31.10.2021

Media Bias

«Ad People nutzen die Medien diverser»

In einer Studie ist erstmals untersucht worden, welche Medien Marketing- und Medienprofis selbst nutzen – und wie sie die Nutzung der Bevölkerung einschätzen. Siri Fischer von der IGEM und Guido Trevisan von der Goldbach Group geben exklusiv erste Einblicke.
Media Bias: «Ad People nutzen die Medien diverser»
Analysieren die ersten Ergebnisse aus der Studie «Media Bias» (v.l.): Siri Fischer, Geschäftsführerin IGEM Interessengemeinschaft elektronische Medien, und Guido Trevisan, CMO Goldbach Group. (Bilder: zVg)
von Christian Beck

Frau Fischer, Herr Trevisan, wie stark weicht Ihre persönliche Mediennutzung vom Durchschnitt der Schweizer Bevölkerung ab?
Siri Fischer: Ich schaue sicherlich weniger TV als die Durchschnittsbevölkerung, gehe häufiger ins Kino und habe mehr Digitalabos von Zeitungen. Auch wenn ich wie die Mehrheit der Bevölkerung fast nur passiv auf Social Media bin, drücke ich zumindest bei LinkedIn und Twitter den Frauenanteil etwas nach oben. Dafür nutze ich kaum Instagram oder Facebook. Und bei TikTok kann ich wie die meisten der über 20-jährigen Durchschnittsbevölkerung wohl nur dank meiner Kids mitreden.

Guido Trevisan: Ich nutze die Medien wohl etwas vielfältiger als viele andere und probiere auch gerne mal Neues aus. Wobei, als ich als glücklich verheirateter Ehemann und Vater von zwei Kindern Tinder aus professionellem Interesse ausprobieren wollte, habe ich mich schon ein bisschen gefragt, was ich da eigentlich tue.

Am Medienforschungstag vom Mittwoch werden erste Ergebnisse der Studie zur «Media Bias – Mediennutzung der Marketing- und Medienprofis im Vergleich zur Schweizer Bevölkerung» vorgestellt. Was ist für Sie die grösste Überraschung?
Fischer: Zwar haben wir mit einer Abweichung bei der Einschätzung und Nutzung der Profis gerechnet, dass sie bei einzelnen Mediengattungen allerdings so gross ist, hat uns doch überrascht. Die Expertinnen und Experten unterschätzen den Printbereich um satte 39 Prozentpunkte, Radio um 25 Prozentpunkte und TV um 17 Prozentpunkte. Übersetzt auf die Gesamtbevölkerung unterschätzen die Profis den Print um 2,6 Millionen Nutzerinnen und Nutzer, Radio um 1,7 Millionen und TV um 1,1 Millionen. Umgekehrt überschätzen die Profis dafür zum Beispiel TikTok um 19 Prozentpunkte oder Instagram um 15 Prozentpunkte. Damit verschätzen sich die Profis bei TikTok um 1,3 Millionen nicht existierende Nutzerinnen und Nutzer und bei Instagram um eine Million.

«Die tägliche TV-Nutzung ist bei den Ad People deutlich niedriger als bei der Gesamtbevölkerung»

Was mich überrascht: Personen, die in der Medien- und Kommunikationsbranche tätig sind – in der Studie «Ad People» genannt –, schauen weniger regelmässig TV, dafür aber häufiger zeitversetzt als der Rest der Bevölkerung. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Trevisan: Hier muss man zwischen der gelegentlichen und der täglichen Nutzung unterscheiden: Bei der mindestens gelegentlichen Nutzung von TV unterscheiden sich die Ad People praktisch nicht von der Gesamtbevölkerung. Beide Gruppen nutzen zu über 90 Prozent mindestens gelegentlich TV und zeigen damit sehr hohe Nutzerwerte auf. Es ist aber richtig, dass sich in der Frequenz deutliche Unterschiede zeigen: Die tägliche TV-Nutzung ist bei den Ad People deutlich niedriger als bei der Gesamtbevölkerung.

Und beim zeitversetzten Fernsehen?
Trevisan: Beim zeitversetzten TV verhält es sich etwas anders: Da gibt es in der täglichen Nutzung kaum Unterschiede (27 Prozent vs. 26 Prozent). Beim mindestens gelegentlichen zeitversetzten Fernsehen hingegen zeigt sich, dass bei den Ad People die Nutzerwerte deutlich höher sind als in der Bevölkerung (90 Prozent vs. 72 Prozent). Ad People sehen viel selektiver fern und sind wesentlich technologieaffiner als die Durchschnittsbevölkerung. Ich vermute daher, dass die Ad People auch eher die zeitversetzte Nutzung in Anspruch nehmen als die gelegentlichen TV-Zuschauer in der Gesamtbevölkerung. Aber auch dies ist nur eine Interpretation, denn das Warum haben wir nicht erforscht.

Ad People nutzen auch häufiger Musikstreaming-Dienste. Mein Fazit: Man hat keine Zeit für TV, hört aber gerne seine eigene Musik. Was schlussfolgern Sie?
Fischer: Ad People nutzen die Medien diverser und im Bereich der digitalen Medien auch häufiger. Der Hauptunterschied kommt daher, dass auch die älteren Ad People sehr affin zu Musikstreaming sind. In der Gesamtbevölkerung nimmt die Nutzung von Musikstreaming bereits ab 35 Jahren stark ab. Bei den Ad People hingegen ist Musikstreaming bis hin zum Pensionierungsalter stark verbreitet.

Noch einen dritten Punkt aus der Studie: Ad People nutzen praktisch alle sozialen Medien häufiger als die Gesamtbevölkerung. Das dürfte nun aber wirklich keine Überraschung sein, oder?
Fischer: Das war ein wenig so zu erwarten, da viele Ad People soziale Medien auch im Rahmen ihres Berufes nutzen. Trotzdem zeigt sich bei der Social-Media-Nutzung der Ad People zum Teil schon eine massive Abweichung zur Bevölkerung, zum Beispiel bei LinkedIn und Instagram. Nur ein Viertel der Gesamtbevölkerung (26 Prozent) nutzt mindestens gelegentlich LinkedIn, von den Marketing- und Medienprofis jedoch fast alle (88 Prozent). Zwei von drei Ad People (66 Prozent) sind täglich auf Instagram gegenüber nur einem Viertel der Bevölkerung (26 Prozent). Allerdings gibt es auch unter den Ad People Unterschiede in der Nutzung. So nutzen beispielsweise jüngere Ad People die Kanäle wie Instagram oder TikTok etwas mehr als ihre älteren Berufskollegen – umgekehrt verhält es sich bei Twitter, das bei den ältesten Ad People am meisten Nutzer aufzuweisen vermag.

«Wer als Marketingexpertin und -experte auf das Bauchgefühl setzt, liegt in den allermeisten Fällen daneben»

Herausgeber der Studie sind die IGEM Interessengemeinschaft elektronische Medien und Goldbach Media. Weshalb haben Sie diese Untersuchung gemacht?
Fischer: Nutzungsforschung ist ein zentraler Indikator, wenn es darum geht, die Konsumentinnen und Konsumenten zu verstehen und den Werbefranken so effektiv wie möglich einzusetzen. Die Schweiz verfügt über die entsprechenden Studien und Tools, um die strategischen und taktischen Entscheide vorzunehmen. Erfahrene Ad People schätzen die Nutzungssituation der Gesamtbevölkerung etwas besser ein als jene mit weniger Berufserfahrung. Wir wollen den Ad People aufzeigen, wie wichtig es ist, die Fachkräfte mit den vorhandenen Studien auszubilden und die Nutzung der Tools und Daten zu fördern.

Wurde das Ziel der Studie erreicht?
Trevisan: Das wurde es. Wer als Marketingexpertin und -experte auf das Bauchgefühl setzt, liegt in den allermeisten Fällen daneben. Das konnten wir mit der Studie aufzeigen. Insofern ist dies der Nachweis, dass sich Nutzungsforschung lohnt und berechtigt ist.

Man kann – über die ganze Studie betrachtet – sagen, dass Ad People grundsätzlich ein anderes Mediennutzungsverhalten haben als die Gesamtbevölkerung. Was machen Sie nun konkret aus dieser Information?
Trevisan: Wir werden die Resultate sehr gerne mit Werbeauftraggebern, Mediaagenturen, Interessenverbänden und weiteren interessierten Kreisen teilen. Zusammen mit unserem Engagement im Bereich der Mediennutzungsforschung unterstützen wir sie als Vermarkter, möglichst fundierte Entscheide bezüglich ihrer Werbeausgaben zu tätigen.

Diese Studie wurde erstmals durchgeführt. Planen Sie nun, diese regelmässig zu machen?
Trevisan: Wir gehen nicht davon aus, dass sich die Resultate innert kurzer Zeit signifikant verändern. Entsprechend ist heute noch keine Folgestudie geplant. Was wir aber kaum erwarten können, ist die Resonanz aus dem Markt. Da freuen wir uns auf die Gespräche in den nächsten Wochen.

Sie stellen die Studie zuerst in Kurzform am Medienforschungstag vom 3. November und dann noch detaillierter an der IGEM-Videokonferenz vom 9. November vor. Für wen, ausser für Sie selber, sind die Studienergebnisse überhaupt interessant?
Trevisan: Die Resultate sind für die gesamte Marketing- und Medienbranche relevant. Wer hatte nicht schon Diskussionen mit Personen, die von der eigenen Mediennutzung auf die Bevölkerung oder eine Zielgruppe geschlossen haben? Natürlich kann es dann auch bei der Mediaplanung vorkommen, dass von der eigenen Mediennutzung oder Nutzung der eigenen Kinder oder Eltern oder sonstigen Bezugspersonen ausgegangen wird. Dadurch können ungünstige Entscheidungen getroffen werden. Die Studienresultate können in solchen Momenten helfen, um die Mediaplanung noch effizienter zu gestalten.



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Kommentare

  • Dr. Christoph Glauser, 01.11.2021 08:24 Uhr
    Ich denke viele AdPeople nutzen auch persönlich.com intensiv, genao so wie ich als online Wirkungsforscher. Christoph Glauser von der Find Maschine ArgYou.com
Kommentarfunktion wurde geschlossen

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