10.10.2021

Zoë Burnard

«Das Potenzial der Musik wird unterschätzt»

Kundenerlebnisse lassen sich laut der Agentur The Music Architect mit der richtigen Musikauswahl verbessern. Gründerin Zoë Burnard sagt, worauf es bei diesem sogenannten «Musik-Marketing» ankommt – und was Unternehmen dabei oft falsch machen.
Zoë Burnard: «Das Potenzial der Musik wird unterschätzt»
«Oft wird zuerst eine Duftkerze aufgestellt, bevor man sich über die gespielte Musik Gedanken macht», sagt die Marketingberaterin, Cellistin und DJane Zoë Burnard. (Bild: zVg)
von Tim Frei

Frau Burnard, wann haben Sie letztmals in einem Laden Musik bewusst wahrgenommen?
Das war im Kleidergeschäft Essentiel Antwerp. Die Musik hat mir so gut gefallen, dass ich mich mit dem Filialleiter darüber unterhalten habe. Schliesslich habe ich über eine Stunde im Laden verbracht und mit diesem guten Feeling ganz viel Geld ausgegeben ­– dabei hat die Musik sicher eine Rolle gespielt. 

Auf diese Form der Beeinflussung haben Sie sich mit der Agentur The Music Architect* spezialisiert.
Aufgrund unserer Erfahrung und Studienergebnissen wissen wir: Mit der Kraft der Musik kann man das Kundenerlebnis verbessern, was letztlich Unternehmen beziehungsweise Marken positiv beeinflusst. Wir sehen darin eine Geschäftsnische, die wir «Musik-Marketing» nennen.

Worauf kommt es bei der Musikauswahl an?
Entscheidend ist, dass die Musik den Brand widerspiegelt und so zusammen mit der Beleuchtung, dem Interieur und den Düften Teil der Designstrategie ist. Sobald wir von den Kundinnen und Kunden wissen, wofür ihre Marke steht, überlegen wir uns, wie wir das musikalisch umsetzen können.

Können Sie das am Beispiel des Gastrolokals «NZZ am Bellevue» aufzeigen, für dessen Musikkonzept Sie verantwortlich waren?
Da das Lokal der Inplace in Zürich werden und vor allem junge, trendbewusste Menschen ansprechen möchte, war für uns klar: Beim Musikgenre müssen wir einen rein elektronischen Weg gehen. Die Herausforderung ist, dass es zu jedem Genre massenhaft Subgenres gibt – Spotify listet für alle Genres 5500 Subgenres auf. Aus diesem Überangebot galt es zu entscheiden, was zur Location passt.

Welche Rolle hat es gespielt, dass das Lokal Restaurant, Bar, Showroom und Eventstätte zugleich ist?
In der Tat eine grosse. Hinzu kommt, dass das Lokal an gewissen Wochentagen von 6 Uhr morgens bis 4 Uhr nachts geöffnet hat. So mussten wir zehn unterschiedliche Klangteppiche eruieren, um für die verschiedenen Tageszeiten unterschiedliche Kundenerlebnisse zu kreieren. Auch der Wochentag macht einen grossen Unterschied. 

Konkret?
Am Montag bieten Lokale womöglich eher einen langen Lunch an, dann muss die Klangfarbe möglichst ruhig sein und darf nicht zu hektisch, zu laut und zu komplex sein. Freitags dagegen möchten Restaurantbetreiber die Tische in der Regel möglichst oft verkaufen. Umso lauter, energetischer und dynamischer muss die Musik sein. Denn so löst man ein Kommen und Gehen aus. 

«Wenn sich eine Location für eine Musikrichtung entschieden hat, muss sie dieser treu bleiben»

Viele Menschen möchten im Restaurant ein Gespräch führen, deshalb nehmen Sie Musik oft als Störfaktor wahr. Was entgegnen Sie solchen Stimmen?
Ich spüre das oft, wenn ich als DJane auflege. Aber entscheidend ist: Wenn sich eine Location für eine Musikrichtung entschieden hat, muss sie dieser treu bleiben. Auf eine Person, der die Musik eventuell nicht gefällt, kommen in der Regel zehn Personen, bei denen es anders ist. Zudem habe ich festgestellt: Oft ist die Lautstärke das Problem – und dies vor allem bei älteren Leuten. Über das Genre oder andere Aspekte der Musik beklagen sich Gäste in der Regel viel weniger.

Sie empfehlen also, auf laute Musik zu verzichten?
Das ist stark vom Setting abhängig. In einer Restaurant-Situation spielt die Anzahl der Gäste eine grosse Rolle. Ist es praktisch leer, sollte man die Lautstärke erhöhen. Das zieht Kunden an und schafft eine gute Atmosphäre. Ist ein Lokal dagegen voll, muss man die Musik leiser machen. Dies, weil die vielen Gäste bereits einen hohen Grundpegel auslösen – eine laute Hintergrundmusik würde dies nur unnötig konkurrenzieren.

Das Problem ist aber doch, dass für diese Justierung der Musik meistens das Personal fehlt.
Genau, deshalb liegt die Zukunft im Bereich der künstlichen Intelligenz.

Inwiefern?
In Schweden gibt es eine Firma, welche die Musiksteuerung in Restaurants auf reiner künstlicher Intelligenz basieren lässt: Anhand der Bestellungen werden Daten zu den Bedürfnissen und Wünschen der Gäste generiert, womit Musikpräferenzen eruiert werden, sodass Entsprechendes gespielt werden kann. Oder es wird gezählt, wie viel Bluetooth-Empfänger es in einem Lokal hat, um die Lautstärke dementsprechend zu regulieren. Noch müssen das Menschen tun, zukunftsträchtig wäre aber eine Schnittstelle, die Daten auf Basis Künstlicher Intelligenz einspeist, um damit die passende Musikauswahl und Lautstärke zu au­tomatisieren. Doch noch mangelt es in diesem Bereich an Forschung, was ich mit einer praxisbezogenen Doktorarbeit verändern möchte.

«Oft lässt der Filialleiter das spielen, was ihm persönlich gefällt»

Welche Fehlannahmen machen Unternehmen bei der Implementierung des «Musik-Marketings» oft?
Die Musikauswahl wird von zu vielen Leuten vorgenommen, zudem ist diese nicht brand-, genre- und designgerecht. Oft lässt der Filialleiter das spielen, was ihm persönlich gefällt.

Dieser steht doch für den Brand, insofern sollte das doch eine gute Strategie sein?
Studien haben gezeigt, dass dies leider nicht immer der Fall ist. In der Praxis ist es dann nicht so einfach, dem Patron zu sagen, dass sein Geschmack nichts mit markengerechter Musikauswahl zu tun hat.

Auf welche weiteren Hürden stossen Sie?
Viele Unternehmen unterschätzen das Marketingpotenzial der Musik. Oft wird zuerst eine Duftkerze aufgestellt, bevor man sich über die gespielte Musik Gedanken macht. Und dann wären da noch die veralteten audiovisuellen Installationen.

Zum Beispiel?
Verstärker aus den 80er-Jahren, eine iPod-Anlage von vor 20 Jahren oder CD-Spieler mit vier rotierenden CDs. Die Infrastruktur ist wirklich eine grosse Hürde. Viele Firmen sehen zudem nicht ein, weshalb sie für eine geeignete Musikauswahl mit einer Agentur zusammenarbeiten sollen. Viele denken, mit einer Spotify-Playlist sei es getan.

«Es fehlt am Wissen, dass Spotify nicht für den kommerziellen Gebrauch lizenziert ist»

Sie sprechen die Lizenzproblematik an.
Das ist ein grosses Problem – insbesondere in der Schweiz. Hierzulande fehlt es am Wissen, dass Spotify nur für den persönlichen und nicht für den kommerziellen Gebrauch lizenziert ist. Abhilfe schafft etwa die Plattform «Soundtrack Your Brand» (Anm. der Red.: The Music Architect ist die Schweizer Agentur dieses Unternehmens), mit der man Zugriff auf alle Songs auf Spotify in hoher Qualität hat. Weil man für jeden in einem Laden gespielten Song eine Lizenzgebühr zahlt, ist diese Technologie für den öffentlichen Gebrauch erlaubt. Dies ist letztlich nur fair, müssen die Künstler und Labels doch für ihre Lieder entschädigt werden. In der Schweiz arbeiten viele Läden mit Spotify, weil es hierzulande und anders als in den USA kaum kontrolliert wird.

Was ist für Sie ein besonders lobenswertes Beispiel in Sachen «Musik-Marketing»?
Das Dolder Grand, das die Musik-Marketingstrategie in die gesamten Markenkommunikation eingebunden hat: Gäste, die mit der Limousine abgeholt werden, können bereits bei der Anfahrt Lieder aus der Playlist des Hotels hören. Oder im Hotel erhalten sie mit der Rechnung einen QR-Code, womit sie Zugriff auf die Playlist haben. Indem es so keinen musikalischen Unterbruch zwischen den Touchpoints gibt, entsteht ein umso besseres Kundenerlebnis.

Zum Schluss: Wie wählen Sie als DJane eigentlich die passende Musik aus?
Nie im Voraus. Wenn mir der Veranstalter die gleiche Frage stellt, antworte ich so: «Zeige mir das Publikum, dann weiss ich dank meiner Erfahrung, was ich spielen muss.»



* The Music Architect
2019 hat die in London geborene Zoë Burnard die Agentur The Music Architect gegründet. Seither kreiert die Marketingberaterin, Cellistin und DJane und ihr internationales Team mit Standorten in Zürich, Paris und London Klangerlebnisse für Hotels, Bars, Restaurants, Einzelhändler, Fitnessstudios, Spas und Kliniken. Burnard lebt seit mehreren Jahren in der Schweiz.

 

 

 

 



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Kommentare

  • Ph!L!pp Schweidler, 11.10.2021 08:15 Uhr
    Danke für die Awarenesskampagne ;-) Ergänzung zu eurer Anmerkung: Das Mutterhaus der Agentur hiess anfänglich «Spotify Business».
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