«Welches Bild von Schönheit soll KI von uns lernen?» So lautet die zentrale Frage der aktuellen Dove-Kampagne. Im Film mit dem Titel «The Code» sitzt eine Frau am Computer und bittet die KI-Software darum, ihr die «schönste Frau der Welt» zu zeigen. Dann stellt sie die Frage nochmals mit dem Zusatz «wie in einer Dove-Werbung». Auf einmal sind die Bilder diverser und wirken authentischer.
Der Kosmetikhersteller positioniert sich seit 20 Jahren als die Marke, die sich für «wahre Schönheit» einsetzt. Am Anfang stand Dove als Pionier für Diversität in der Werbung und wählte bewusst Models aus, die den Schönheitsstandards der Werbebranche nicht entsprachen.
Die von Dove gestellte Frage ist brennend aktuell. Bildgenerierende KI-Softwares sind mittlerweile so effizient, dass ihre Erzeugnisse praktisch nicht mehr als synthetisch erkannt werden, hat die Studie «AI-Humans in der Markenkommunikation 2024» der Hochschule der Medien Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Agentur WongDoody kürzlich festgestellt.
Während Dove sich dazu verpflichtet, «niemals KI zur Erstellung oder Verzerrung von Frauenbildern einzusetzen», haben andere Marken angefangen, menschliche Models durch KI-generierte zu ersetzen. Diesen Sommer hat der spanische Kleiderhersteller Mango seine erste KI-generierte Kampagne medienwirksam lanciert. Eine junge Frau präsentiert darin Kleider der Marke. Dass die Frau digital erzeugt wurde, ist nicht erkennbar.
Auch in der Schweiz kommen KI-generierte Models zum Einsatz. Calida hat im Juni eine erste synthetische Bildserie präsentiert. Das Ziel des Projektes sei es, «die Grenzen und Möglichkeiten künstlicher Intelligenz in der visuellen Darstellung von Wäsche zu erforschen.» In einer Medienmitteilung zeigte sich die Produktverantwortliche, Janine Weiz-Bühler, «begeistert». KI erlaube es, die Bildproduktion «spontan und gezielt» zu ergänzen, schrieb die Wäscheherstellerin.
Auch die St. Galler Designagentur Kreuzer Design verwendet vermehrt KI. «Wir können konsistente Bildstrecken erstellen, aber auch Details nach Kundenwunsch kontrollieren. Wir können z.B. Personen frei platzieren oder in Pose setzen. Personen im Bild ersetzen, altern lassen, die Ethnie, Diversity ändern et cetera. Detailaufnahmen sind auch kein Problem», erklärt Inhaber Alexander Kreuzer gegenüber persoenlich.com.
Aus seiner Sicht werden die neuen technischen Möglichkeiten die Branche komplett verändern. «Ein Shooting für einen international operierenden Kunden bedeutet normalerweise einen extremen Aufwand: Models verschiedener Ethnien müssen bestellt werden, Model Rights müssen erneuert werden, die Locations müssen genehmigt werden, der Fotograf, die Stylisten müssen bezahlt werden. All diese Dinge fallen nun weg.»
Abgesehen von den organisatorischen Fragen und den neuen Businessmodellen, die entstehen werden, stellen sich auch ethische Fragen. Als Erstes: Sollen KI-generierte Bilder als solche deklariert werden? Laut einer Umfrage der Marktforschungsplattform Appinio vom August fordern 81 Prozent der Deutschen, dass diese Inhalte klar gekennzeichnet werden.
«Eine Kennzeichnung ist einfach, solange die Nutzung von KI-Tools klar ist», bemerkt Johan Rochel, Mitgründer von Ethix, das Labor für Innovationsethik in Zürich, auf Anfrage von persoenlich.com. «KI-Tools werden aber immer mehr in Software integriert, sodass man sich nicht mehr bewusst wird, dass man mit KI arbeitet.»
Risiko für die Marken
Für den Ethik-Experten Rochel lautet die entscheidende Frage eher: «Will man mit Vorsatz das Publikum manipulieren, so wie Deepfakes es tun?» Seiner Meinung nach besteht für die Marken ein Risiko, dass der Einsatz von KI-Bildern ihrer Glaubwürdigkeit schadet oder Zweifel bei den Konsumierenden weckt. Es gehe um ein taktisches Abwägen zwischen Kostensenkung und dem Image, das man ausstrahlen will.
Ebenfalls besteht die Sorge, dass KI-generierte Bilder Menschen als perfekt und standardisiert abbilden würden, heisst es in der AI-Human-Studie aus Stuttgart. Diese Sorge ist nicht neu. Mit dem Claim zur «wahren Schönheit» wollte Dove diesem Trend entgegenwirken.
Neu ist, dass KI es erlaubt, die Bilder genau so zu kreieren, wie die Marke es sich wünscht, bemerkt Johan Rochel. Es gibt keine externen Faktoren mehr. Die Marken können sich von der Verantwortung nicht entbinden.
Auch bei den Copyrights stellen sich Fragen. Wenn KI-Bilder berühmte Personen darstellen, gibt es klare Rechte zu berücksichtigen. Wenn die Models aber von der KI generiert werden, stellt sich die Frage nach den Quellen, ähnlich wie bei den Texten. «Wie in der Klage von der New York Times gegen OpenAI, es geht um sehr viel Geld», so der Experte.
Branchencodex «unnötig»
Bisher scheint die Akzeptanz hoch zu sein. In der Appinio-Umfrage zeigen 62 Prozent der Befragten Verständnis für den Einsatz von KI in der Mango-Kampagne aus Kostengründen. Fiktion und Illusion seien ein Teil der Werbebranche, erklärt Johan Rochel. Das erlaubt gewisse Freiheit mit der Nutzung von KI.
Sinnvoll könnte ein Branchenkodex sein, sagt der Ethik-Experte. Im Journalismus haben viele Medien Richtlinien eingeführt. In der Werbung haben die fünf Mitte-Links-Parteien letztes Jahr einen KI-Kodex unterzeichnet. Sie verzichten auf KI-erzeugte Inhalte für Negativ-Kampagnen. Die Idee war entstanden nach einer Kontroverse um ein FDP-Plakat, das ein KI-Bild von Klimaaktivisten zeigte. Seitens des Werbe-Auftraggeberverbands SWA hält man einen Branchencodex derzeit für unnötig. «Dazu reicht ein gesunder Menschenverstand, denn Gesetze und Regeln für Werbung gibt es schon mehr als genug», schreibt SWA-Direktor Roland Ehrler auf Anfrage.
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10.10.2024 07:13 Uhr