08.07.2019

Marketing Bullshit

«Fast niemand kommuniziert klar und authentisch»

Optimierung, Transparenz, Augenhöhe: Das seien alles Bullshit-Begriffe. Vor allem in der Marketing- und Werbebranche gebe es viel davon, so Ivana Leiseder. Ein Gespräch über die Verantwortung der Werbeagenturen und überflüssige Medienmitteilungen.
Marketing Bullshit: «Fast niemand kommuniziert klar und authentisch»
«95 Prozent der Medienmitteilungen können gespült werden»: Ivana Leiseder ist freischaffende Kommunikationsberaterin und Lehrerin für Kommunikation. (Bild: zVg.)

Frau Leiseder, «Real Talk» ist ein Ratgeber zur Verteidigung gegen Bullshit in der Marketing- und Kommunikationsbranche. Wer muss sich denn gegen den dort grassierenden Bullshit verteidigen?
Wir alle, denn Marketing und Kommunikation begleiten uns über das ganze Leben, ob wir wollen oder nicht – vom «fair produzierten» Baby-Overall bis, im besten Fall, zum «ökologisch nachhaltigen» Rollator.

Was ist Marketing-Bullshit?
Darunter verstehen wir eine roboterisierte, repetitive Sprache, die Sachverhalte ad absurdum verschleiert und beschönigt. So ist heute alles «innovativ», «agil», «nachhaltig» und «partnerschaftlich» – vom Plattenleger bis zur IT-Bude. Ich warte auf den Tag, an dem meine Katze den ersten agilen Sprint hinlegt.

So reden tatsächlich viele Firmen.
Spannend ist doch auch, dass sich beinahe sämtliche Werbesprüche grosser Marken in den letzten 50 Jahren ins Universum metaphysischer Heilsversprechen katapultiert haben. Wo etwa HSBC früher mit «The world’s local bank» angepriesen wurde, hiess es vor kurzem im Rahmen einer Marketingkampagne: «Together we thrive». Paulus hat den Stab der Sinngebung an die Unternehmen weitergegeben.

Warum gibt es ausgerechnet in der Marketing-Branche so viel Bullshit?
Da gibt es viele Gründe – psychologische, strukturelle und systembedingte. Zu den wichtigsten gehört sicher der Irrglaube, dass «Marketing» eine «Allerweltsdisziplin» ist, die «jeder kann». Aber es reicht nicht, sich das neuste CAS für 7000 Franken zu kaufen oder ein Fixie an die Wand zu nageln. Gutes Marketing abseits der Trampelpfade bedeutet vor allem harte Arbeit.

Und sonst?
Auch der Output-Zwang trägt viel zur Entstehung von noch mehr Marketing-Bullshit bei. So muss Bestehendes so lange kopiert und pulverisiert werden, bis die Kennzahlen der Chefetage erreicht sind. Ob das dann noch sinnvoll ist, sei dahingestellt.

«Agenturen neigen dazu, völlig logische Inhalte bis zur Unkenntlichkeit zu frisieren»

Inwiefern trifft die Werbeagenturen einen Teil der Schuld?
Agenturen neigen dazu, völlig evidente, klare und logische Inhalte bis zur Unkenntlichkeit zu frisieren. Ein einzelner Satz ist halt schwer für tausende Schweizer Franken zu verkaufen. Eine Präsentation, aufgebläht auf 100 Seiten, aber schon. Aber es sind nicht nur die Agenturen, die zum Bullshit beitragen, sondern auch die Kunden mit ihren teilweise surrealen oder nicht klar definierten Anforderungen.

Können Sie dazu ein Beispiel machen?
Das misslungene Redesign der Hertz-Website ist ein gutes Beispiel dafür, wie man es garantiert nicht machen sollte – und zwar auf allen Seiten.

Was für eine Aufgabe haben Marketing und Werbung denn überhaupt noch, wenn in diesen Bereichen komplett auf Bullshit verzichtet wird?
Komplett auf Bullshit zu verzichten und stattdessen wieder mit Herz und Verstand zu arbeiten, ist aus unserer Sicht die einzige Daseinsberechtigung für Marketing und Werbung. Nehmen wir die Gastronomie als Beispiel: Wäre es nicht irgendwie befreiend, wenn die Restaurants auf ihren Websites einfach sagen würden, dass sie fein kochen? Leider kommuniziert praktisch niemand mehr klar und authentisch – alles ist irgendwie ethisch-moralisch aufgeladen oder formal aufgebrezelt.

Welche Firmen schaffen es, in ihren Kommunikationsmassnahmen mit möglichst wenig Bullshit auszukommen, kommen also dem «Real Talk» sehr nah?
Viele kleine Firmen, leider wenig grosse. Vor allem in Nischenmärkten findet man immer wieder Beispiele inspirierender, authentischer Kommunikation. In letzter Zeit sind uns verschiedene unabhängige, kleine Bierbrauereien besonders positiv aufgefallen.

«95 Prozent der Medienmitteilungen können gespült werden»

In meiner Erfahrung sind vor allem Medienmitteilungen voll von Bullshit. Was haben Sie bei Ihrer Recherche dazu herausgefunden?
Medienmitteilungen arbeiten mit etablierten Strukturen und Formulierungen, die oft dazu dienen, Sachverhalte zu verschleiern oder zu beschönigen. Ein gutes Beispiel hierfür sind Entlassungen, die dann plötzlich zu «Optimierungen» werden. Aus unserer Sicht können 95 Prozent der Medienmitteilungen gespült respektive auf wenige Sätze herunterdestilliert werden, denn sie sagen genau nicht das, was es zu sagen gäbe.

Was bringt es Unternehmen, wenn sie in Ihrer Kommunikation auf Bullshit verzichten?
Gute Kommunikation trägt viel zum Marktwert eines Unternehmens bei. Sie beeinflusst direkt, wie sich Anspruchsgruppen, also beispielsweise Kunden, Partner und Mitarbeitende, verhalten. Ob diese dem Unternehmen zugeneigt sind und Produkte kaufen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen oder zur Konkurrenz abwandern. Insofern ist gute Kommunikation ökonomisch hochrelevant.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie schwierig war es zur Beantwortung dieser Interview-Fragen vollständig auf Bullshit zu verzichten – was Sie hoffentlich getan haben?
Wir haben uns in der Vorbereitung für das Buch über vier Jahre lang intensiv mit sprachlichem Bullshit auseinandergesetzt, auch mit unserem eigenen. Deshalb ganz klar: eineinhalb. 



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Ivana Leiseder ist freischaffende Kommunikationsberaterin und Lehrerin für Kommunikation an einer Berufsschule in Zürich. Davor war sie unter anderem als Journalistin, PR-Beraterin und Kommunikationsverantwortliche tätig. Leiseder hat an der Universität Zürich Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie studiert und ist eidgenössische diplomierte PR-Fachfrau.


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KOMMENTARE

Melanie Wullschleger
11.07.2019 15:02 Uhr
Ist Marketing nicht per se «Bullshit»? Dazu all die unzähligen Bücher, die schon zum Thema «Marketing» veröffentlicht wurden? Alles heisse Luft. Das meine ich ganz authentisch!
Gubler Max
11.07.2019 14:56 Uhr
Da muss ich Herrn Kappel recht geben: Optimierung, Transparenz, Augenhöhe......da geht mir auch gleich das Wort "Authentisch" leicht über die Zunge. Weitere Weichspüler: Empathie, Millenials, Transformation, Diversity. Aber Frau Leiseder möchte ja ein Buch verkaufen. Also, lassen wir sie "Real talken!". Ich wollte schon immer wissen, auf was es schlussendlich darauf ankommt! Ich mag Bücher sehr! Nur: 95 Prozent der Fachbücher können umgehend geschreddert werden.
Ivana Leiseder
10.07.2019 10:41 Uhr
Oh je, Herr Kappel, so pessimistisch? "Authentisch" bedeutet "den Tatsachen entsprechend und daher glaubwürdig" - und dies ist aus meiner Sicht auch im Berufsumfeld möglich. Zumindest, wenn man seine Zeit nicht allzu sehr verschwenden möchte.
Alexander Kappel
10.07.2019 06:32 Uhr
Kleiner Tipp: Das Wort "authentisch" ist ebenfalls ein Bullshit-Begriff und zwar der schlimmste von allen. Authentisch ist alles und gar nix. Meine Katze ist authentisch, aber niemand und nichts in einem Berufsumfeld, denn da ist alles an Konventionen geknüpft. Damit ist die 1,5 auf der Skala schon mal verpasst.
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