06.09.2023

Greenpeace

«Migros und Coop müssen Verantwortung übernehmen»

Weniger Werbung als Hebel für geringere Umweltbelastung: Barbara Wegmann, Expertin für Konsum und Werbung bei Greenpeace Schweiz, nimmt Stellung zu einer aktuellen Studie, welche die Folgen des «werbebedingten Überkonsums» gemessen hat.
Greenpeace: «Migros und Coop müssen Verantwortung übernehmen»
«Durch werbebedingten Mehrkonsum verursacht Werbung indirekt zusätzliche Treibhausgasemissionen und Umweltbelastung»: Barbara Wegmann, Greenpeace. (Bilder: Keystone/Jean-Christophe Bott und zVg)
von Nick Lüthi

Frau Wegmann, was hat Greenpeace dazu bewogen, gerade jetzt mit einer Studie die Werbung ins Visier zu nehmen?
Wir arbeiten schon länger zum Thema, denn Werbung ist ein wichtiges Puzzleteil, um unser Konsumniveau auf ein nachhaltiges Mass zu bringen. Zur Erinnerung: Würden alle Menschen weltweit so viel konsumieren wie wir in der Schweiz, bräuchten wir rund drei Erden, um die dafür notwendigen Ressourcen und Umweltleistungen bereitzustellen. Unser Überkonsum – angekurbelt auch durch die Werbung – hat schwerwiegende negative Folgen für Klima und Umwelt: Abfallberge, Treibhausgasemissionen, Bodenverunreinigungen, Verlust an Biodiversität und so weiter. Hier sehen wir die Unternehmen in der Verantwortung, Anreize für klima- und umweltschädlichen Konsum zu stoppen.

Die Studie richtet den Fokus auf Migros und Coop. Deren Werbung, insbesondere jene für Tierprodukte, sorge für einen Mehrkonsum, der Treibhausgasemissionen verursache und die Umwelt belaste. Warum gerade die beiden Grossverteiler?
Unsere Studie zeigt auf, dass die Ernährungsbranche für die grösste Umweltbelastung durch werbebedingten Mehrkonsum verantwortlich ist. Migros und Coop dominieren mit 80 Prozent Marktanteil den Lebensmitteldetailhandel. Die beiden Unternehmen geben in der Schweiz auch mit Abstand am meisten Geld aus für Werbung. 2021 waren es über eine halbe Milliarde Schweizer Franken, alleine für die Supermarktwerbung. Gemeinsam sind die Unternehmensgruppen Migros und Coop für über die Hälfte der werbebedingten Umweltbelastung der schweizweiten Nahrungsmittelbranche verantwortlich. Aus Klimaperspektive sieht es nicht besser aus: Der werbebedingte Mehrkonsum der beiden Unternehmensgruppen verursachte 2021 über viermal so viele Emissionen wie der gesamte Verkehr der Stadt Zürich. Über die Hälfte dieser werbebedingten Emissionen stammten aus Werbung für Nahrungsmittel.

Um einen «werbebedingten Mehrkonsum» festzustellen, muss man von einer bestimmten Werbewirkung ausgehen. Die Studie konnte sich dazu nur mit Annahmen behelfen, weil es keine brauchbaren Daten gibt. Inwiefern schmälert das die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse?
Um die Werbewirkung zu messen, berücksichtigen die Studienautoren sowohl die betriebswirtschaftliche Wirksamkeit einer Werbekampagne, also den Return on Investment, wie auch die Nachfrageelastizität auf Branchenebene. Bei beiden Elementen stützten sie sich in der Herleitung der Annahmen auf wissenschaftliche Literatur sowie Berichte von Medienagenturen und Beratungsunternehmen. Zusätzlich arbeiteten sie mit drei verschiedenen Szenarien, die von einer geringen, einer mittleren und einer grossen Werbewirksamkeit ausgehen. Insgesamt haben sie mit konservativen Annahmen gearbeitet und die Ergebnisse plausibilisiert.

«Würde auf Werbung für klima- und umweltschädliche Produkte verzichtet, würden diese indirekten Emissionen eingespart»

Ist es so einfach, wie Greenpeace suggeriert, dass weniger Werbung zu weniger Konsum führt und die Umweltbelastung abnimmt?
Diverse Studien zeigen, dass Werbung den Konsum erhöht. Durch diesen «werbebedingten Mehrkonsum» verursacht Werbung indirekt zusätzliche Treibhausgasemissionen und Umweltbelastung, die bei der Produktion der zusätzlichen Produkte und Dienstleistungen entstehen. Würde auf Werbung für klima- und umweltschädliche Produkte verzichtet, würden diese indirekten Emissionen eingespart. Nicht mehr für klima- und umweltschädliche Produkte zu werben, ist eines von mehreren Puzzleteilen, die es braucht, um ein zukunftsfähiges Konsumniveau zu erreichen.

Greenpeace hat schon im April Migros und Coop dazu aufgefordert, Werbereglemente zu erlassen, und nun mit einer Petition nachgedoppelt. Haben Sie darauf eine Rückmeldung erhalten?
Mit Coop sind wir im Austausch zum Thema. Die Gespräche finden auf Vertrauensbasis statt, weshalb ich mich hier aktuell nicht weiter dazu äussern möchte. Die Migros zeigte sich bis anhin leider nicht bereit, sich zum Thema mit uns auszutauschen.

Welche Forderungen leiten Sie aus den Ergebnissen der Studie ab?
Unsere primäre Forderung richtet sich aktuell an Migros und Coop. Wir fordern sie dazu auf, umfassende und verbindliche Werbereglemente für die Unternehmensgruppen zu erlassen, welche die Werbung für klima- und umweltschädliche Produkte unterbinden. Wir werden erneut das Gespräch mit den Unternehmen suchen. Wenn keine Bereitschaft zur Selbstregulierung vorhanden sein sollte, werden wir unsere Forderungen auf politischer Ebene platzieren.

«Migros und Coop haben mit ihrer Werbung einen relevanten Einfluss auf unser Konsumverhalten»

Greenpeace hat nun die Werbung problematisiert. Ist das nicht das Pferd am Schwanz aufgezäumt? Gäbe es keine umweltschädigenden Produkte, würde auch niemand dafür werben.
Nebst der Forderung, Werbung für Tierprodukte zu beenden, braucht es natürlich noch weitere Massnahmen. Wir fordern Migros und Coop auch dazu auf, ihr Sortiment an Tierprodukten zu verkleinern. Die beiden Unternehmen verweisen aber stets auf die bestehende Nachfrage und Eigenverantwortung der Kundinnen und Konsumenten. Und genau hier setzt unser Appell in Sachen Werbung an. Denn Migros und Coop haben mit ihrer Werbung einen relevanten Einfluss auf unser Konsumverhalten. Anstatt nur auf die Nachfrage zu verweisen, müssen die beiden Detailhandelsriesen ihre Verantwortung wahrnehmen und Werbung für Tierprodukte und andere umwelt- und klimaschädliche Produkte beenden.



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Kommentare

  • René Lüchinger, 06.09.2023 12:59 Uhr
    Wir sind ja so froh, dass uns Greenpeace weismachen will, welche Werbung wir sehen, was wir essen dürfen. Wir können es kaum erwarten, bis wir auch unsere Hirne an der Greenpeace-Pforte abgeben dürfen.
  • Peter Ferloni, 06.09.2023 08:43 Uhr
    Recht hat Sie. M & C nehmen diesbezüglich Null Verantwortung war. Anstatt Visionen zu entwickeln und umzusetzen wird auf auf die Nachfrage der Kund*innen verwiesen. Dabei könnte eine Selbstregulierung aus Image-Sicht durchaus attraktiv sein.
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