurde dies in einem ersten Batch über reine Handarbeit gemacht, was ja bereits eine Disruption für so einen industrialisierten Grosskonzern darstellt. Diese ganze Aktivierung wurde meines Wissens vom Team international getrieben und dann einfach hier in der Schweiz vor Ort umgesetzt. Sicherlich ein Paradestück einer gelungenen Markenaktivierung unter smarter Nutzung eines aktuellen Trends.
Sie haben vorhin über die Zusammenarbeit von Agenturen und Werbeauftraggebern gesprochen. Wie hat sich diese Beziehung in den letzten Jahren verändert? Es klingt fast danach, als hätte man sich etwas verloren.
Das ist etwas hart ausgedrückt. Aber einen Funken Wahrheit hat diese Aussage schon. Ich beschreibe es anhand eines Beispiels: Früher sind wir zum Kunden gefahren, haben dort eine Präsentation gehalten und diese miteinander besprochen. Wir waren in einem Raum. Es wurde ein Gemeinsamkeitsgefühl geschaffen. Die Gelegenheit, ein solches Gemeinsamkeitsgefühl zu schaffen, gibt es fast nicht mehr. Es wird primär über digitale Kanäle kommuniziert. Ich meine, Sie hätten mich auch über Teams interviewen können, aber sie merken ja selber – es entsteht eine andere Gesprächsqualität, wenn man sich gegenübersitzt.
«Auch wir sind gefordert, unsere Aufstellung und unser Businessmodell kontinuierlich zu hinterfragen»
Es bleibt kein Raum für Beziehungspflege.
Genau, es ist eine Beziehung, weil es auch um Vertrauen geht. Ich kann Ihnen das anhand eines unserer langjährigen Kunden illustrieren. Unsere Teams waren in den letzten Monaten wieder vermehrt vor Ort, um die Aufgabenstellungen kollaborativ in engem Austausch anzugehen. Was ist das Resultat? Lobende Worte bis hin zu emotionalen Umarmungen nach Sitzungen. Man geht zusammen durch dick und dünn. Das ist eine ganz andere Qualität der Zusammenarbeit. Klar, können wir uns durch Teams die Reisekosten und Zeit sparen. Aber wir unterschätzen, was die Qualität einer Beziehung ausmacht. In das sollten wir alle wieder vermehrt investieren.
Viele Werbeauftraggeber denken aus Kostengründen wohl eher an Effizienz – und sehen KI diesbezüglich als Chance.
Die Versprechungen, die man sich aus KI macht, sind meist grösser als der tatsächlich zu erzielende Nutzen. Ich denke, dass KI, wenn man auf die ganze Wertschöpfungskette schaut, in den kommenden Jahren diverse Aufgaben lösen kann und vielleicht auch muss. Langweilige, repetitive Arbeiten, wie zum Beispiel die Multiplikation von Werbemitteln bieten hier Potenziale. Das muss dann nicht mehr Stunden um Stunden kosten. Doch hat KI durchaus auch gewisse Grenzen. So gibt es kritische Stimmen, die sagen, dass KI den Menschen im Kreativprozess nicht komplett ersetzen können wird. Und wer weiss, so wird uns als Agenturen hier weiterhin eine tragende Rolle bleiben.
Viele grosse Agenturen waren in den letzten Monaten mit sich selber beschäftigt. Wirz, zum Beispiel, hat sein Geschäftsmodell umgebaut. Oder Jung von Matt hat die Führung umstrukturiert. Welche Veränderungen gab es bei TBWA?
Als Unternehmen darf man nicht stehen bleiben. Uns haben in dem Jahr einerseits Umsatzverluste bei bestehenden Kunden und die entsprechende Kompensation durch Neugeschäft beschäftigt. Wir hatten in den letzten sieben Monaten sieben oder acht Pitches auf dem Tisch, die wir notabene alle gewonnen haben. Was sich für uns als unternehmerisch erfolgreich erwiesen hat, sind die zusätzlichen Services über unsere Video- oder Social-Media-Units. Aber auch wir sind gefordert, unsere Aufstellung und unser Businessmodell kontinuierlich zu hinterfragen.
Inwiefern?
Im Oktober hatten wir intern einen Workshop zu unserer Strategie und darauf aufbauend zu unserer Aufstellung und unseren Prozessen. Daraus resultierte zum Beispiel die Absicht, nächstes Jahr einen Operations Manager einzusetzen, der unsere internen strukturellen und prozessualen Themen genau anschaut und in diesem Kontext auch die Optimierungspotenziale mittels KI prüft. Damit wird offensichtlich auch das Businessmodell «gechallenged». Und darum – und jetzt komme ich wieder zurück auf das, was ich ganz am Anfang gesagt habe – beschäftigt mich aktuell sehr, wie wir den Wert von Kreativität wieder besser im Markt verankern können. Damit einhergehend auch die Wertschätzung wieder zu steigern. Denn wenn diese steigt, werden wir die Wertschöpfung generieren, die es braucht, um profitabel zu wirtschaften. Wirz ist hier einen Weg gegangen, der Inspiration bietet und welchen ich gerne mit Interesse beobachte.
Wo sehen Sie die grössten Wachstumspotenziale für Ihre Agentur in den nächsten ein bis zwei Jahren?
Das werde ich hier jetzt nicht in jedem Detail ausführen, aber ich denke, dass wir die Zukunft mit all ihren Facetten willkommen heissen müssen und die Chancen, welche sich aus den technologischen Innovationen ergeben, clever nutzen müssen. Zudem bin ich überzeugt, dass der Bau eines gescheiten und partizipativen Ökosystems, welches alle Bedürfnisse bestehender und neuer Kunden breit abdecken kann, das Potenzial mit sich bringt, nachhaltig zu wirtschaften.
Bevor 2025 kommt, stehen noch einige freie Tage an. Wie erholen Sie sich?
Zuerst bin ich sehr stark mit Familie und Freunden eingebunden, was mir viel Freude macht. Danach flüchte ich dann aber ab in die Berge, wo ich das alte Jahr ausklingen lasse und das Jahr 2025 willkommen heissen werde.
In der Serie «Das war 2024» greifen wir die grossen Themen des Jahres in kompakter Form nochmals auf. Hier finden Sie die Übersicht.
KOMMENTARE
17.12.2024 13:26 Uhr
17.12.2024 09:59 Uhr