19.03.2024

Gislerprotokoll

Grossteil von Spots stellt Geschlechter stereotyp dar

Die Gleichstellungsinitiative hat 243 Bewegtbildwerbungen analysiert. In der Hälfte der Spots kommen stereotype Darstellungen vor. Nicht-weiss gelesene Menschen sind in 63 Spots zu sehen, dabei selten in der Hauptrolle. Bei genderqueeren Personen sind die Zahlen noch tiefer.
Gislerprotokoll: Grossteil von Spots stellt Geschlechter stereotyp dar
Ein nicht-weiss gelesenes Mädchen ist im Weihnachtsspot 2023 von Coop zu sehen. (Bild: Screenshot)

Auch für das Jahr 2023 und zum dritten Mal in Folge hat der Verein Gislerprotokoll eine Stereotypenanalyse der Schweizer Bewegtbildwerbungen durchgeführt. Grundlage der Analyse sind alle 2023 in den Fachmedien kommunizierten Bewegtbildwerbungen (TVC und Digital), in denen mindestens eine Person vorkam.

Der Fokus der insgesamt 243 analysierten Werbungen liegt auf der Präsenz und Darstellung von weiblich und männlich gelesenen Personen. Als Raster dienen die vom Gislerprotokoll identifizierten zehn Stereotype, die am häufigsten in der Werbung verwendet werden. Die Stereotype sind aufgeteilt in sechs männliche und vier weibliche Stereotype.

Die aktuellen Zahlen zeigen: Der Anteil weiblich und männlicher gelesener Personen in den Werbungen ist ausgeglichen. In 210 der Fälle kommen weiblich gelesene Personen vor, in 33 Prozent der Werbungen sprechen sie auch. In 218 der Werbungen kommen männlich gelesene Personen vor, in 37 Prozent der Fälle sprechen sie auch.

Zusätzlich wurde 2023 erhoben, wie oft Personen, die als genderqueer gelesen werden, dargestellt wurden. Damit sind Personen gemeint, die nicht in die geschlechterbinäre Norm passen. Das kann rein optischer Natur sein oder Personen umfassen, die sich als Frau und Mann (genderfluid) oder weder als Frau noch als Mann identifizieren (non-binär). Das Ergebnis der Analyse: Der Anteil genderqueerer Personen in den analysierten Werbungen ist gering. In 13 der Werbungen aus dem vergangenen Jahr kommt eine genderqueere Person vor. Das entspricht rund 5 Prozent der Werbungen. «Werbungen, in denen diese Personen vorkommen, drehen sich oft um die Jugend oder sind auf diese Zielgruppe ausgerichtet», kommentieren die Verantwortlichen vom Gislerprotokoll in der Mitteilung.

Auch analysiert hat das Gislerprotokoll, wie oft 2023 nicht-weiss gelesene Personen dargestellt wurden in Werbungen. Gemeint sind damit in der Analyse Menschen afrikanischer, asiatischer, lateinamerikanischer, arabischer, indigener oder pazifischer Abstammung. Das Gislerprotokoll kommt hierbei auf eine Zahl von 63, was einer Prozentzahl von rund 25 entspricht. «Diese nicht-weiss gelesenen Personen spielen in der Mehrheit der Fälle nicht die Hauptrolle in den analysierten Spots, sondern sind Teil eines Hintergrund-Casts. Wenn nicht-weiss gelesene Personen Hauptrollen haben, sind sie häufig prominent», kommentieren die Verantwortlichen vom Gislerprotokoll.

Die Verantwortlichen vom Gislerprotokoll haben auch in Werbungen dargestellte Paarsituationen analysiert. Das Fazit: Die meisten spielen sich im heteronormativen Kontext ab. In Zahlen heisst das: In 49 der analysierten Spots kommen heterosexuelle Paarsituationen vor. Acht Mal kommen homosexuelle Paarsituationen vor oder Paarsituationen mit genderqueeren Personen.

Häufigkeit von Stereotypen

In 56 der analysierten Werbungen kommen weibliche Stereotype vor, in 84 männliche Stereotype. Gemessen an der Gesamtzahl der jeweiligen Personen, werden weiblich gelesene Personen in 26 Prozent der Fälle stereotyp dargestellt, männlich gelesene Personen in 38 Prozent der Fälle.

«Wie auch schon in den Vorjahren, werden männlich gelesene Personen öfter Stereotyp dargestellt als weiblich gelesene Personen», heisst es in der Mitteilung. Einschränkend gibt das Gislerprotokoll zu bedenken, dass die für männlich gelesene Personen identifizierenden Stereotype sehr viele aktive, heldenhafte und souveräne Rollen umfassen.

Wie in den Vorjahren ist der beliebteste männliche Stereotyp der «That One Funny Guy» – also der lustige Mann (27 Mal). Auf Platz 2 folgt, anders als in den Vorjahren, der «Meister bei der Arbeit» (16 Mal), also der Experte, der ohne viele Worte grosse Fachkenntnis ausstrahlt. Bei den Frauen sind die Top-Ränge unverändert: Auf Platz 1 «Die Kümmerin» (22 Mal), auf Platz 2 «Die stille Geniesserin» (15 Mal).

Im Umkehrschluss wurde ebenfalls analysiert, wie viele lustige weiblich gelesene Personen, Expertinnen und sich kümmernde männlich gelesene Personen dargestellt werden. Hier zeigt sich eine leicht positive Entwicklung: Insgesamt 14 Mal sind weiblich gelesene Personen lustig, 43 Mal treten sie als Expertinnen auf und 15 Mal kümmern sich männlich gelesene Personen um Kinder, den Haushalt oder Mitmenschen (wobei dieser Wert den Vorjahren entspricht).

In 123 der analysierten Werbungen wurden keine stereotypisierten Darstellungen verwendet. Das entspricht rund der Hälfte der Spots. In 74 der Werbungen wurde ein Stereotyp verwendet, in 46 Werbungen zwei oder mehr Stereotype.

Nach wie vor enthält rund die Hälfte der analysierten Werbespots stereotype Darstellungen der Geschlechter.

Topfpflanzentest

Bei 30 Werbungen griff der vom Gislerprotokoll eingeführte «Topfpflanzentest». Greift der Test bei einer Werbung, bedeutet das, dass eine weiblich gelesene Person oder eine Minderheit in einer rein dekorativen Rolle vorkommt und keine Relevanz für die Storyline hat.

Positiv zu werten ist, dass der Anteil an Werbespots, bei denen der Topfpflanzentest greift, gegenüber dem Vorjahr deutlich gesunken ist. 2022 schlug der Test noch bei 70 der analysierten Werbungen an.

Die Stereotypen-Analyse hat auch 2023 ergeben, dass immer noch ein grosser Teil der in der Schweizer Werbung dargestellten Personen in gender-stereotypen Rollen porträtiert werden. Es zeigen sich positive Entwicklungen, wie etwa die häufigere Übernahme von Rollen, die sonst dem anderen Geschlecht zugeordnet werden (kümmernde männlich gelesene Personen, humorvolle weiblich gelesene Personen und Expertinnen), diese Fälle sind jedoch immer noch in der Minderheit.

Vor allem Werbung, die sich an eine jüngere Zielgruppe wendet, spielt mehr mit Gendernormen und zeigt auch generell mehr Diversität in der Besetzung von Rollen. Ob diese Entwicklung beibehalten wird, wenn eine jetzt junge Zielgruppe in ein mittleres bis höheres Alter kommt, wird sich zeigen.

Die Resultate seien eine weitere Bestärkung darin, dass es die aktive und bewusste Auseinandersetzung mit stereotypen Darstellungen weiterhin braucht und die Schweizer Werbelandschaft hier noch einen deutlichen Weg vor sich hat, schreiben die Verantwortlichen des Gislersprotokolls in der Mitteilung.

Das Bewusstwerden der Kraft – und Macht – die in Bildern steckt und die Werbetreibende entsprechend hätten, sei ein erster, wichtiger Schritt hin zu einem bewussteren Umgang mit Stereotypen und Klischees. Aus der Erfahrung des Gislerprotokolls und seiner Mitglieder sei die Verwendung von Stereotypen oft kein bewusster Akt, sondern internalisierten Vorstellungen und Denkmustern geschuldet, die nicht aktiv reflektiert werden. Geschehe diese Reflexion nicht, könne die Werbebranche ihren Anteil an der Weiterentwicklung der Gesellschaft – denn diesen hat sie, auch wenn er klein sein mag – nicht leisten. (pd/wid)


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