17.08.2021

Sir Mary

«Prävention ist nicht sexy»

Jürg Beutler ist Kommunikationschef bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung. Im Interview spricht er über die neue, ungewöhnliche BFU-Kampagne und sagt, wo die Herausforderungen dabei lagen.
Sir Mary: «Prävention ist nicht sexy»
«In den nächsten beiden Jahren wollen wir in den sozialen Medien ein regelrechtes Feuerwerk an überraschenden Massnahmen zünden», sagt Beutler über die Kampagne. (Collage: persoenlich.com, Bilder: zVg)
von Loric Lehmann

Herr Beutler, in den Spots zur Präventionskampagne wird ein Ameisenhaufen, eine Hundehütte, eine Baustellenschranke und ein Blumenbeet von Motorradfahrern zerstört (persoenlich.com berichtete). Personen werden dabei kaum verletzt. Das entspricht aber nicht dem echten Leben, oder?
Das stimmt leider. In der Realität gehen viele Motorradunfälle nicht so glimpflich aus und haben fatale Folgen. Motorradfahrer legen nur 3 Prozent aller Motorfahrzeugkilometer auf Schweizer Strassen zurück, machen aber einen Viertel aller Schwerverletzten bei Verkehrsunfällen aus. Besonders tragisch ist, dass gerade die jungen Bikerinnen und Biker ein hohes Unfallrisiko haben. Zwischen 2016 und 2020 verletzten sich über 280 Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren bei einem Töffunfall schwer, vier kamen ums Leben.

Sind die unterhaltsamen Spots angesichts dieser Zahlen nicht etwas zu harmlos?
Wir haben bewusst auf eine allzu drastische Inszenierung verzichtet. Wir wissen, dass in der Prävention immer wieder versucht wird, die Zielgruppe mit Schockkampagnen wachzurütteln. Doch die Wirkungsforschung bewertet diese Furchtappelle heute skeptisch. Deshalb haben wir einen anderen Ansatz gewählt: «Don’t mess it up.»

«Jugendliche wollen sich nicht zur Lachnummer machen»

Fahren Sie fort.
Wer sein Motorrad nicht im Griff hat, kann es schnell vermasseln. Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch peinlich. Wer möchte sich schon vor einer tollen Frau, einem XXL-Gärtner oder einer Gruppe Pfadis blamieren? Jugendlichen ist es wichtig, was ihre Peers von ihnen halten, und sie wollen sich nicht zur Lachnummer machen. Unsere Spots bringen dies in wenigen Sekunden auf den Punkt.

Warum lanciert die BFU die Kampagne gerade jetzt?
Seit diesem Jahr haben Jugendliche Zugang zu leistungsstärkeren und damit schnelleren Motorrädern. Fünfzehnjährige dürfen neu Bikes und Roller bis 45 Stundenkilometer fahren, Sechzehnjährige sogar 125-Kubikzentimeter-Maschinen. Aus der Unfallforschung wissen wir, dass mit der Geschwindigkeit auch das Unfallrisiko steigt.

Dies führt zu mehr Personenschäden?
Genau, wenn dann etwas passiert, sind auch die Verletzungen schwerer. Ausserdem sind die jungen Bikerinnen und Biker noch keine Profis im Strassenverkehr. Es fehlt ihnen an Erfahrung, sie verhalten sich impulsiver und überschätzen sich oft selbst. Zusammen mit den schnellen Maschinen kann das eine riskante Mischung sein. Mit der Präventionskampagne wollen wir verhindern, dass die Unfallzahlen in die Höhe schnellen. Deshalb schätzen wir es sehr, dass der Fonds für Verkehrssicherheit FVS dieses wichtige Projekt durch seine Finanzierung möglich macht.

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Die Spots laufen auf Snapchat, TikTok und Instagram. Ist das Neuland für die BFU?
Bisher haben wir uns noch nie so direkt an eine ganz junge Zielgruppe gewandt. Daher haben wir bei der BFU noch keine Kampagnen auf Snapchat und TikTok lanciert. Auch wenn uns die Bevölkerung vor allem von unseren Plakaten am Strassenrand kennt, setzen wir in unserer Kommunikation schon lange auf crossmediales Campaigning.

Werden die Spots auch noch auf anderen Kanälen gezeigt?
In diesem Jahr wollen wir vor allem Awareness aufbauen. Daher konzentrieren wir uns auf die Kanäle, die für die Zielgruppe relevant sind. Unterstützung bekommen wir von der Föderation der Motorradfahrer der Schweiz. Die FMS wird die Kampagne auf ihren Kanälen zusätzlich ausspielen. Und wir nutzen unsere eigenen Reichweiten. Dabei wenden wir uns aber nicht direkt an die Jugendlichen, sondern an ihre Eltern, Verwandten und erwachsenen Bekannten – damit das Thema Unfallprävention auch beim gemeinsamen Abendessen auf den Tisch kommt.

Auch bei der Entwicklung des Konzeptes hat die BFU neue Wege beschritten. Können Sie dies ausführen?
Prävention ist nicht sexy und macht keinen Spass. Da dürfen wir uns nichts vormachen. Kein Fünfzehnjähriger und keine Sechzehnjährige wartet auf die Tipps der BFU. Die Herausforderung besteht also darin, die Präventionsbotschaften so zu verpacken, dass sie in die Welt der Jugendlichen passen. Deshalb haben wir das Konzept direkt mit ihnen entwickelt.

«Wir haben noch viele Ideen in petto»

Inwiefern?
Um herauszufinden, wo wir ansetzen sollen, hat unsere Agentur Sir Mary Interviews mit Jugendlichen geführt, die sich fürs Motorradfahren interessieren. Daraus entstanden viele Ideen, die wir bei den Jugendlichen auf den Prüfstand geschickt haben. So kristallisierten wir verschiedene Konzepte heraus, für welche die Jugendlichen voten konnten. Am Schluss hat «Don’t mess it up» das Rennen gemacht.

Bis jetzt wurden fünf Kurzfilme und eine Microsite veröffentlicht. Die Kampagne soll bis Ende 2023 laufen. Worauf darf man sich noch freuen?
Ja, die fünf Spots stehen zum Kampagnenstart im Zentrum. Doch wir haben noch weiteren Content aufbereitet, mit dem wir die Jugendlichen in den nächsten Wochen erreichen: Posts mit überraschenden Töff-Facts, Memes und Behind-the-scenes-Material. Uns war es wichtig, dass wir die Kampagne in diesem Jahr launchen können, damit wir die Jugendlichen abholen, die ihren Führerschein frisch in der Tasche haben. Wir haben noch viele Ideen in petto.

Zum Beispiel?
In den nächsten beiden Jahren wollen wir in den sozialen Medien ein regelrechtes Feuerwerk an überraschenden Massnahmen zünden. Angedacht sind auch Kooperationen mit Influencern. Zudem planen wir Aktionen an Events. Und natürlich werden wir laufend evaluieren, welche Massnahmen am besten funktionieren – und die Kampagne so laufend optimieren.



Das Interview wurde schriftlich geführt.



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