11.06.2002

"Man braucht eine Mischung zwischen Bescheidenheit und Selbstbewusstsein"

Die Intellektuellen haben gelächelt über den Dölf, den Bundesrat ohne akademische Weihen. Das Aussenministerium hat man ihm nie anvertraut. Doch jetzt, als Alt-Bundesrat, erweist sich der als "Skilehrer" Verspottete als bester Repräsentant der Schweiz, ein eigentlicher Branding-Pionier des Landes. Im neuen "persönlich blau", das diese Woche erscheint, nimmt Adolf Ogi Stellung zum Spagat zwischen Heimatstolz und Weltoffenheit. "persoenlich.com" bringt einen Interview-Ausschnitt:
"Man braucht eine Mischung zwischen Bescheidenheit und Selbstbewusstsein"

Ogi der Schweizverkäufer! Wie kommen Sie an mit diesem Produkt?

Das kommt an. In dem Sinne habe ich auch wirklich das Gefühl, dass ich für die Schweiz und für unsere Botschaften ein sehr guter Türöffner bin. Wenn ich irgendwo hingehe, komme ich als "Former President of Switzerland" und Kofi Annans Berater für Sport in Zusammenarbeit mit Entwicklung und Friedensförderung. Dann habe ich Zugang, ohne es bewusst zu suchen, zu allen Staatsoberhäuptern, zu den Ministerien und so weiter. Der Botschafter kann mich immer begleiten und erhält damit einen guten Kontakt und eine gute Beziehung zu den Regierungen der Gastländer.

Sie haben als Bundesrat Mittel moderner Kommunikation gebraucht. Zum Beispiel den Kristall als Geschenk. Ein ideales Symbol für die Schweiz mit hohem Wiedererkennungswert.

1995, ich war erst kurz im EMD, vielleicht einen Monat, meldete sich Kofi Annan zu einem Besuch an. Weil mein Protokoll nicht gut gearbeitet hatte, hatte ich kein Geschenk für ihn bereit. In meinem linken Hosensack trage ich immer einen Kristall. (Ogi nimmt einen hervor und zeigt ihn.) So einen überreichte ich ihm. Und jetzt müssen Sie sich das anhören: Im Mai 2000 bei einem Empfang, als Kofi Annan die Begrüssungsreihe abschritt, nahm er, bevor er mir die Hand reichte, diesen Kristall hervor und sagte: "You see Adolf, what you gave me four and half years ago?" Meine Herren, das macht Eindruck. So ein kleines Steinchen. Kofi Annan ist schon von allen Seiten beschenkt worden: von Blair, Schröder, Clinton, Jelzin, Putin, vom Papst etc. Aber er kommt mit diesem Stein in der Hand. In diesem Moment ist mir bewusst geworden, dass bei dieser Geste viel mehr dahinter steckt als nur ein kleiner Kristall.

Sie sind ja ein richtiger Brand-Manager. Aus der Geste mit dem Kristall haben Sie ein Markenzeichen für Ogi gemacht und den Stein – ähnlich wir einen Markenartikel – mit vielen Assoziationen aufgeladen.

Kristalle habe ich als offizielle Geschenke bei Staatsbesuchen gegeben. Aber Kristalle, die ich meist persönlich gesucht und gefunden habe, habe ich nur an Leute verschenkt, die mir auch etwas bedeuteten. Dabei war ich keinesfalls zurückhaltend im Verschenken dieser "persönlichen" Kristalle. Ich schenkte einen Toni Blair, Kofi Annan, dem Papst, beim Ausscheiden aus meinem Amt meinen sechs Kollegen oder meinen engsten Mitarbeitern. So wurde der Wert eines solchen Kristalls zu einem symbolischen Wert.

Wenn Sie unterwegs sind, was hören Sie über die Schweiz?

Das Image der Schweiz ist unterschiedlich. In Asien gut, sogar respektvoll. In Europa weniger, wenn auch ein bisschen besser seit dem Ja zur UNO. Aber wir gelten immer noch als Besserwisser. In Amerika ist es schlechter als noch vor sieben, acht Jahren. Ich war als Bundesrat ja mehrmals in Amerika und konnte das feststellen. Erst als wir der Partnerschaft zum Frieden beigetreten sind, hat es wieder gebessert. In einem Ranking waren wir zwischen 70 und 90 aufgeführt. Nach dem Beitritt zur "Partnership for Peace" sind wir plötzlich in die ersten 15 vorgestossen. Auch die ganze Problematik des Holocaust hat, vor allem bei der Presse, kritische Fragezeichen über die Schweiz provoziert. Ich glaube, das ist jetzt überwunden.

Die Schweiz hat zum Teil immer noch das Heidi-Image. Inwiefern findet man die Balance zwischen einer Modernisierung und der Tradition?

Grundsätzlich möchte ich sagen, dass es falsch wäre, wenn man das Heidi-Image über Bord werfen möchte, indem man sagt, das sei schlecht. Heidi war keine schlechte Person und das Heidi-Image ist nichts Schlechtes. Heidi als Person, Heidi als Geschichte und Heidi als Film ist etwas Positives. Wenn man nun krankhaft neue Symbole sucht und dabei das Volk nicht mehr packen kann, weil man keine Alphornbläser mehr will oder keine Trachten, oder ja nicht mehr Fondue, dann ist das falsch. Das sind Identifikationen mit unserem Land, mit unserem Geist, mit unserem Habitus, mit unserer Art zu leben. Wir müssen also nicht krampfhaft Neues suchen, mit dem wir vielleicht nur einige wenige begeistern können, während das Volk zu Hause bleibt.


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